Die Schuldenbremse des Bundes ist wirksam. Die Kostenbremseinitiative für das Gesundheitswesen soll laut den Urhebern ähnlich effektiv sein. Doch die Initianten versprechen zu viel.

Die Schuldenbremse des Bundes wirkt. Gemäss ihren Regeln darf der Bund im Durchschnitt von guten und schlechten Wirtschaftsjahren kein Defizit produzieren. In den zwölf Jahren vor Einführung der Schuldenbremse 2003 hatte der Bund seine Bruttoschulden verdreifacht auf über 120 Milliarden Franken. Danach sanken diese Schulden bis 2019 auf knapp 97 Milliarden Franken. Und der Bund wurde ab 2003 nicht etwa zu Tode gespart. Im Gegenteil: 2019 lagen die Bundesausgaben pro Einwohner und teuerungsbereinigt rund 14 Prozent über dem Niveau von 2002.

Die Schuldenbremse dient als Korrektiv zur Neigung von Politikern und Stimmbürgern, kommenden Generationen gemäss dem Motto «nach uns die Sintflut» hohe Hypotheken zu hinterlassen. Ein Lehrbuchbeispiel für diese Neigung liefert die AHV, die keine Schuldenbremse kennt.

Polster für Corona-Krise

Dank der Stärkung der Bundesfinanzen von 2003 bis 2019 konnte der Bund die massiven Sonderausgaben während der Corona-Krise ab 2020 relativ gut verdauen. Die Bruttoschulden stiegen bis Ende 2023 wieder auf 128 Milliarden Franken. Die Krisenklausel der Schuldenbremse ermöglichte in einer solchen ausserordentlichen Lage den massiven Schuldenanstieg; die Corona-Schulden sind indes laut geltenden Regeln in Zukunft wieder abzubauen. Gemessen an der Grösse der Gesamtwirtschaft ist der Schuldenstand des Bundes zurzeit immer noch deutlich tiefer, als er es unmittelbar vor Einführung der Schuldenbremse war. Ohne Schuldenbremse wären die Bundesschulden heute wahrscheinlich weit höher, als sie es sind.

4000 Franken pro Einwohner

Die Kostenbremseinitiative der Mitte-Partei für das Gesundheitswesen ist laut den Initianten dem Vorbild der Schuldenbremse für die Bundesfinanzen nachempfunden. Gemäss der Initiative dürfen die Kosten in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) prozentual nicht mehr viel stärker steigen als die Löhne und die Gesamtwirtschaft; was dies genau heisst, müsste das Parlament bei der Umsetzung der Initiative entscheiden. Die Nettokosten der OKP beliefen sich 2023 auf etwa 35 Milliarden Franken – durchschnittlich rund 4000 Franken pro Einwohner. «Die Kostenbremse funktioniert wie die bewährte Schuldenbremse des Bundes», schreibt das Initiativkomitee im Abstimmungsbüchlein der Regierung.

Kostendeckende Prämien

Dieser Vergleich ist irreführend. Und dies, obwohl es zwei Parallelen gibt. Erstens: Die Kostenbremseinitiative fordert wie die Schuldenbremse des Bundes eine abstrakte Regel, welche die konkreten und haarigen Entscheide über allfällige Sparmassnahmen offenlässt. Das mag die Opposition der Stimmbürger begrenzen. Und zweitens: Die Kostenbremseinitiative brächte wohl wie die Schuldenbremse gewissen Spardruck ins System.

Doch die Unterschiede sind bedeutender. In der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gibt es faktisch schon seit je eine Art Schuldenbremse. Denn die Prämien der Krankenkassen müssen kostendeckend sein: Wenn die Kosten steigen, dann steigen in der Folge auch die Prämien. Die Kostenbremseinitiative würde daran nichts ändern. Sie fordert aber (undefinierte) Sparmassnahmen beim Überschreiten eines (unklaren) Schwellenwerts des Kostenanstiegs. Auf die Bundesfinanzen übertragen, würde eine solche Forderung etwa Folgendes heissen: Die Bundesausgaben dürfen prozentual nicht stärker steigen als ein zu definierender Schwellenwert.

