Dienstag, November 26

Sie pissen auf Putin, und zwar wörtlich: Die russischen Aktivistinnen von Pussy Riot präsentieren sich in einer grellen Überraschungsschau in München. Wer Musealität erwartet, geht besser nicht hin.

Es hat einen gewissen Reiz, an der Seite des Pussy-Riot-Kernmitglieds Mascha Aljochina durch die Ausstellung zu gehen, die am letzten Freitag fast schon klandestin im Haus der Kunst eröffnet worden ist. Die Münchner Organisatoren hatten russische Sabotage befürchtet, plötzliche Webabstürze, die es an den ersten Stationen der Schau in Island, Dänemark und Kanada gegeben hatte. Deshalb erfuhr die Öffentlichkeit erst am Tag vor der Eröffnung von der knallbunten Punk-Show der Feministinnen, die im alten Luftschutzbunker des 1937 eingeweihten ehemaligen NS-Baus gezeigt wird. «Velvet Terrorism: Pussy Riot’s Russia» ist die bisher grösste Präsentation des 2011 gegründeten Künstlerinnenkollektivs und seine erste Museumsausstellung in Deutschland.

Vom Friedensengel her ist sie mit dem E-Roller angebraust und mischt sich unter das Museumspublikum, als wären alle Sicherheitsbedenken Makulatur: Maria «Mascha» Aljochina, eine schwarzgekleidete kleine Frau von 36 Jahren mit weichem, rotblondem Haar und Flipflops an den tätowierten Füssen. Auf alle feuerpolizeilichen Vorschriften pfeifend, zieht sie an einer E-Zigarette, während sie Aushänge auf den gelben, pinkfarbenen und hellgrünen Wänden erläutert, auf denen die «Pussy»-Geschichte anhand von Videos, Fotos und handgeschriebenen Texten erzählt wird. Hie und da starren Besucher Aljochina ungläubig an; ein paar fragen sich wohl, ob sie es wirklich ist. Immerhin, ein Mann im karierten Hemd filmt sie breitbeinig, ein zweiter sagt im Vorbeigehen: «Ihr seid so tapfer!», eine junge Frau hätte da noch eine Frage.

Keine Chance für Massenproteste

An Massenproteste in Russland glaube sie nicht mehr, sagt Aljochina unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Pussy-Riot-Songs, die die Ausstellung selbst zu einem Terrorakt machen. Offener Protest sei inzwischen zu gefährlich. Allein wer den Ukraine-Krieg «Krieg» nenne, müsse mit bis zu acht Jahren Gefängnis rechnen.

Aljochina selbst war nach dem berühmten «Punk-Gebet» in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche 2012 zwei Jahre in der Strafkolonie Nr. 19 und musste dort an sechs Tagen die Woche Polizeiuniformen nähen. Nachts liess man sie nur vier Stunden schlafen. Morgens wurden die Insassen von der russischen Nationalhymne aus dem Schlaf gerissen, die praktischerweise die Melodie der Sowjethymne beibehalten hat – in der Ausstellung ist sie hinter einer Tür zu hören, die leicht zu übersehen ist.

Aljochina ist damals in den Hungerstreik getreten und hat mehrere Verfahren gegen die Lagerleitung angestrengt, um eine menschenwürdigere Behandlung zu erzwingen. Die meisten Prozesse hat sie gewonnen. «Ich glaube nicht, dass das heute noch möglich wäre», schliesst sie nüchtern. Nach der Kathedralen-Aktion mit den stilbildenden bunten Sommerkleidern und Sturmhauben prägte der russisch-orthodoxe Bischof Tichon Schewkunow, Kollaborateur und Beichtvater Putins, den Begriff «Velvet Terrorism» für die Flashmobs der Gruppe.

Überraschungs- und Schockmomente gibt es auch in München reichlich. Gleich im ersten Ausstellungsraum dröhnt eine Rachmaninow-Einspielung des Russen Pawel Kuschnir. Der Konzertpianist starb im Juli 2024 in der Untersuchungshaft in Birobidschan, nach Hungerstreiks gegen Russlands Krieg in der Ukraine.

Die rosafarbene Beleuchtung in der gekachelten Duschzeile des Bunkers weckt Assoziationen zu einem Schlachthaus. Ein Eindruck, den die finstere Aura der ehemaligen NS-Topografie noch verstärkt. Im nächsten Raum: Ein Video von «Piss», einer Performance, die Pussy Riot inzwischen an mehreren Orten aufgeführt hat, unter anderem in der Münchner Pinakothek der Moderne. Dabei lüpft eine maskierte Aktivistin den Rock und uriniert auf ein Putin-Porträt, das sie danach mit dem Fuss umtritt.

Regenbogenflaggen an Regierungsgebäuden

Weiter geht es mit Graffiti-artigen Texten und Bewegtbildern. 2017 schlich sich Pussy Riot in die berüchtigte Geheimdienstzentrale Lubjanka ein, in der schon Felix Dserschinski gefoltert hatte. Der Plan war, dort mit Blick auf Stalins Grossen Terror ein Plakat mit der Aufschrift «Happy Birthday, Henker!» zu entrollen. 2018 sah die gesamte Weltöffentlichkeit beim Moskauer WM-Finale zu, wie über das Fussballfeld flitzende Aktivistinnen von den Sicherheitsorganen wieder eingefangen wurden. 2020 gelang es Pussy Riot sogar, Regenbogenflaggen an fünf Moskauer Regierungsgebäuden zu hissen. Mit der ihnen eigenen Chuzpe wollten sie Putin damit zum 68. Geburtstag gratulieren.

Im Flur der Münchner Schau erinnern eine grüne Lieferantenuniform und ein Kastenrucksack beiläufig an Mascha Aljochinas Flucht in den Westen. Verkleidet als Essenskurier floh sie 2022, unterstützt von dem isländischen Performancekünstler Ragnar Kjartansson, vor einer neuerlichen Haft mit dem Fahrrad nach Litauen. Heute hat sie einen isländischen Pass. Etliche andere «Pussy»-Aktivistinnen sitzen noch im Gefängnis oder stehen unter Hausarrest, zusätzlich unter Druck gesetzt von Sicherheitsorganen, die deren Haustüren beschmieren und Angehörige auf Schritt und Tritt verfolgen.

Was Aljochina von Friedenskonferenzen zum Ukraine-Krieg hält, über die gerade in Deutschland viel gesprochen wird? «Das wäre nicht nur moralisch falsch, sondern auch strategisch dumm», sagt sie, ohne zu zögern. «Heute sprichst du mit Putin, morgen vergiftet er dich. Sein feuchter Traum ist es, die Sowjetunion wiederherzustellen. Putin ist auch hungrig nach dem Baltikum, Polen, Georgien. Deshalb muss die unabhängige Ukraine unbedingt erhalten werden!»

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