Freitag, Januar 3


Haare wie ein Helm

Ein Blick auf Laufstege, Leinwände und den roten Teppich zeigt: Es könnte höchste Zeit sein für Lockenwickler und jede Menge Haarspray.

Babe Paley ist ein Häufchen Elend. Ihr Gesicht ist tränenüberströmt. Sie scheint ihren Körper kaum aufrecht halten zu können. Aber die Haare? Die sitzen. Und zwar hoch und höher, wie ein Heiligenschein auf ihrem Haupt. Oder besser: wie eine mit Elnett fixierte Krone. Die Königin der New Yorker High Society mag gerade erfahren haben, dass ihr Ehemann sie noch immer mit der Frau des Gouverneurs betrügt. Aber da oben auf ihrem Kopf, da ist die Welt noch in Ordnung.

Die Anfangsszene der neuen Streaming-Serie «Feud: Capote vs. The Swans» spielt 1968 und enthält trotz der misslichen Lage von Paley (Naomi Watts) einen kleinen, naiven Hoffnungsschimmer. Denn ihr guter Freund Truman Capote (Tom Hollander) ist zum Trost und zur Ablenkung da, und eben, diese unbeirrbaren Haare.

Es ist eine Art von Frisur, die später aus der Zeit fiel und lange dort blieb: an der Krone voluminös, offensichtlich «gemacht», sorgfältig, aber gelegentlich etwas streng.

Unbeirrbare Haare

Nun sind sie wieder da, diese Helme aus Haar, zumindest in der Mode und der Pop-Kultur. Bei der Präsentation der Herbst/Winter-Kollektion 2024 von Marc Jacobs im Januar trugen die Models toupierte Perücken wie Zuckerwatte auf dem Kopf. Eine Woche davor, bei der gefeierten Couture-Show von John Galliano für Maison Margiela, schienen die aufgetürmten Haare zwar vom Winde verweht, aber in der Zeit gefroren. Sie stammten vom selben Stylisten, dem Engländer Duffy. In Sofia Coppolas neuestem Film, «Priscilla», waren es besonders die üppigen Bouffants, die Priscilla Presley (Cailee Spaeny) stilistisch charakterisierten.

Eine Frisur wie keine andere

Und natürlich ist da Miley Cyrus, seit einigen Tagen Grammy-Gewinnerin, die den Anlass mit einer unzerstörbaren, nach oben und hinten toupierten Mähne bestritt. Fuhren ihre Outfits und ihr musikalischer Auftritt fast ausschliesslich Lob ein, erwies sich die Frisur des Pop-Stars als polarisierend. Manche sahen darin eine gelungene Hommage an Tina Turner oder ihre Patentante Dolly Parton. Andere fanden, sie sehe damit einfach nur alt aus.

Der Kontrast zwischen Cyrus› Frisur und denen ihrer Grammy-Mitstreiterinnen war unübersehbar. Trotz Stylistinnen und Stylisten ist auf dem roten Teppich grösstenteils noch immer das angesagt, was auch im Alltag in einer weniger ausgefeilten Version zu sehen ist: schlichtes, glänzendes, manchmal leicht gewelltes Haar, das locker über die Schultern fällt oder am Hinterkopf zusammengebunden wird. Trotz immer mehr Hilfsmitteln sind die grossen Haargebote des 21. Jahrhunderts Natürlichkeit und Gesundheit, oder zumindest deren Schein. Beach-Waves statt Bouffant, Dyson Airwrap statt Lockenwickler.

Eine alte Illusion

Wir sind es uns deswegen schlicht nicht mehr gewohnt, hochgetürmte Haare zu sehen. Vielmehr soll Schönheit mühelos wirken. Die «Swans» wie Babe Paley zeigten in den sechziger und siebziger Jahren mit ihren Frisuren, dass sie Zeit und Geld hatten. Ihre Haare waren Statussymbol und Stilmittel zugleich. Und sie enthielten zwischen den Strähnen eine alte Illusion: Hat man seine Haare unter Kontrolle, hat man auch sein Leben im Griff.

FEUD: Capote Vs. The Swans | Official Trailer | FX

Babe Paleys Frisur stammte wie viele der berühmtesten voluminösen Haarprachten des 20. Jahrhunderts – seien es Marilyn Monroes oder Jackie Kennedys – vom Starcoiffeur Kenneth Battelle, schlicht als «Kenneth» bekannt. Der Amerikaner sah die Frisur als Verlängerung des Kopfs und nutzte das Schneiden und Stylen zum fast bildhauerischen Ausgleichen der Gesichtsform. Auf Bildern konnten die Frisuren steif aussehen, aber im echten Leben bewegten sie sich sanft mit der Trägerin mit. «Mrs. P. hatte nur einen Fehler,» schrieb Truman Capote einmal über Babe Paley: «Sie war perfekt; sonst war sie perfekt.»

Die Ära der Puppen

Es ist genau dieses Perfekte und Puppenhafte, das Paley und Frisuren wie ihre derzeit so interessant macht. Sowohl John Galliano als auch Marc Jacobs spielten in ihren Kollektionen darauf an, zogen es ins Extreme und untergruben es. Die Puppe mag eine ewige Faszination sein, aber seit «Barbie», «Poor Things» und jetzt «Feud» ist sie wahrlich unumgänglich. Sie verkörpert Ideale und spiegelt sie an uns zurück. Sie will menschlich sein, aber kämpft dagegen an. Ihre Geschichte ist immer die eines Ausbruchs, oder zumindest des Versuchs.

Es ist ein ähnliches Narrativ, dem sich Miley Cyrus in ihrem (hoffnungslos überspielten) Song «Flowers» bedient. Darin besingt sie ihre Rückkehr zur Selbstbestimmtheit nach der Trennung von ihrem Ex-Mann. Als sie das Lied auf der Grammys-Bühne nach dem Gewinn sang, waren ihre Haare zwar toupiert und festgesprüht, aber gerade dadurch voluminös und ungezähmt aussehend.

Auf Tiktok gibt es bereits erste Anleitungen zu Cyrus’ Look. Als echter Trend muss er sich erst noch beweisen. Im Zweifelsfall lohnt es sich aber, an die Worte des Friseurs Kenneth zu denken, der seine einflussreiche Arbeit trotz allem als fundamental flüchtig sah. «Was ich tue», sagte er einmal, «ist nur ein Schamponieren davon entfernt, nichts zu sein.»

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