Der Euro wertet langfristig zum Franken ab. Das liegt nicht nur an der höheren Inflation in der Eurozone. Welche weiteren Faktoren den Wechselkurs ausmachen, zeigt dieser Beitrag.
«Der Euro ist die Lira von heute», las ich kürzlich in der NZZ. Das erinnerte mich an die gute alte Zeit, als ich jeweils im Sommer das Geld, das ich in einem eher eintönigen Ferienjob verdient habe, bei der örtlichen Bankniederlassung zu einem unanständigen Devisenkurs in Lira oder Franc gewechselt habe und mich mit einem untermotorisierten Untersatz ohne Klimaanlage Richtung Strada del Sole verabschiedete.
Schon während des endlosen Passierens von Zahlhäuschen verloren die so gewechselten Devisen unbarmherzig an Wert, und hätte ich auch nur einen kleinen Teil der Ersparnisse zurück in die Schweiz gerettet, wäre ich erstaunt gewesen über den nochmals tieferen Umwechslungskurs bei der besagten Churer Bankfiliale.
Aber der Euro?
Das bringt mich zum Thema dieser Korrelation des Monats: Was bestimmt den Wert von Währungen? Konkret: Worauf müssen Sie als in Franken denkender Investor bei Engagements in Fremdwährungen achten?
Dazu zwei interessante Vorbemerkungen:
Erstens: Haben Sie gewusst, dass es keine allgemein akzeptierte Theorie gibt, die die Veränderungen von Wechselkursen erklärt?
Zweitens: Haben Sie gewusst, wie schwer das Los von Schweizer Investoren im Fremdwährungsgeldmarkt ist?
Dazu ein Rechenbeispiel: Der Euro kostete bei seiner Einführung am 1. Januar 1999 1.597 Fr. Hätten Sie damals in den Euro investiert und damit einjährige risikofreie Zinspapiere gekauft, die Sie bei Verfall in neue einjährige Papiere gerollt haben, hätten Sie in Franken inklusive des Zinseszinses bis heute 16% verloren!
Den grössten Kursverlust hätten Sie in den letzten zehn Jahren erlitten, die SNB-Spielerei mit dem Mindestkurs und die Minuszinsen im Euroraum haben definitiv nicht geholfen. In Dollar hätten Sie mit der gleichen Strategie lediglich 2% verloren. In beiden Fällen notabene ohne Geld-Brief-Spanne, Depotgebühren, Steuern, Courtagen etc. So gesehen erinnert der Euro schon ein wenig an die Lira.
Wie die Korrelation des Monats zeigt, bewegen sich der Wechselkurs und die relative Kaufkraft («Purchasing Power Parity» oder Kaufkraftparität) des Euro zum Franken in die gleiche Richtung, nämlich abwärts:
In den letzten zehn Jahren belief sich die rollende Zweijahreskorrelation auf 0,83. Das bedeutet, dass die Inflation wichtig ist für den Wechselkurs. So gesehen riecht der Euro nach Lira.
Ebenso interessant: Der Wechselkurs ist nicht so stark abgesackt, wie es die relative Kaufkraft impliziert. Eigentlich hat der Euro real gegen den Franken sogar aufgewertet. Das tönt nicht nach Lira!
Was aber auch stimmt: Der Chart beginnt kurz nach der Aufgabe der SNB-Untergrenze, deshalb war der zwischen 2015 und 2018 aufgetretene Rebound absehbar. Die reale Aufwertung bleibt allerdings ein schwacher Trost angesichts der doch deutlichen nominalen Abwertung.
Zeit, sich die grundlegende Frage zu stellen: Wovon hängen Wechselkurse ab? Wie oben erwähnt, gibt es keine brauchbare Theorie zur Erklärung von Wechselkursschwankungen.
Ich schaue auf Kaufkraft, Zins und Vertrauen:
Kaufkraft: Währungen mit hoher Inflation verlieren an Wert. So viel ist klar.
