Mittwoch, Januar 15

Das Treibhausgas Kohlendioxid muss künftig entsorgt werden, damit die Klimaziele erreicht werden. In Brüssel und in Bern ist Bewegung aufgekommen: Neue Strategien zielen darauf ab, CO2 quer durch Europa zu transportieren und im Untergrund zu speichern.

Wir schreiben das Jahr 2028. Kohlendioxid, das in einer Klärschlammverwertungsanlage in einem Zürcher Vorort anfällt, wird aus dem aufsteigenden Rauchgas abgeschieden, verflüssigt und für den Containerversand nach Nordeuropa fertig gemacht.

Das Ziel ist der Meeresgrund in der dänischen Nordsee. Rund 100 000 Tonnen Klärschlamm werden laut offiziellen Angaben in der Anlage in Werdhölzli jährlich verbrannt, pro Jahr entstehen so gut 20 000 Tonnen CO2. Eine grosse Menge davon wird in einer Tiefe von ungefähr 2000 Metern unter einer Schicht aus Deckgestein versenkt werden. Indem es sich mit dem Basaltgestein verbindet, wird das Kohlendioxid fest und kann dauerhaft gebunden werden.

Schweizer Vorreiter

So ist jedenfalls der Plan, den Zürich Ende Januar verkündet hat. Die Stadt hat damit als eine der ersten in Europa eine konkrete Vision vorgelegt, wie Gemeinden und Industrieanlagen diejenigen CO2-Emissionen tilgen könnten, die sich nicht einfach durch eine Umstellung auf erneuerbare und andere saubere Energiequellen entfernen lassen.

Schon vergangenen Herbst hatte Bern den Weg dafür geebnet. Im November beschloss der Bundesrat, dass CO2 zur Speicherung im ausländischen Meeresboden exportiert werden könne. Ohne diese Massnahme wird das Land sein Klimaziel der Netto-Null-Emissionen im Jahr 2050 nicht umsetzen können. Laut Hochrechnungen des Bundes müssten bis zu 12 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr mithilfe von Technologien zur Abscheidung und Speicherung (CCS) bewältigt werden.

Die Schweizer Bemühen sind auch deswegen wegweisend, weil sich in ganz Europa die Suche nach langfristigen Lagerstätten für CO2 verschärft. Der Forscher Marco Mazzotti, Professor an der ETH in Zürich, mahnt deswegen auch an, dass die Schweiz den Anschluss an die europäischen Nachbarländer nicht verpassen sollte. Grenzübergreifende Kooperation müsse forciert werden, um den Zugang zur notwendigen Infrastruktur zu gewährleisten, sagt er.

Die Europäische Kommission legte Anfang Februar – also nur eine Woche nach der Zürcher Ankündigung – ihren eigenen Plan vor, wie und wo CO2 in den kommenden Jahrzehnten abgeschieden, wohin es transportiert und wo gespeichert werden könne, um die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Die Schweiz wird in dem Dokument nicht explizit erwähnt, Norwegen und Grossbritannien dagegen schon.

Startschuss für CCS?

Nach Jahren, in denen CCS-Technologien von NGO als gefährliche Ablenkung von den notwendigen Emissionsreduktionen bekämpft wurden, steht nun offiziell fest: Ohne werden die klimapolitischen Ambitionen des «grünen Deals» der EU nicht umgesetzt. Das gilt vor allem in Branchen, in denen Emissionen nur schwer reduziert werden können. Das betrifft die Schwerindustrie besonders, allen voran die Zement- und Stahlbranchen wie auch die Müllverbrennung.

Das politische Zeichen ist damit gesetzt. Die Brüsseler Strategie zielt bis 2040 darauf ab, mindestens 250 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr in Europa verpressen zu können. Bis 2030, so sehen es die Beamten vor, soll es Speicherkapazitäten von mindestens 50 Millionen Tonnen pro Jahr geben – das ist so viel, wie Schweden in einem Jahr an CO2-Emissionen in die Luft ausstösst.

Ob die notwendigen Investitionen sowie die regulativen und technischen Rahmenbedingungen schnell genug umgesetzt werden, damit CO2 mithilfe eines europaweiten Netzwerks aus Pipelines, Schienen und Lkw-Strecken transportiert und gespeichert werden kann, ist noch ungewiss. Eine Studie des Forschungsarms der Europäischen Kommission rechnete vor, dass ein solches Transportnetz sich bis 2040 auf über 19 000 Kilometer ausstrecken könnte und rund 16 Milliarden Euro erfordern würde.

Beobachter aus den betroffenen Industriebranchen, Forscher sowie involvierte NGO, hiessen die Brüsseler Pläne als notwendiges Signal zwar willkommen. Aber der anvisierte Zeit- und Bauplan ist sehr ambitioniert, laut Analysten gar «optimistisch». Die politischen und infrastrukturellen Anforderungen sind riesig, die Kosten (für Investoren und Verbraucher) hoch, die kommerziellen Risiken beachtlich und die gesellschaftliche Akzeptanz, auch hinsichtlich vager Sicherheitsbedenken, ungewiss.

Gleichzeitig fehlt vielen EU-Mitgliedern die politische Priorisierung, um eine Industrie gezielt aufzubauen. Schon jetzt wird angemahnt, dass Politiker sicherstellen müssten, dass CCS-Technologien nicht einfach dafür genutzt würden, der Kohle-, Öl- und Gasindustrie eine neue Lebensader zu eröffnen. Diese Sorge treibt Aktivisten und Forscher besonders um.

