Nach der Absage der letzten Abfahrt steht fest: Marco Odermatt gewinnt zum vierten Mal in Serie den Gesamtweltcup. Er musste aber bis zum Schluss zittern. Sein Herausforderer Franjo von Allmen ist ihm in vielem ähnlich. Doch es gibt Unterschiede.

Drei Disziplinen bestreitet Marco Odermatt, und in allen drei fährt er seit vergangenem Winter von Sieg zu Sieg. Auch in diesem Jahr gelingt ihm das Kunststück, neben der Gesamt- auch alle drei Disziplinenwertungen zu gewinnen. In der Königsdisziplin aber wankte sein Thron bis zur Absage des letzten Rennens am Samstag. In der Königsdisziplin werden nun gleich die drei ersten Ränge durch Schweizer belegt: Marco Odermatt siegt vor Franjo von Allmen und Alexis Monney.

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Das ist umso erstaunlicher, als es noch im Winter 2022/23, nach dem Rücktritt des langjährigen Speed-Königs Beat Feuz, keinen einzigen Schweizer Sieg in der Königsdisziplin gab. Nun kämpften Odermatt und von Allmen bis zum letzten Rennen um den Sieg in der Saisonwertung. Die beiden erstgenannten scheinen dazu geschaffen, sich in den kommenden Jahren ein Duell zu liefern, liefern, wie das in den 1980er Jahren Pirmin Zurbriggen und Peter Müller taten.

Es gibt allerdings einen wesentlichen Unterschied: Zurbriggen und Müller waren zwei gegensätzliche Typen. Der fromme Katholik und Bergler Zurbriggen schien mit der Leichtigkeit des Ausnahmetalents zu Erfolgen zu fliegen; der Flachländer Müller wirkte stets verbissen und von unstillbarem Ehrgeiz getrieben. Odermatt und von Allmen hingegen verbindet eine grandiose Lockerheit. Schlägt einer den andern, klopfen sie sich gegenseitig auf die Schultern und grinsen.

Im Schnellzugtempo an die Weltspitze

Und dennoch gibt es wesentliche Unterschiede zwischen den beiden. Der augenfälligste ist die Entwicklung in der Abfahrt. Odermatt brauchte 18 Rennen, bis er es erstmals aufs Podest schaffte, von Allmen gelang dies bereits beim 11. Start. Beide errangen den ersten Sieg in der Königsdisziplin ausgerechnet in einem WM-Rennen, aber Odermatt hatte 32 Weltcup-Abfahrten in den Beinen, als er sich zum Weltmeister kürte, von Allmen nur gerade 14.

Odermatt kam als Multitalent in den Weltcup. Fünf Titel an Junioren-WM liessen früh erahnen, dass er irgendwann um den Gesamtweltcup fahren würde. Der Aufbau erfolgte lehrbuchmässig über die Basisdisziplin Riesenslalom; Super-G und Abfahrt kamen Schritt für Schritt dazu. Von Allmen hingegen spezialisierte sich früh auf die schnellen Disziplinen.

Das sollte allerdings nicht zu der Annahme verleiten, es fehle ihm am technischen Rüstzeug. Als Teenager siegte er auf der untersten Stufe internationaler Wettbewerbe sogar im Slalom; Odermatt schaffte das nie. Im Riesenslalom sind bei diesen FIS-Rennen die Resultate der beiden vergleichbar. Erst als im Europacup die Karriere definitiv vorgespurt wurde, setzte von Allmen voll auf Speed, Odermatt auf ein breiteres Spektrum mit Schwergewicht Riesenslalom.

Im Weltcup bestritt Odermatt die Abfahrt zunächst als eine Art Lehre. In den ersten beiden Wintern absolvierte er jeweils nur vier Rennen in der Königsklasse, im dritten waren es fünf. Beat Feuz, von 2018 bis 2021 viermal in Serie Gewinner der Disziplinenwertung, fungierte als Lehrmeister. Die beiden besichtigten jeweils gemeinsam die Pisten und diskutierten die Linienwahl.

