Donnerstag, Juli 4

Im Norden Syriens gibt es heftige Proteste gegen die türkische Armee. Auslöser der Unruhen sind Ausschreitungen gegen Syrer in der Türkei. Aber auch Spekulationen über eine Annäherung zwischen Ankara und Damaskus spielen eine Rolle.

Wütende Demonstranten sind in vielen Städten im Nordwesten Syriens gegen die türkische Militärpräsenz auf die Strasse gegangen. In der Region Afrin rissen aufgebrachte Syrer am Montag die türkische Fahne herunter, besetzten türkische Einrichtungen und attackierten Lastwagen an einem Grenzübergang zur Türkei. Bei Zusammenstössen mit der türkischen Militärpolizei seien vier Menschen erschossen und über zwanzig weitere verletzt worden, meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Dienstag.

Die Proteste sind in erster Linie eine Reaktion auf antisyrische Ausschreitungen in der Türkei. In Kayseri, Antalya, Kilis und anderen Städten hatten Türken Syrer angegriffen und syrische Geschäfte und Autos verwüstet. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein und nahm allein in Kayseri Dutzende Randalierer fest. Auslöser der Unruhen war ein Vorfall in der zentraltürkischen Stadt Kayseri, bei dem am Sonntag ein Syrer beschuldigt wurde, ein syrisches Mädchen belästigt zu haben.

Die Unruhen im Norden Syriens sind aber auch vor dem Hintergrund einer möglichen Aussöhnung der Türkei mit Syriens Diktator Bashar al-Asad zu sehen. Die Aussicht auf eine Normalisierung der Beziehungen beunruhigt sowohl die syrischen Flüchtlinge in der Türkei als auch die syrischen Regimegegner im Norden Syriens. Sollte die Türkei ihre Truppen aus der Region abziehen, wären die syrischen Oppositionsgruppen den Soldaten Asads schutzlos ausgeliefert.

Erdogan zeigt sich offen für Aussöhnung mit Asad

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Freitag gesagt, es gebe keinen Grund, warum die Türkei ihre Beziehungen mit Syrien nicht normalisieren sollte. Zwei Tage zuvor hatte Asad seinerseits verkündet, er sei offen für alle Initiativen zur Wiederherstellung der Beziehungen mit der Türkei, sofern die Souveränität des syrischen Staates über das gesamte Territorium anerkannt werde. Er spielt damit offensichtlich auf die anhaltende Präsenz türkischer Truppen im Norden Syriens an, die ihm seit Jahren ein Dorn im Auge ist.

Nun steht eine Normalisierung der Beziehungen nicht direkt bevor. Eine Aussöhnung Erdogans und Asads würde voraussetzen, dass die Türkei ihre Truppen aus Afrin, Idlib und dem Gebiet um al-Bab abzieht. Ein Abzug der Truppen aus Idlib hätte aber wohl eine neue Offensive Asads auf die letzte Bastion der syrischen Regimegegner zur Folge. Dort herrscht eine prekäre Waffenruhe, seitdem die Türkei im Frühjahr 2020 eine Offensive Asads zurückgeschlagen hat.

Die Region Idlib wird seit Jahren von der Jihadistengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) kontrolliert. Entlang der Frontlinie zu den Gebieten des Asad-Regimes hat die Türkei Tausende Soldaten stationiert. Sie ist auch in der Region Afrin, um al-Bab und entlang der Grenze im kurdischen Nordosten Syriens mit Truppen präsent. Sie rechtfertigt die Besetzung mit dem Kampf gegen Terroristen, womit sie sowohl den Islamischen Staat (IS) als auch die kurdische YPG-Miliz meint.

Die Stimmung droht gegen die Türkei zu kippen

Die syrischen Kurden sehen die Türken schon immer als Besetzer, doch von vielen syrischen Arabern wurde die Türkei bisher als Schutzmacht gegen das Asad-Regime geschätzt. Ankara hat im Nordwesten eine eigene Verwaltung aufgebaut und die türkische Lira als Währung eingeführt. Es gibt sogar Filialen der türkischen Post. Nun könnte aber die Stimmung kippen. Der Syrien-Experte Charles Lister schrieb, die öffentliche Rhetorik habe sich abrupt gegen die Türkei gewandt, die nun als Besetzer, Bedrohung und rassistischer Staat bezeichnet werde.

Für Syrer in der Türkei ist es derweil schon seit längerem ungemütlich. Das Land hat seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien vor 13 Jahren 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen. Viele sind heute gut integriert, haben Arbeit und eigene Geschäfte. Viele Türken werfen ihnen aber vor, auf Kosten des türkischen Staates zu leben, ihnen Arbeitsplätze wegzunehmen und Wohnungen streitig zu machen. Die Stimmung wird von der Opposition noch zusätzlich angeheizt.

Vor der Parlaments- und Präsidentenwahl im Frühjahr 2023 machte der Oppositionskandidat Kemal Kilicdaroglu gezielt Wahlkampf mit dem Thema. Präsident Erdogan warf der Opposition am Montag daher vor, mit ihrer Rhetorik das Verhältnis zu den Syrern vergiftet zu haben. Die Angriffe auf syrische Geschäfte verurteilte er scharf. Allerdings hat seine Regierung längst selbst das Vorgehen gegen die Syrer verschärft und Flüchtlinge nach Syrien deportieren lassen.

Eine Normalisierung der Beziehungen mit Damaskus würde es erlauben, einen Teil der Syrer in die Heimat zurückzuschicken. Eine Aussöhnung mit Asad wäre allerdings eine 180-Grad-Kehrtwende für Erdogan, der sich nach Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 auf die Seite der Opposition gestellt und zum Sturz Asads aufgerufen hatte. 13 Jahre später ist der Diktator allerdings immer noch an der Macht. Viele arabische Staaten haben ihre Beziehungen mit Asad bereits wieder normalisiert. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Türkei ihrem Beispiel folgt.

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