Donnerstag, Januar 9

Donald Trump droht mit einer deutlichen Erhöhung der Zölle auf Importen aus China. Peking stehen vier Optionen zur Verfügung, um der dadurch erzwungenen Anpassung der eigenen Wirtschaft zu begegnen.

Die Analysten von Goldman Sachs stellten vor einigen Wochen fest, dass höhere US-Importzölle auf chinesische Waren zwar das Wirtschaftswachstum Chinas unter Druck setzen, aber gleichzeitig auch die lang erwartete und erwünschte Verlagerung («Rebalancing») der Binnennachfrage auf den Konsum vorantreiben könnten.

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Auch wenn dies tatsächlich geschehen könnte, ist es doch alles andere als gewiss. Dazu ist es hilfreich, den wirtschaftlichen Druck zu verstehen, dem China ausgesetzt ist. Die Annahme, die der Behauptung der Goldman-Analysten zugrunde liegt, ist, dass die US-Zölle automatisch eine Verringerung des chinesischen Handels- bzw. Leistungsbilanzüberschusses (ich verwende die Begriffe an dieser Stelle der Einfachheit halber als Synonym) erzwingen würden.

Diese Behauptung geht davon aus, dass Zölle auf chinesische Waren zu einer Verringerung der US-Importe aus China führen würden, was automatisch eine Verringerung der Gesamtexporte Chinas und damit des chinesischen Leistungsbilanzüberschusses zur Folge hätte.

Externe und interne Ungleichgewichte

Diese Annahme mag oberflächlich betrachtet vernünftig klingen, aber sie ist falsch. Externe Ungleichgewichte – Überschüsse oder Defizite – in der Leistungsbilanz sind immer auch Ausdruck von internen Ungleichgewichten. Die externen Ungleichgewichte müssen per Definition immer den internen Ungleichgewichten entsprechen.

Anders ausgedrückt: China erwirtschaftet einen Überschuss in der Leistungsbilanz, weil es im Inland per Definition mehr spart, als es investiert. Das wiederum bedeutet nichts anderes, als dass China im Inland mehr produziert, als es konsumiert und investiert. Dieses Ungleichgewicht wird in Form eines Leistungsbilanzüberschusses an den Rest der Welt übertragen und «externalisiert».

Solange das chinesische Einkommen so verteilt ist, dass die Haushalte keinen ausreichenden Anteil ihrer Wertschöpfung erhalten, werden die nationalen Ersparnisse – die kumulierten Ersparnisse der Haushalte, der Unternehmen und des Staates – die chinesischen Investitionen übersteigen. In diesem Fall muss China diesen Überschuss exportieren. Es geht gar nicht anders.

Ähnliches gilt mit genau umgekehrten Vorzeichen für die USA: Das Defizit in ihrer Leistungsbilanz entspricht dem inländischen Ersparnisdefizit. In dem Masse, in dem Chinas überschüssige Ersparnisse direkt oder indirekt zum Erwerb von US-Vermögenswerten verwendet werden, müssen die Vereinigten Staaten ein entsprechendes externes Ungleichgewicht in Form eines Leistungsbilanzdefizits aufweisen.

Dabei spielt es keine Rolle, ob der bilaterale Handel der USA mit China steigt oder fällt. Wenn China seine überschüssigen Ersparnisse in die Vereinigten Staaten lenkt, muss das Gesamtdefizit der USA aufrechterhalten werden, selbst wenn das bilaterale Defizit mit China sinkt.

Der Handel findet andere Wege über Drittländer

Aus diesem Grund dürfen wir den Handel nicht bilateral betrachten, sondern müssen ihn systemisch analysieren. Solange die US-Zölle auf chinesische Importe nicht hoch genug sind, um die Einkommensverteilung innerhalb Chinas von den Produzenten auf die Haushalte zu verlagern, werden die Zölle nur die Richtung der chinesischen Exporte und der amerikanische Importe verändern; selbst wenn der bilaterale Handel reduziert wird, wird das nichts an den allgemeinen Ungleichgewichten beider Länder ändern – der Handel findet einfach andere Wege über Drittländer.

