Sonntag, Oktober 6

Knöpfe werden vollkommen unterschätzt. Sie sind weit mehr als funktionale Schnittstellen, die man mal zu-, mal aufmacht. Knöpfe sind Schmuckstücke, Spannungsbogen und erotisches Barometer.

Wenn Modeleute ein bisschen gemein sein wollen, loben sie nicht das komplette Outfit einer Person, sondern sagen: «Schöne Knöpfe.» Ein vergiftetes Kompliment, so als würde man bei einer Superjacht den Anker oder bei einem Sternemenu das Mineralwasser abfeiern. Schliesslich sind Knöpfe, grob betrachtet, reine Mittel zum Zweck, ähnlich aufregend wie Reissverschlüsse.

Okay, und jetzt stelle sich jeder einmal ein paar Kleidungsstücke ohne sie vor. Ein Polohemd. Einen Trenchcoat. Das rosa Chanel-Kostüm von Jackie Kennedy damals beim Attentat von Dallas. All die sexy Versace-Kleider mit goldenen Medusen. Na? Was passiert da vor dem inneren Auge? All diese Sachen würden ohne ihre Knöpfe nicht nur sehr offen und irgendwie nackt dastehen, sie wären schlicht nicht mehr dieselben. Ihnen würde ein ganz entscheidendes Design-Element fehlen.

Ein Button-down-Hemd wäre ohne Knöpfe eben kein Button-down-Hemd, ein Goldknopf-Blazer würde seine komplette Identität verlieren, selbst eine Jeansjacke wäre ohne die vielen Nietenknöpfe nicht nur etwas unpraktisch, sondern vor allem sehr viel weniger lässig.

Dieser Sommer war ein Knopf-an-Knopf-Rennen

Die meisten nehmen Knöpfe trotzdem so unbewusst war, dass sie gar nicht mitbekommen haben, dass dieser Sommer ein regelrechtes Knopf-an-Knopf-Rennen war. Das Haute-Couture-Defilee von Chanel – Titel «The Button» – fand unter einem ikonischen CC-Knopf statt, der wie ein riesiger Schutzschild an der Decke schwebte.

Für die jüngste Designerkooperation tat sich H&M mit dem südkoreanischen Designer Rokh zusammen, der nicht nur Schnallen liebt, sondern auch Knöpfe beziehungsweise das, was man mit ihnen anstellen kann: Ein Trenchcoat, eigentlich tausendfach gesehen, war spektakulär, weil er eine zusätzliche Lage hatte, die seitlich an- oder abgeknöpft werden konnte. Die Knopfleiste im Rücken eines Jacketts diente nicht nur als Hingucker, sondern veränderte auf Wunsch eben auch die Passform.

Oder dieses seltsame Strick-Cape von Loewe, um das sich die Stylisten förmlich rissen, um es in einer Modestrecke verewigen zu können. Ohne die riesigen Goldknöpfe vorne würde jede Frau damit wie ein überdimensionierter Eierwärmer aussehen. Aber mit ihnen als Kontrast zum groben Strick sah die Sache sofort anders aus. Nach Kunst, mindestens nach grosser Mode.

Vorläufiger Höhepunkt: Als bei den Filmfestspielen von Cannes die versammelte Prominenz auflief und sich in halbdurchsichtigen Kleidern ins Zeug legte, absolvierte Anne Hathaway einen Termin bei einem Bulgari-Event in Rom. Sie trug dazu ein weisses Hemdkleid mit Kragen, was auf dem Papier wenig spektakulär klingt. Aber wie sie es trug – oben und am Rock lasziv aufgeknöpft, darunter ein weisses Korsett –, sorgte sofort für aufgeregte Google-Suchen. Was ist das? Wo kann man das kaufen? Antwort: Bei Gap, allerdings hatte es der neue Kreativdirektor Zac Posen eigentlich nur als Einzelstück für die Schauspielerin entworfen. Wegen der grossen Resonanz wurde das Kleid doch noch schnell für den Verkauf produziert. Binnen Stunden war es ausverkauft.

