Die Fahnder vom Hafen Antwerpen präsentierten die neuste Statistik. Bob Van den Berghe war jahrelang Chefinspektor, er entdeckte die raffiniertesten Kokainverstecke. Eine Fracht überraschte besonders.
Es ist ein paradoxes Bild: mehr Drogenfunde, aber weniger Stoff. Wie die belgischen Zollbehörden am Donnerstag bekanntgaben, entdeckten sie im vergangenen Jahr im Hafen von Antwerpen in 136 Schiffsladungen Kokain – rund zehn Prozent mehr Funde als im Vorjahr. Gleichzeitig ging die Gesamtmenge des sichergestellten Kokains spektakulär zurück, von 121 auf 44 Tonnen.
Mit andern Worten: Die Drogenmafia portioniert ihre Ware nunmehr in deutlich kleinere Einheiten und reduziert damit ihr Geschäftsrisiko. Zudem ist in den verschiedenen Häfen Lateinamerikas 2024 gegenüber dem Vorjahr eine fast doppelt so hohe Menge Kokain gefunden worden (81 Tonnen im Vergleich zu 45 Tonnen), die für Antwerpen bestimmt war. Ein Aufatmen wäre also verfrüht.
Wie gefährlich der Job der Drogenfahnder ist, zeigte sich an der Pressekonferenz. Obwohl keine konfiszierte Ware präsentiert wurde, bewachten rund drei Dutzend Zollbeamte das Areal, viele von ihnen mit Sturmgewehren bewaffnet. Einer, der das schmutzige Geschäft wie wenige andere kennt, ist Bob Van den Berghe: Er ist stellvertretender Leiter des Uno-Programms «Passagier- und Frachtkontrolle», das Polizisten und Zöllner für die Drogenbekämpfung schult. Im Interview erklärt er, wie es kommt, dass diese bei einer Schiffsladung Verdacht schöpfen.
Herr Van den Berghe, man nennt Sie den «Containerjäger» . . .
(Unterbricht.) Ich mag diese Bezeichnung nicht.
Warum? Nur wenige Personen haben so viel Einblick in den internationalen Drogenschmuggel wie Sie.
Das mag sein. Aber meine Arbeit reicht viel weiter, als der Begriff suggeriert. Mit meinem Team bilde ich auf der halben Welt Personen aus, die dann illegale Machenschaften aufzudecken versuchen. Zudem bin ich mittlerweile nicht mehr an der «Front», inspiziere selber also keine Container mehr.
Aber Sie waren lange Jahre Chefinspektor der Anti-Drogen-Behörde im Hafen von Antwerpen und haben Tausende Container kontrolliert. Wie fühlt es sich an, wenn man in einer Fracht auf eine Tonne Kokain stösst?
Das ist schon ein Gefühl der Genugtuung und der Freude – ein bisschen, wie wenn man ein Geschenk erhält. In der Regel stösst man allerdings nicht einfach aus dem Nichts auf eine Drogenladung, sondern man folgt Indizien.
Zum Beispiel?
Man muss sich vorstellen: Von allen Containern, die auf den Weltmeeren unterwegs sind, werden nur rund zwei Prozent inspiziert. Natürlich wären mehr Kontrollen möglich – aber das würde die zeitlich eng abgestimmten Lieferketten zu stark behindern und die Produktivität verringern.
Die Frage war aber: Was braucht es, damit bei den Zöllnern die Alarmglocken schrillen?
Das kann ich leider nicht verraten, wir wollen den Kriminellen ja nicht die Arbeit erleichtern.
Wissen die nicht ohnehin, dass die Behörden ihre Tricks kennen und nehmen bei der geringen Kontrolldichte einfach in Kauf, dass von Zeit zu Zeit eine Ladung «verlorengeht»?
Die Banden rechnen einen Discount in ihre Buchhaltung ein, ja. Aber die Tatsache, dass sie immer kreativer werden, um die Drogen zu verstecken, spricht nicht dafür, dass ihnen die Verluste einfach egal sind.
Sind die mit Cellophan umwickelten Kokainbarren in der Bananenschachtel also nicht mehr en vogue?
Diese Methode ist weiterhin die meistverbreitete Vorgehensweise, weil sie verhältnismässig simpel ist. Aber immer mehr sehen wir Produkte, die richtiggehend mit Drogen imprägniert sind. Der Stoff muss danach über ein chemisches Verfahren wieder extrahiert werden. Das ist für die Schmuggler aufwendiger, dafür ist die Aufklärung viel schwieriger, weil zum Beispiel Spürhunde oder Scanner nicht darauf reagieren.
Also wie – Koks im Gewebe eines Teppichs?
Ja, zum Beispiel. Oder im Fruchtsaft. Oder in einem Stück Holz.