Das ist übrigens genau das, was geschah, nachdem die Regierung von Präsident Trump 2018 erstmals bilaterale Zölle gegen China verhängt hatte: Sowohl der allgemeine Handelsüberschuss Chinas als auch das Handelsdefizit der USA stiegen weiter an, nur nicht auf bilateraler Basis.

Nehmen wir jedoch an, dass die Handelspolitik der nächsten Trump-Regierung dermassen wirksam ist, dass sie tatsächlich zu einem bedeutenden Rückgang des gesamten Handelsdefizits der USA führt: Da die Vereinigten Staaten für fast die Hälfte der weltweiten Handelsdefizite verantwortlich sind, würde ein Rückgang des US-Defizits bedeuten, dass die weltweiten Handelsüberschüsse, von denen der chinesische mit Abstand der grösste ist, ebenfalls sinken müssten.

Wie würde sich eine derart erzwungene Verringerung des chinesischen Handelsüberschusses auf die chinesische Wirtschaft auswirken?

Chinas Problem ist der inländische Ersparnisüberschuss

Hier gibt es mehrere Möglichkeiten. Erstens ist zu bedenken, dass eine Verringerung des chinesischen Handelsüberschusses zwingend mit einer Verringerung des Überschusses der inländischen Ersparnisse gegenüber den inländischen Investitionen einhergehen muss – nochmals: die externen Ungleichgewichte müssen immer den internen Ungleichgewichten entsprechen.

Mit anderen Worten: China müsste eine erzwungene Schrumpfung seines Handelsüberschusses entweder durch einen Anstieg der inländischen Investitionen oder durch einen Rückgang der inländischen Ersparnisse ausgleichen. Im letzteren Fall müsste China das Gleichgewicht durch eine Erhöhung des Konsumanteils am BIP wiederherstellen, aber es gibt sowohl «gute» als auch «schlechte» Möglichkeiten, wie dies geschehen könnte.

Den ersten Weg über einen Anstieg der inländischen Investitionen wählte Peking nach der globalen Finanzkrise von 2008, als der daraus resultierende Einbruch der Nachfrage aus den USA und Europa dazu führte, dass Chinas Leistungsbilanzüberschuss von über 10% des BIP auf knapp über 3% sank.

Es ist inzwischen allgemein anerkannt, dass dieser Investitionsschub – in den Jahren nach 2008 baute China in grossem Stil Flughäfen, Autobahnen und Hochgeschwindigkeits-Bahnlinien – das Problem der inländischen Überinvestitionen erheblich verschärft hat. Warum also entschied sich Peking damals für eine Politik, die zu einem starken Anstieg der chinesischen Schuldenlast und einer Verschärfung der ohnehin schon grossen Ungleichgewichte im Land führte?

Die Antwort hängt damit zusammen, wie China das Ungleichgewicht zwischen den inländischen Ersparnissen und den inländischen Investitionen auf anderem Weg hätte verringern können. Hier geht es um die vorhin erwähnten «guten» oder «schlechten» Optionen.

Steigende Arbeitslosigkeit ist politisch inakzeptabel

Die naheliegendste Möglichkeit, dass der Anteil der Ersparnisse am BIP sinkt, besteht darin, dass die sinkende Nachfrage nach chinesischen Exporten die inländischen Hersteller dazu veranlasst, Arbeitnehmer zu entlassen. Da Arbeitslose eine negative Sparquote haben, würde ein Anstieg der Arbeitslosigkeit dazu führen, dass der Überschuss der Ersparnisse gegenüber den Investitionen sinkt.

Das würde jedoch zu einem Rückgang des BIP führen und gleichzeitig zu einem Rückgang des Konsums. Da der Rückgang des BIP zwangsläufig grösser wäre als der Rückgang des Konsums, würde der Anteil des Konsums am BIP steigen und der Anteil des Sparens sinken. Das ist der «schlechte» Weg, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.

Aber was ist, wenn China die Investitionen nicht erhöhen will, gleichzeitig aber auch vermeiden will, dass die Arbeitslosigkeit steigt? In diesem Fall kann Peking nur eine Politik betreiben, die den inländischen Konsum steigen lässt – das wäre die «gute» Option.

Der nachhaltige Weg, eine Verlagerung zu mehr Konsum zu erreichen, besteht darin, die Wirtschaft so zu umstrukturieren, dass ein grösserer Teil der inländischen Wertschöpfung zu den Haushalten umgeleitet wird – gross genug, dass dies zu einem Anstieg des Konsums führt, der dem Rückgang des Handelsüberschusses entspricht.