Typen wie Ryan Gosling lassen tief blicken

Mit Knöpfen lassen sich Kleidungsstücke schliessen – vor allem aber tun sich mit ihnen neue Möglichkeiten auf. Mit der Knopfleiste signalisieren wir, ob wir uns buchstäblich zugeknöpft geben oder lieber offenherzig daherkommen möchten. Wie ein erotisches Barometer, das man selbst bestimmt. Heute ein bisschen auf, morgen hochgeschlossen, je nach Lust und Laune, Anlass und Zeitgeist. Früher etwa liessen nur Latin Lover und Lebemänner wie Gunter Sachs das Hemd bis zur Brustmitte aufgeknöpft.

Heute lassen auch Typen wie Ryan Gosling einmal tief blicken, der durchtrainierte sechzigjährige Lenny Kravitz sowieso. Oder man trägt den «Unbuttoned Shirt Look» mit einem Tanktop oder T-Shirt darunter wie in den Neunzigern. Dann sind Knöpfe tatsächlich einmal obsolet. Deshalb war es Kurt Cobain wahr – scheinlich auch vollkommen egal, dass an seiner grünen Mohair-Strickjacke, die er 1993 beim «MTV Unplugged»-Konzert trug, ein Knopf fehlte. Der jetzige Besitzer, der den Cardigan 2019 zum Preis von 334 000 Dollar ersteigerte, dürfte ihn nicht ersetzt haben.

Überhaupt: Wer hat je genau das Modell zur Hand, das einem irgendwo abgefallen ist? Wer kann sich schon merken, wo er alle die Mini-Tütchen mit den mitgelieferten Ersatzknöpfen gehortet hat? Niemand.

Das Spiel mit Knöpfen kann so aufregend sein, dass wir ihnen einige der erotischsten Leinwandmomente zu verdanken haben. In Martin Scorseses «Zeit der Unschuld» sitzt Daniel Day-Lewis mit Michelle Pfeiffer in einer Kutsche, sie sind Liebende, die nicht zueinanderkommen dürfen. Und dann passiert es: Er zieht seinen Handschuh aus und knöpft mit der rechten Hand ganz behutsam den ihren auf.

Einen Knopf nach dem anderen, kleine Perlen, bis er ihr Hand – gelenk freigelegt hat und sie sanft darauf küsst. Dass danach noch richtig ge – knutscht wird, ist eigentlich nebensächlich. Der Knopf-Akt allein sei für ihn so erotisch gewesen, als hätte man Pfeiffer ganz ausgezogen, sagte der berühmte Kameramann Michael Ballhaus über die von ihm gedrehte Szene. Wenn sich im Film Knöpfe öffnen, tut sich in der Phantasie gleich eine ganze Welt auf. Frauen brauchen nur mit beiden Händen die Knopfleiste ihrer Bluse zu berühren, schon sieht man förmlich, wohin das Ganze führen wird.

Vom Gebrauchsgegenstand zum Accessoire: Das ist die Geschichte der Knöpfe

Dabei waren Knöpfe ursprünglich nur zur Zierde gedacht. In Südostasien wurden kleine Muscheln, die rund und dreieckig gefeilt waren, bereits vor rund 4000 Jahren getragen. Mit zwei Löchern darin zum Annähen, aber ohne entsprechendes Knopfloch als Gegenstück. Auch in Europa hielt man die sackartige Kleidung damals noch mit Nadeln und Gürteln zusammen. Erst im 13. Jahrhundert, als die Mode enger an – liegend und die Stoffe empfindlicher wurden, entdeckte man die Knöpfe zum Schliessen.

Es soll sogar eine regelrechte Knopf-Inflation stattgefunden haben, manchmal hatten Kleider mehr als 200 Stück davon. Eine heillose Fummelei, die übrigens auch erklärt, warum viele Männer- und Frauenhemden bis heute die Knopfleisten auf verschiedenen Seiten haben: Wohlhabende Frauen zogen sich damals nicht selbst an, also wurden die Knöpfe links angebracht, damit sie eine Anziehhilfe mit der rechten Hand schliessen konnte. Männer knöpften ihre Kleidung eigenhändig zu, bei ihnen war die Knopfleiste dem – entsprechend auf der rechten Seite.