Wie mischt die Drogenmafia ein Pulver in einen harten Gegenstand wie Holz?
Indem sie das Kokain zur sogenannten Kokainbase verflüssigt und die Holzplatte damit tränkt. Neben dem grossen Aufwand, solche Methoden aufzudecken, stellt sich den Ermittlern eine weitere Schwierigkeit: In vielen Ländern haben die Behörden schlicht nicht die Möglichkeiten, die Drogen aus den Produkten herauszulösen – das ist technisch komplex, und das Endprodukt vernichtet man ja danach sowieso. Das bedeutet aber auch, dass die Ermittler gar nicht genau beziffern können, wie viele Kilogramm oder Tonnen sie nun gefunden haben.
Apropos Statistik: Gemäss den jüngsten Zahlen sind im Hafen von Antwerpen, dem mutmasslich grössten Drogen-Eingangstor in Europa, deutlich weniger Drogen entdeckt worden als im Vorjahr. Wird weniger geschmuggelt oder weniger kontrolliert?
Weniger kontrolliert wird nicht, im Gegenteil. Aber der Modus Operandi der Kriminellen, wie vorhin beschrieben, ändert sich langsam. Sie weichen zudem auf andere Routen aus. Und die Beschlagnahmungen in den Exportländern haben deutlich zugenommen, was erfreulich ist. Wird weniger verschifft, muss in den Ankunftshäfen weniger inspiziert werden.
Sind Kolumbien, Bolivien, Peru eigentlich immer noch die klassischen Produktionsländer?
Für Kokain ja. Andere Drogen werden globaler produziert. Und manchmal gibt es erstaunliche Funde: Kürzlich wurden in einem Container, der von Pakistan nach Europa ging, Methamphetamine gefunden. Das ist sehr untypisch.
Weil für synthetische Drogen Know-how und Infrastruktur notwendig ist, die im Westen eher vorhanden ist?
Ja, da scheint sich etwas verlagert zu haben. Ähnlich überraschend war auch die Ecstasy-Lieferung, die von Spanien nach Costa Rica ging. Vielleicht war das ein Gegengeschäft für eine Kokainlieferung.
Sie sagten, dass die ausgebildeten Zöllner nicht nur Container inspizieren würden. Wie wichtig ist der Drogenhandel per Flugzeug?
Im Vergleich zum Gesamtvolumen ist er gering. Der Grund liegt auf der Hand: Im Frachtgepäck können nur kleine Mengen transportiert werden, und ein höherer Prozentsatz der Ware wird inspiziert. Aber der Flugzeuganteil nimmt zu.
Ob per Schiff oder Flugzeug – ohne korrupte Beamte würde das Geschäft nicht funktionieren. Sind Sie auch schon von den Banden angegangen worden?
Ich persönlich nicht. Aber natürlich ist das gerade in den Entwicklungs- und Schwellenländern ein grosses Problem. Je tiefer der Lohn, desto höher die Empfänglichkeit für Bestechungen. Über meine lange Karriere hinweg nehme ich hier aber Fortschritte wahr: Werden heute mehr Drogen denn je geschmuggelt, ist dies in erster Linie auf die professionelleren Produzenten zurückzuführen – und auf die Nachfrage, die immer grösser wird.
In der Tat ist, auch dank den tiefen Preisen, gerade Koks zu einer Allerweltsdroge geworden. Ist der Kampf dagegen überhaupt noch zu gewinnen?
Ich glaube nicht, nein. Die Auswirkungen des Drogenhandels sind zwar enorm, nicht nur für die Konsumenten, sondern wegen der Gewalt, der Korruption und der sozialen Verwerfungen auch für die gesamte Gesellschaft. Dennoch ist eine drogenfreie Gesellschaft eine Illusion, die wir aufgeben müssen. Rein repressive Massnahmen führen nicht zum Ziel – oder nur zu einem Preis, der für die Handelsbeziehungen nicht hinnehmbar ist. Der erfolgversprechende Weg wäre, wenn die Produzenten – oftmals Kleinbauern – genügend attraktive Alternativen hätten.
Wäre es nicht sinnvoller, Drogen vollständig zu liberalisieren und damit den Schwarzmarkt zu zerschlagen?
Das halte ich nicht für sinnvoll. Wir wissen, dass der Schwarzmarkt nicht einfach verschwindet, weil eine Ware legal ist. Schauen Sie den grossflächigen Medikamentenschmuggel an. Wirksamer wäre es, wenn die Konsumenten verantwortungsvoller handeln würden – darauf versuchen wir hinzuwirken. Alle Partygänger, die sich im Klub eine Linie Koks ziehen, sollten sich bewusst sein, dass sie mit ihrem Konsum viel Leid verursachen.