Das ist aber einfacher gesagt als getan. China diskutiert das Thema des «Rebalancing» seit über einem Jahrzehnt, ohne grossen Erfolg. Es ist unwahrscheinlich, dass Peking diese Umstellung schnell genug durchführen könnte, um einen raschen Rückgang des chinesischen Handelsüberschusses auszugleichen.

Es gibt jedoch noch eine andere Möglichkeit, den Binnenkonsum wenigstens vorübergehend zu steigern: Entweder zwingt man die Banken, die Kreditvergabe an die Konsumenten zu erhöhen, oder man zwingt die lokalen Regierungen, Kredite aufzunehmen und die Einnahmen direkt oder indirekt an die Haushalte zu verteilen.

Peking stehen vier Optionen zur Verfügung

Auf diese Weise können wir alle Optionen betrachten, die China zur Verfügung stehen, wenn ein von der nächsten Trump-Regierung forcierter Handelskonflikt einen Rückgang des chinesischen Handelsüberschusses erzwingt. Nochmals: Eine Verringerung des Handelsüberschusses muss innerhalb Chinas zwingend einer Verringerung des Überschusses der Ersparnisse gegenüber den Investitionen gleichkommen. Dazu gibt es nur vier Möglichkeiten:

  • Die Investitionen können steigen. Aber da eine Verschlechterung der Handelsbedingungen wahrscheinlich keine höheren Investitionen des privaten Sektors in China auslösen wird, wird der Anstieg von staatlichen Investitionen getrieben werden müssen. In Anbetracht der Tatsache, wie unproduktiv diese sein dürften – es existieren schlicht nicht mehr genügend ökonomisch sinnvolle Infrastrukturprojekte –, werden höhere Investitionen Chinas Ungleichgewichte, Fehlinvestitionen und Schuldenprobleme nur weiter verschlimmern.
  • Die Ersparnisse können zurückgehen, wenn chinesische Unternehmen der schwächeren Auslandsnachfrage mit Entlassungen begegnen. Das ist politisch allerdings inakzeptabel.
  • Die Ersparnisse können zurückgehen, wenn China seine Wirtschaft umstrukturiert und so erreicht, dass ein grösserer Teil der inländischen Wertschöpfung bei den Haushalten landet. Das ist aber ein langwieriger Prozess. Historische Präzedenzfälle deuten darauf hin, dass es Jahrzehnte dauern kann, dies zu erreichen.
  • Die Ersparnisse können vorübergehend zurückgehen, wenn ein Anstieg der Verschuldung der privaten Haushalte oder der Staatsverschuldung vorübergehend mehr Mitteln den Haushalten zur Verfügung stellt, die diese in einen höheren Konsum umwandeln.

Welchen Weg wird die Regierung wählen? In der Vergangenheit hätte sie sich zweifellos für die erste Option, eine Erhöhung der staatlichen Investitionen, entschieden. Aber da inzwischen allgemein anerkannt ist, dass Chinas Wirtschaft unter der Last riesiger Fehlinvestitionen ächzt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich Peking nicht nochmals dazu entschliesst.

Wenn die Investitionen also nicht steigen, müssen die inländischen Ersparnisse auf die eine oder andere Weise sinken. Von den drei Optionen, die dazu zur Verfügung stehen, ist jedoch die erste – Arbeitslosigkeit – politisch inakzeptabel und die zweite – echte Strukturreformen – nicht praktikabel, weil sie zu lange dauert. Somit bleibt nur die dritte Option eines Konjunkturprogramms zur vorübergehenden Ankurbelung des Konsums.

Michael Pettis

Michael Pettis ist Professor für Finanztheorie an der Guanghua School of Management an der Peking University. Der Amerikaner lebt seit 2002 in China. Vor seinem Eintritt in die akademische Welt war Pettis ein Banker; er arbeitete für Bear Stearns und CSFB als Spezialist für Emerging Markets. Pettis ist Autor mehrerer Bücher, sein letztes ist «Trade Wars Are Class Wars: How Rising Inequality Distorts the Global Economy and Threatens International Peace».

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