Mittwoch, März 19

Die provisorische Einigung in der EU auf verschärfte Sorgfaltspflichten für grosse Firmen hat sich in Luft aufgelöst. Diese Woche haben viele Mitgliedstaaten mit ihrer Opposition eine Verabschiedung der neuen Regeln verhindert.

Das Prozedere in der EU für neue Gesetze geht oft etwa wie folgt: Die EU-Kommission schlägt etwas vor, das EU-Parlament will noch weiter gehen, der Ministerrat (der die Mitgliedländer vertritt) drückt auf die Bremse, und schliesslich einigen sich die Verhandlungsdelegationen von Parlament und Ministerrat auf einen Kompromiss – dessen formelle Bestätigung durch Parlament und Ministerrat in der Regel nur noch Formsache ist.

So lief es auch grossenteils bei der Kontroverse um das geplante EU-Lieferkettengesetz. Die Verhandlungsdelegationen von Parlament und Ministerrat hatten sich im vergangenen Dezember auf verschärfte Sorgfaltspflichten für Unternehmen mit mindestens 500 Angestellten und einem weltweiten Umsatz ab 150 Millionen Euro geeinigt. Für Risikobranchen wie etwa Textilien, Landwirtschaft und Rohstoffabbau sind tiefere Schwellenwerte vorgesehen.

Die Sorgfaltspflichten der Firmenzentralen sollen auch deren Tochtergesellschaften in aller Welt und die ganze Lieferkette sowie sogar gewisse Kunden betreffen. Nebst erheblichen Bussen bei Verfehlungen war auch eine ausdrückliche zivilrechtliche Haftung der Firmenzentralen für absichtlich oder fahrlässig verursachte Schäden vorgesehen. In einigen Punkten liegen die geplanten EU-Regeln nahe bei der gescheiterten Schweizer Konzernverantwortungsinitiative, in anderen Punkten gehen sie weniger weit.

Bürokratiemonster befürchtet

Doch seither hat sich die Einigung in Luft aufgelöst. Lautstarker Widerstand kam zunächst vor allem aus deutschen Industriekreisen, die ein bürokratisches Monster und grosse Rechtsunsicherheit befürchteten. In der deutschen Regierung stiessen solche kritischen Stimmen vor allem bei der FDP auf Resonanz. Die belgische Präsidentschaft des EU-Ministerrats hat es bisher nicht geschafft, in einer Abstimmung die nötige qualifizierte Mehrheit zu erreichen (mindestens 15 Mitgliedstaaten, die zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung umfassen).

Diesen Mittwoch ist auch der jüngste Versuch zu einer erfolgreichen Abstimmung gescheitert. Nebst Deutschland hatten auch andere Staaten wie Italien und Frankreich eine Enthaltung angekündigt – eine Enthaltung ist in der Wirkung mit einer Ablehnung gleichzusetzen. Gemäss diversen Medienberichten auf Basis der Äusserungen von Diplomaten hatte sich nur eine Handvoll von Staaten klar für das neue Gesetz ausgesprochen, während über ein Dutzend Länder Enthaltung übte.

Bern schaut nach Brüssel

Für die Schweiz ist die Entwicklung in der EU sehr wichtig. Zum einen dürften neue EU-Regeln für viele grossen Schweizer Firmen mit bedeutenden Aktivitäten in der EU direkt gelten. Und zum anderen hatte sich der Bundesrat beim Abstimmungskampf um die Konzernverantwortungsinitiative für ein «international abgestimmtes Vorgehen» ausgesprochen – was faktisch eine Ausrichtung der Schweiz auf die EU-Regeln bedeutete. Bei einer Verschärfung der EU-Regeln käme dieses Thema somit höchstwahrscheinlich auch wieder auf die Agenda der Schweizer Politik.

Wie es nach dem jüngsten Scheitern in Brüssel weitergeht, ist noch offen. Denkbar wäre ein erneuter Versuch einer Abstimmung im EU-Ministerrat in nächster Zeit. Doch ob sich der breite Widerstand in kurzer Zeit ohne Änderung des Gesetzesprojekts auflösen wird, ist höchst fraglich. «Wir sollten das EU-Lieferkettengesetz in der jetzigen Form begraben», erklärte der deutsche FDP-Justizminister Marco Buschmann dem Informationsportal «Politico». Die deutsche CSU-Europaparlamentarierin Angelika Niebler sagte Ähnliches: «Die belgische Ratspräsidentschaft sollte nun endgültig die Bremse ziehen und das Scheitern des Gesetzes eingestehen.»

Das würde nicht heissen, dass es überhaupt kein EU-Lieferkettengesetz gäbe. Aber es ist gut möglich, dass die EU über einige Lockerungen im geplanten Gesetz nachdenken muss. Eine Neuauflage des Gesetzesprojekts wäre vermutlich erst nach den EU-Parlamentswahlen von diesem Juni zu erwarten.

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