«Dass die Öl- und Gasunternehmen über die technischen Kapazitäten und das Wissen verfügen, reicht als Argument nicht aus, wenn sie diese nutzen, um mehr Gas und Öl zu fördern», sagt auch Mazzotti. Der Anteil der fossilen Brennstoffe am Energiemix müsse gleichzeitig reduziert werden. Auch die Brüsseler Strategie sieht bis 2040 einen Verbrauchsrückgang von rund 80 Prozent im Vergleich zu 2021 vor.

Tausende Kilometer durch Europa

In der Schweiz wird derweil schon geübt, CO2 über Landesgrenzen zu transportieren und im Untergrund verschwinden zu lassen. Bisher sind 80 Tonnen von Bern nach Island gebracht worden.

Wie kann man sich eine solche Reise durch Europa vorstellen? Der ETH-Professor Marco Mazzotti erklärt es so: Zuerst bringt ein Lastwagen das verflüssigte CO2 in sogenannten ISO-Containern – man stelle sich Grossraumbehälter oder Seefrachtcontainer vor – von Bern nach Basel. Dann gelangt die Fracht per Eisenbahn nach Rotterdam in den Niederlanden, von dort mit einem Schiff nach Reykjavik und schliesslich per Lastwagen zur isländischen Lagerstätte. Ein Container fasst 20 Tonnen CO2. Es wird geplant, eine Gesamtmenge von fünfzig solchen Behältern nach Island zu transportieren. Letztes Jahr sind fünf angekommen.

Noch sind die Mengen sehr klein, für die klimapolitischen Anforderungen der Schweiz irrelevant. Aber mit ihnen wird ein neuer Vorgang getestet, CO2 in Meerwasser zu lösen und ins Gestein zu verpressen. Das Unterfangen ist wissenschaftliches Neuland: Es würde die Mineralisierung von CO2 ohne Frischwasser ermöglichen – ein Plus, da dieses in vielen Regionen der Welt zunehmend zu einem knappen Gut wird.

Der Norden dominiert

Die überschaubaren Dimensionen und das kontrollierte Umfeld in Island hälfen dabei, mögliche Sicherheitsrisiken des Verfahrens zu beobachten und zu entschärfen sowie dessen Wirkungsgrad zu bewerten, sagt Mazzotti. Das teure Pilotprojekt soll so künftig Transporte und Lagerungen im grossen Stil ermöglichen. «Wir sind mit dem Ferntransport von Gas vertraut. Mit CO2 kehren wir diesen Fluss um. Wir gehen in die entgegengesetzte Richtung, um es zu entsorgen», so fasst Mazzotti die Aufgabe zusammen.

Dass Schweizer CO2 nun Tausende Kilometer nach Island transportiert wird, hat einen weiteren praktischen Grund. Es war der einzige Ort, wo eine Speicherstätte verfügbar war, und das dortige Unternehmen Carbfix zeigte sich bereit, «fremdes» CO2 aufzunehmen, wie Mazzotti sagt.

CO₂ wird in vulkanisches Gestein gepumpt und mineralisiert

Schon jetzt warnen Beobachter davor, dass CO2-Speicherstätten und die Kapazitäten in Europa ungleichmässig verteilt seien. Heute preschen vor allem die Nordsee-Anrainerstaaten vor, angeführt von Norwegen, aber auch Dänemark und die Niederlande positionieren sich. Diese Länder blicken auf eine lange Geschichte in der Öl- und Gaserzeugung zurück und möchten nun einen neuen Geschäftszweig in den erschöpften Offshore-Feldern aufbauen.

Heute zögern Unternehmen noch, in Lager- und Transportmöglichkeiten zu investieren. Zu den Gründen gehören die Ungewissheit über künftige CO2-Mengen, langwierige Genehmigungsverfahren wie auch hohe Kapitalkosten zu Anfang. Um sicherzustellen, dass CO2 künftig in grossen Mengen abgeschieden und gespeichert werden kann, braucht es laut Brüssel deswegen auch eine koordinierte Planung und gemeinsame Standards zwischen den Ländern sowie Investitionsförderung.

Dazu kommen weitere Herausforderungen und Unsicherheiten: Länder verfügen entweder von vornherein nicht über genügend Speicherstätten, oder es erweisen sich potenzielle Lagerplätze als unbrauchbar. Gleichzeitig könnte die mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz das Lagern von CO2 vor Ort unterbinden, auch wenn es Platz gibt.

Um Spannungen und Engpässe zu vermeiden, müssen Speicherstätten ausserhalb des Nordseeraums erschlossen werden, insbesondere im Süden und im Südosten Europas. Eine umfangreiche Pipeline-Infrastruktur solle das Ganze über EU-Grenzen hinaus vernetzen und die Transportkosten reduzieren, schreibt die EU-Kommission.

Das betont auch Mazzotti im Gespräch. In der Schweiz, sagt er, gebe es zwar Gesteine, in denen sich CO2 möglicherweise speichern liesse. Aber es sei unklar, ob das in grossem Massstab genutzt werden könne. Man müsse also schon heute nach Alternativen im Ausland suchen. Als Binnenland hat die Schweiz natürlich einen Standortnachteil, «weil wir weit vom Meer entfernt sind», so Mazzotti. Längerfristig könnte der Schweizer Standort in der Mitte Europas jedoch einen Vorteil haben: «Wir sind von der nördlichen Infrastruktur und von Südosteuropa gleich weit entfernt.»

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