Wie sehr Knöpfe schmücken und beeindrucken können, sieht man bei Schiaparelli, wo die Gründerin Elsa Schiaparelli sogar Knöpfe in Form kleiner Käfer verwendete, die dann surreal über die Entwürfe krabbelten. Und, natürlich, bei Chanel, deren emblematische Knöpfe nicht nur zur DNA der Marke gehören, sondern in der berühmtesten Knopfmanufaktur der Welt hergestellt werden: bei Desrues in Plailly, einer Kleinstadt nördlich von Paris. 150 Angestellte fertigen hier allein für Chanel rund drei Millionen Knöpfe pro Jahr.

Früher arbeiteten sie auch für andere Marken wie Louis Vuitton oder Nina Ricci, 2022 wandte sich Balenciaga für seine Haute-Couture-Kollektion an sie, weil es schlicht keine bessere Adresse für kunstvolle Entwürfe und höchste Verarbeitung gibt. 1929 begann der Gründer Georges Desrues in einer kleinen Werkstatt im Marais und belieferte Modeschöpfer wie Christian Dior, Jeanne Lanvin oder Yves Saint Laurent.

Vor allem mit dem Haus Chanel bestand eine enge Zusammenarbeit, weshalb der Luxuskonzern die Maison 1985 übernahm und sich das Know-how unter dem Dach ihrer Abteilung «Métiers d’Art» sicherte. Gut ein Dutzend Arbeitsschritte dauert es, bis ein Knopf fertig ist. Für die aus Metall wird zuerst eine individuelle Wachsform gefertigt, in der die Einzelstücke gegossen werden. Dann wird jeder Knopf von Hand geschliffen, poliert, an kleinen Drähten für die Elektrolyse aufgehängt, lackiert und am Ende vielleicht noch mit dem berühmten Doppel-C versehen. Übertrieben finden sie diesen Aufwand hier keineswegs, im Gegenteil.

Heute sind Knöpfe entweder Ton in Ton oder extra dekorativ

Knöpfe sind gleichberechtigter Teil jedes Entwurfs, denn auch in ihrem Design spiegelt sich der Zeitgeist wider. «Sind es die falschen, ruinieren sie das ganze Outfit», fand schon Christian Dior. In den Sechzigern mussten Knöpfe vor allem gross und bunt sein, in den Achtzigern goldverziert, in den Neunzigern wurde es minimalistischer. Aktuell sind sie entweder Ton in Ton oder extra dekorativ gehalten. Matthieu Blazy setzt sie bei Bottega Veneta oft wie kleine Schmuckpiercings ein, Nicolas Ghesquière bisweilen wie angenähte Broschen auf einem Top.

Jeder Knopf ist ein Mini-Schmuckstück, so lautet bei Desrues die Devise. Und nichts ist unmöglich. Als Karl Lagerfeld damals einen ganzen Eisberg ins Grand Palais verfrachten liess, wünschte er sich passende Metallknöpfe mit kleinen Iglus darauf – und bekam sie natürlich. Angeblich landete bei Lagerfeld kein Knopf an einer Jacke oder einem Kleid, den er nicht persönlich abgenickt hatte.

Seine bis vor kurzem amtierende Nachfolgerin Virginie Viard war ähnlich detailversessen, weshalb sie dem Knopf sogar eine ganze Couture-Kollektion widmete, die eingangs erwähnte «The Button»-Show. Im gleichnamigen Kurzfilm entdeckt die Schauspielerin Margaret Qualley, dass an ihrer Chanel-Jacke, einem Erbstück, ein silberner Manschettenknopf fehlt.

Sie reist daraufhin nach Paris, um ihn im Atelier wieder annähen zu lassen. Dort trifft sie auf ein Alter Ego von Coco Chanel, das ihr den Knopf wieder annäht, ihr aber auch sagt, dass wahre Schönheit mit der Zeit nicht mehr perfekt sein müsse. Daraufhin versteht die junge Frau den emotionalen Wert des fehlenden Knopfes – und reisst den neuen zufrieden wieder ab. Kurt Cobain wäre sicher ihrer Meinung gewesen.

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