Nach den Wahlen am Sonntag fordern die Rechtsaussen-Parteien ein neues Bündnis gegen Kommissionspräsidentin von der Leyen und ihre Migrationspolitik.
Europa rückt nach rechts. Dieser Trend war der Europäischen Union, die in den vergangenen Jahren eine Serie schwerer Krisen bewältigen musste, vorhergesagt worden. Dementsprechend legen nach vorläufigen Ergebnissen europaweit vor allem konservative und rechte Parteien zu, die den Fokus auf die Sicherheit, auf eine weniger ökologisch regulierte Wirtschaftspolitik und strengere Asyl-Regeln legen. Grüne Parteien, die noch 2019 unter dem Eindruck der Klimakrise in vielen Mitgliedstaaten zu den grossen Gewinnern zählten, stürzen fünf Jahre später ab.
Schmach für Macron
Nach den Hochrechnungen vom Sonntag kann die christlichdemokratische Europäische Volkspartei (EVP) ihren Platz als stärkste Fraktion im Europäischen Parlament klar behaupten. Ursula von der Leyen, die deutsche Kommissionspräsidentin und Spitzenkandidatin der EVP, sieht das als Bestätigung für eine zweite Amtsperiode. Sie kündigte am Sonntagabend Gespräche mit den europäischen Sozialdemokraten und der liberalen Renew-Fraktion an.
Die sozialdemokratische Parteienfamilie (S&D) hat Verluste, bleibt aber auf dem zweiten Platz. Die liberale Renew-Europe-Fraktion und die Grünen verlieren deutlich. Die EKR und die ID-Fraktion, in denen sich die nationalkonservativen bis rechtsextremen Parteien sammeln, sind stärker geworden. Die Linksaussenfraktion verliert leicht.
Zu den grössten Gewinnern der Wahl zählt das Rassemblement national (RN), Frankreichs stärkste Oppositionspartei, deren Galionsfigur Marine Le Pen dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron eine schmachvolle Niederlage bereitete. Mit 31,5 Prozent erhielt das RN mehr als doppelt so viele Stimmen wie die Liste von Macron. Jordan Bardella, der Spitzenkandidat Le Pens, forderte am Sonntag denn auch vorgezogene nationale Wahlen. «Der Präsident kann sich nicht taub stellen nach dieser klaren Botschaft durch das französische Volk», sagte Bardella.
Macron ging darauf ein und kündigte noch in der Nacht zu Montag neue Parlamentswahlen für den 30. Juni und den 7. Juli an. Er habe beschlossen, den Franzosen erneut «die Entscheidung über unsere parlamentarische Zukunft durch die Wahl zu überlassen», sagte Macron. Diese Entscheidung sei ernst und schwer, aber vor allem «ein Akt des Vertrauens».
Neben Bardella wurde auch Fabrice Leggeri ins Parlament gewählt. Der im Streit geschiedene ehemalige Chef der Grenzschutzagentur Frontex ist ein erbitterter Gegner der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Im Gespräch sagt er, er hoffe nach den Wahlen auf ein neues Bündnis von Rechtsaussen-Parteien. Es sei das gemeinsame Ziel, die katastrophale Migrationspolitik der EU zu korrigieren. Die EU müsse in eine «Union der Vaterländer» umgewandelt werden.
Auch die AfD gehört zu den Gewinnern der Europawahl. Trotz dem Skandal um ihren Spitzenkandidaten Maximilian Krah, der im Wahlkampf die Verbrechen der Waffen-SS relativiert hatte, kommt sie nach den Hochrechnungen auf ein Plus von 5 Prozent. Aus der Rechtsaussen-Fraktion «Identität und Demokratie», zu der auch das RN gehört, war die AfD im Mai hinausgeworfen worden. Aus Kreisen der Partei war am Sonntag im Europaparlament aber zu hören, dass die AfD-Abgeordneten dabei seien, ein Versöhnungsschreiben an Le Pen aufzusetzen. Es bestehe die Hoffnung, wieder in einer gemeinsamen Fraktion zusammenzuarbeiten.
Leggeri sieht diese Versöhnung nicht. Stattdessen sei seine Partei dabei, mit den Fratelli d’Italia der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni auf europäischer Ebene zu kooperieren. Die Gespräche seien sehr vielversprechend verlaufen, sagt der Ex-Frontex-Chef, «zumindest hat sie nie Nein zu uns gesagt.»
Denkzettel für die «Ampel»
In Deutschland wurde der regierenden Ampelkoalition ein klarer Denkzettel verpasst. Vor allem die Grünen liegen laut Hochrechnungen bei 11,9 Prozent und damit weit unter ihrem Rekordergebnis von 2019 (20,5 Prozent). Reinhard Bütikofer, der scheidende deutsche Europaabgeordnete der Partei, der die Politik seiner Fraktion in Brüssel massgeblich geprägt hatte, differenziert. In Deutschland und Frankreich habe seine Parteifamilie zwar schlecht abgeschnitten. Es gebe aber auch Gegentrends in Ländern wie Kroatien, Slowenien oder im Baltikum. Dort hätten die Grünen zugelegt, obwohl es keine starke Parteitradition gebe. Die Niederlage will er aber auch nicht wegreden.
Vor fünf Jahren, erklärt Bütikofer, sei die Klimakrise gesellschaftlich viel präsenter gewesen. Dann seien die Covid-Pandemie, der russische Angriff auf die Ukraine und die damit verbundenen negativen wirtschaftlichen Folgen gekommen. «Seither ist Sicherheit der dominante Begriff in der Politik», so Bütikofer. Die Grünen hätten es nicht geschafft, die Bürgerinnen davon zu überzeugen, dass die Fortsetzung der grünen Wende eine Bedingung für gesellschaftliche Resilienz sei.
Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament waren mehr als 360 Millionen Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, 720 Europaabgeordnete aus 27 Mitgliedstaaten nach Brüssel und Strassburg zu wählen. Die Wahlbeteiligung lag – wie vor fünf Jahren – bei 51 Prozent. In Frankreich gingen dieses Mal mehr Menschen zur Europawahl, was auch ein Indiz für die Unzufriedenheit vieler Franzosen mit der Regierung ist.

