Hauchdünne Mehrheit will, dass Schweizer Waffen an die Ukraine weitergereicht werden dürfen.

Priska Seiler Graf trägt das Herz auf der Zunge. Die SP-Nationalrätin spricht für bundesbernische Verhältnisse offen und ehrlich aus, was sie umtreibt. Als Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission (SIK) ist sie damit die richtige Person, um den neusten Stand der lange blockierten Debatte rund um das Kriegsmaterialgesetzes (KMG) zu erklären. Ob sie selbst tatsächlich noch daran glaubt, dass es irgendwann klappt? «Mal schauen.»

Seiler und die meisten Sicherheitspolitiker ihrer Partei bilden zusammen mit Vertretern der FDP eine «Koalition der Willigen». Ihr Ziel: das nur wenige Monate vor dem Einmarsch der Russen verschärfte KMG wieder aufzuweichen. Freundschaftliche Länder, die einst in der Schweiz Rüstungsgüter gekauft hatten, sollen diese unter gewissen Bedingungen auch an eine Kriegspartei wie die Ukraine weitergeben dürfen.

Aus den Augen, aus dem Sinn

Konkret geht es um drei Gesuche, die seit dem Beginn des russischen Angriffs im Februar 2022 von Deutschland (Munition für Gepard-Fliegerabwehrpanzer), Dänemark (Piranha-III-Radschützenpanzer der Mowag) sowie Spanien (Flugabwehrkanonen) eingegangen sind. Der Bundesrat hat diese abgelehnt unter anderem mit dem Verweis auf das Neutralitätsrecht, wonach die Schweiz bei Waffenexporten alle Parteien eines Kriegs gleich behandeln muss – was auch für die Wiederausfuhr von Rüstungsgütern gilt. Zudem sieht das KMG vor, dass keine Waffen in Länder, die in einen Konflikt verwickelt sind, weitergegeben werden dürfen.

Der Kompromiss, der die SIK nun im Rahmen einer parlamentarischen Initiative ausgearbeitet hat, würde beträchtliche Verschiebungen beinhalten. Gemäss der Einigung müssten sich Länder, die Schweizer Rüstungsmaterial weitergeben wollen, nicht mehr strikt an das Gleichbehandlungsprinzip halten. Die Schweizer Partnerstaaten könnten die Wiederausfuhr an einen angegriffenen Staat bewilligen, wenn sie zum Schluss kommen, dass dieser vom völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht (Uno-Charta, Artikel 51) Gebrauch machen würde und somit quasi das Opfer eines Angriffs ist.

Gleichzeitig, und diese Änderung wäre genauso bedeutend, würde die Schweiz die Kontrolle, ob sämtliche Kriterien für eine völkerrechtlich korrekte Wiederausfuhr erfüllt wären, abgeben. Angenommen, Deutschland – oder Frankreich – würde einst in der Schweiz erworbenes Kriegsgerät an Israel weiterreichen, der Bundesrat könnte dann nicht mehr intervenieren und auf das Neutralitätsrecht verweisen.

Aus den Augen, aus dem Sinn – fünf Jahre nach dem Kauf können die Partnerländer selber entscheiden, was sie mit den Schweizer Waffen machen wollen. Mit diesem Teil der Vorlage will man auch der hiesigen Rüstungsindustrie entgegenkommen, die unter den strengen KMG-Bestimmungen leidet.

Mit dem anderen Teil geht es vor allem darum, der Ukraine zu helfen. Deutschland, Dänemark und Spanien könnten das Material weitergeben, sobald das Gesetz angenommen würde. Die sogenannte Nichtwiederausfuhrerklärung, die vertragliche Abmachung, die Rüstungsgüter nicht in den Krieg zu schicken, würde rückwirkend aufgehoben.

Die Vorlage sei unter dem Motto «Gopf, jetzt brauchen wir eine Lösung» zustande gekommen, gestand Seiler Graf. Das Geschäft werde wohl frühestens in der Frühjahrssession 2025 erstmals in das Parlament kommen. Die Koalition der Willigen ist daher vor allem eine der Geduldigen – und der Optimisten.

Schon Eintreten war knapp

Selbst Seiler Graf musste darauf hinweisen, dass der Weg nicht nur lang bleibe, sondern auch alles andere als sicher sei. Schon der Entscheid, dass sich die SIK überhaupt mit der Vorlage befasst, fiel mit einer Stimme Differenz äusserst knapp aus. Dass nun die Gesetzesänderung in die Vernehmlassung geht, ist den Stichentscheiden der Kommissionspräsidentin zu verdanken.

Mit 11 zu 11 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) konnte Seiler Graf ihren Verbündeten helfen, dass die rückwirkende Übergangsbestimmung, die die Nichtwiederausfuhrerklärung aufhebt, ganz gestrichen wird. Schliesslich sorgte sie mit ihrer Stimme dafür, dass das Geschäft mit 10 zu 10 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) überhaupt durchkam.

Wenn man die Zusammensetzung der SIK anschaut und Seiler Graf glauben will, dass es die «Koalition der Willigen» immer noch gibt, kann man über die Koalition der Widerwilligen nur spekulieren. Die Vertreter der SVP dürften sich aus neutralitätspolitischen Gründen mit aller Kraft gegen jegliche Lockerung gewehrt haben.

Die Grünen dürften ebenfalls dem Nein-Lager oder zumindest jenen Stimmen angehören, die sich enthalten haben – weil sie grundsätzlich gegen Waffen und deren Produktion sowie Export sind. Die Mitte-Stimmen dürften sich aufgeteilt haben.

Auch wenn es die Gesetzesänderung irgendwann einmal schaffen sollte, vom Parlament angenommen zu werden: Selbst dann wartet noch das Referendum. Dieses wurde jetzt schon angedroht. Warum diese Vorlage im Gegensatz zu den zahlreichen anderen Versuchen, das KMG zu lockern, erfolgversprechend sei, wollte ein Journalist wissen. Die sonst so schlagfertige Seiler Graf kam für einen kleinen Augenblick ins Grübeln.

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