Zins: Der Zins wird unabhängig vom Wechselkurs bezahlt. Er sollte also nicht ins Kalkül des Wechselkurses einfliessen. Wir wissen aber alle, dass er das trotzdem tut. Beim Lesen der Währungsanalysen der Banken sehen Sie sofort, wie wichtig der Zins für die Währungsstrategen ist. Denn Wechselkurse bilden sich durch Flows. Die Aussicht auf höhere Zinsen sorgt für Kaufdruck auf die Währung und vice versa.
Kaufkraft + Zins = Realzinsdifferenz? Der Schluss liegt nahe, dass der Wechselkurs von den relativen Realzinsen abhängt. So einfach ist es aber leider nicht, auf Basis von Realzinsdifferenzen finden wir keine brauchbaren Korrelationen zur Erklärung der Währungspaare.
Wir empfehlen, pragmatisch zu sein, und fragen uns: Was zeigt die Empirie, und macht es Sinn? In meinem Bewertungsmodell für den Wechselkurs €/Fr. maximieren folgende Bausteine die Korrelation des Modells:
- Die Inflationsdifferenzen bleiben zentral, sie bilden das Rückgrat der Bewertung und erklären fast die Hälfte des Modells.
- Die Währungsmanipulationen der SNB sind ebenfalls wichtig: Wir schauen auf die Veränderungen der Währungsreserven in der SNB-Bilanz. Dieser Modellbaustein ist enorm hilfreich für die Erklärungskraft des Modells.
- Dem Euro hilft es, wenn global wenig Finanzstress herrscht, d.h. er ist negativ korreliert zur Volatilität an den Finanzmärkten; strube Zeiten nützen dem Franken. Ein wichtiger Baustein!
- Die Leitzinserwartungen für den Euro verbessern das Modell ebenfalls.
- Erst an fünfter Stelle rangieren die nominalen Zinsdifferenzen zwischen der Eurozone und der Schweiz.
- Komplettiert wird das Modell mit der Renditedifferenz zwischen Frankreich und Deutschland einerseits und der Staatsverschuldung der Eurozone andererseits, beides Modellbausteine der Marke «Vertrauen». Gut möglich, dass dieser Modellbaustein in der Zukunfts ungleich wichtiger werden könnte!
Das gesamte Modell verfügt über eine nochmals verbesserte Korrelation von 0,93.
Ist der Euro nun die neue Lira?
Im eingangs erwähnten Zeitungsartikel ist die Rede von «gedrückter Unternehmensstimmung im Euroraum», Sorgen um das «Funktionieren der Währungsunion», die drohende Abschaffung der deutschen Schuldenbremse, überhaupt politische und wirtschaftliche Unwägbarkeiten in Frankreich und Deutschland, Trump, die Ukraine, EZB-Zinssenkungen etc. Kurzum: Im Euroraum droht der perfekte Sturm.
Uns gefällt der Euro aus zwei Gründen nicht: Die Zinsen sind zu tief für das Risiko, und sie drohen erst noch zu fallen. Sollten alle erwähnten Gefahren eintreten, droht Deflation. Notenbanken können aber keine Deflation zulassen, weil sie die Einnahmen des Staates verringert, das Gewicht der bestehenden Schulden erhöht und so das Genick des Euro-Konstruktes brechen könnte. Die EZB würde deshalb alles tun, um zu reflationieren. Der einzig gangbare Weg wäre dann eine (ungeordnete?) Abwertung des Euro. Das ist ungemein gefährlich. Dann hätten wir sie: die Lira 2.0!
Jürg Lutz
Jürg Lutz ist Anleihenspezialist beim Schweizer Vermögensverwalter PK Assets, der auf die Anlage von Pensionskassengeldern spezialisiert ist. Er bezeichnet sich selbst als alten Hasen im Bondmarkt, was angesichts seiner dreissigjährigen Erfahrung in der Verwaltung von Anleihenportfolios nicht ganz abwegig ist. Vor geraumer Zeit hat er – gemäss eigenen Worten – nach einem dreijährigen Martyrium den CFA-Charterholder erworben. Der Bündner ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er ist beseelt von der Vorstellung, bis zu seinem Ableben die Via Spluga, die entlang des alten Säumerpfades von Thusis ins italienische Chiavenna führt, mindestens hundert Mal zu wandern. Viel fehlt ihm bis zu diesem Ziel nicht mehr.