Als Feuz 2021/22 die letzte Saison bestritt, fuhr Odermatt erstmals alle Abfahrten und erreichte vier Podestplätze. Ein Jahr später übernahm der Nidwaldner mit grosser Selbstverständlichkeit die Leaderrolle im Schweizer Speed-Team und wurde Weltmeister. Da war er 25-jährig – und löste Erstaunen aus darüber, wie schnell er sich in einer Disziplin etabliert hatte, in der Erfahrung eine zentrale Rolle spielt.

Von Allmen sollte jedoch zeigen, dass es noch viel schneller geht. Im März 2023 durfte er einmal im Weltcup schnuppern, in der folgenden Saison bestritt er gleich sämtliche Speed-Rennen. Und Weltmeister wurde er mit 23 Jahren. Sieht man seine Entwicklung in diesem Winter, ist es keine absurde Vorstellung, dass dieser junge Mann die Abfahrt in den kommenden Jahren dominieren könnte.

Von Allmen ging vor allem in jungen Jahren einen völlig anderen Weg als Odermatt. Der Berner betrieb das Skifahren aus Spass an der Freude. Die Mutter brachte ihm nach der Schule die Ski an die Bushaltestelle, damit er auf den Jaunpass fahren und mit den Kollegen über die Hänge blochen konnte. Mit 17 Jahren verlor er den Vater, seine Welt geriet aus den Fugen, und es fehlte auch an Geld. Ein Crowdfunding rettete schliesslich seine sportliche Karriere.

Für Odermatt war der Vater lange die engste Bezugsperson. Walter Odermatt war selbst Rennen gefahren und war später eine zentrale Figur bei der Professionalisierung des Skisports in Nidwalden. Der kleine Marco war schon als Zweijähriger mit ihm auf der Piste, der Vater hat von Anfang an jeden Skitag protokolliert. Doch wenn man ihn nach dem Schlüssel für eine Karriere fragt, antwortet er mit zwei Stichworten, die auch zu von Allmen passen: Freude und Begeisterung. Das drückt sich auch darin aus, dass beide nicht ständig durch Tore kurvten, sondern sich oft einfach beim freien Fahren am Berg austobten.

Von Allmen holt sich die Kraft auf dem Bau

Strukturen seien ebenfalls wichtig auf dem Weg nach oben, sagte Walter Odermatt. Er trug dazu bei, dass schon vor 20 Jahren für den Nidwaldner Nachwuchs ein Profitrainer angestellt wurde, und war Mitbegründer des Vereins «Begabtenförderung Ski alpin» in Hergiswil. Sein Sohn konnte deshalb die Oberstufe in einer Sportlerklasse absolvieren. Später ging er an die Sportmittelschule in Engelberg, wo ein Zivildienstler für ihn die Schulbank drückte, wenn er im Training oder an Rennen war. Danach arbeiteten die beiden den Stoff gemeinsam auf.

Von Allmen absolvierte eine Lehre als Zimmermann. Das Konditionstraining holte er am Abend nach, auch auf der Piste trainierte er oft allein. Er ist ein Kraftbrocken, schon als Kind fuhr er nach der Schule mit dem Velo eine drei Kilometer lange Passstrasse zum Elternhaus hinauf, später stählte ihn wie einst den grossen Hermann Maier die Arbeit auf dem Bau. Den erlernten Beruf liebt er noch heute. Nach dem Gewinn von zwei WM-Goldmedaillen sagte er, dass er im kommenden Sommer gerne ein paar Wochen als Zimmermann arbeiten würde. «Das bringt etwas Normalität ins Leben.»

«Normalität» ist ein Wort, das die beiden verbindet. Odermatt hat trotz zahlreichen Siegen und Medaillen nie abgehoben. Unvergessen sind die Szenen, wie er nach dem ersten WM-Titel 2023 in Courchevel in einer Après-Ski-Bar abtanzte. Von Allmen lässt sich ohnehin nicht verbiegen. Nach WM-Gold 2025 und Party inklusive Schädelrasieren sagte er: «Das Wichtigste ist, im Moment zu bleiben.»

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