Die geltenden Regeln der Schuldenbremse für die Bundesfinanzen sagen nichts darüber, ob Defizite durch Sparanstrengungen oder Mehreinnahmen zu vermeiden sind. In diesem Sinn ist die Kostenbremseinitiative restriktiver, weil sie ausdrücklich Massnahmen auf der Kostenseite verlangt.

Faktisch könnte sie auch in einem zweiten Punkt restriktiver sein. Denn die Gesundheitsausgaben wachsen derzeit «natürlicherweise» prozentual stärker als die Gesamtwirtschaft und die Löhne – jene beiden Kriterien, welche die Initianten als Massstab verlangen. Das überproportionale Kostenwachstum im Gesundheitswesen hat vor allem vier Gründe: die Alterung der Gesellschaft (die in jüngerer Zeit den Kostenanstieg um etwa 0,5 Prozentpunkte pro Jahr erhöhte); die Zunahme des Wohlstands (welche die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen bis zu einem gewissen Grad überproportional steigert); medizinisch-technische Fortschritte, die oft zu teureren Behandlungsmethoden führen; sowie ein im gesamtwirtschaftlichen Vergleich eher unterdurchschnittliches Wachstum der Arbeitsproduktivität im Gesundheitswesen.

Unklarer Schwellenwert

Laut Expertenberichten dürften etwa 10 bis 20 Prozent der Gesundheitsausgaben unnötig sein. Doch selbst wenn man optimistisch unterstellt, dass sich diese Verschwendung innert zehn Jahren halbieren liesse, könnte man bei der Abschätzung eines «vernünftigen» Kostenwachstums pro Jahr immer noch auf eine Grössenordnung von 1 bis 2 Prozentpunkten über dem Lohnwachstum kommen. Ob die Kostenbremseinitiative ein solches Kostenwachstum zuliesse, ist unklar.

Hinzu kommt ein fundamentaler Unterschied in den Wirkungskanälen. Die Schuldenbremse bei den Bundesfinanzen wirkt direkt über das jährliche Bundesbudget und ist damit verhältnismässig einfach umzusetzen. Es gibt zwar gewisse Komplikationen technischer Art (Berechnung des Konjunkturfaktors zur Feststellung der zulässigen Jahresausgaben) und jüngst auch politischer Art (Neigung zur exzessiven Definition von «ausserordentlichen» Ausgaben zwecks Aushebelung der Grundregeln der Schuldenbremse). Doch im Vergleich zur verlangten Kostenbremse im Gesundheitswesen sind dies überschaubare Schwierigkeiten.

Zentrales Dekret reicht nicht

Eine Kostenbremse im Gesundheitswesen lässt sich nicht durch Parlamentsbeschluss via Bundesbudget durchsetzen. Die Gesamtkosten des Systems beruhen nicht auf Dekreten einer zentralen Stelle. Diese Kosten sind das Ergebnis des komplexen Zusammenspiels einer Vielzahl von Akteuren – namentlich von Ärzten, Spitälern, Patienten, Krankenkassen, Heilmittelproduzenten, Aufsichtsbehörden, Kantonen und Stimmbürgern. Im Voraus sind die Gesundheitskosten deshalb deutlich weniger genau steuerbar als die Bundesausgaben. Das Gleiche gilt für Korrekturen im Nachhinein: Die Wirkung von Massnahmen ist schwierig voraussehbar, und bis die Folgen messbar sind, kann es eine Weile dauern.

Die verlangte Kostenbremse könnte nur indirekt Druck auf die diversen möglichen Hebel zur Kostensteuerung ausüben. Zu diesen Hebeln zählen etwa die Tarifverträge der Krankenkassen mit Ärzten, Spitälern und anderen Leistungserbringern, die Spitalplanung der Kantone, die Festlegung der Medikamentenpreise und die Sparanreize für die diversen Akteure via gesetzliche Rahmenbedingungen.

Im Vergleich zu einem Kostendach im Gesundheitswesen entfaltet die Schuldenbremse bei den Bundesfinanzen ihre Wirkung mit schon fast klinischer Präzision. Dies heisst nicht, dass die verlangte Kostenbremse im Gesundheitswesen völlig wirkungslos wäre. Aber es bedeutet, dass man bei der Abschätzung möglicher Wirkungen die Schuldenbremse bei den Bundesfinanzen gescheiter nicht zum Massstab nimmt.

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