Im Frühjahr forderte die grösste Studierendenorganisation der Schweiz einen Teilboykott israelischer Universitäten. Die nationale Vereinigung kritisierte das. Nun folgt die Retourkutsche.
Es ist ein Streit, der mit einer Boykottforderung begann. Der unterdessen Dutzende Papierseiten und lange studentische Diskussionen füllt. Und der zeigt, dass die Studierendenpolitik an der grössten Schweizer Hochschule noch immer vom Israel-Palästina-Konflikt in Beschlag genommen wird.
Die Forderung, die alles ins Rollen brachte, wurde im Frühjahr lanciert, im Nachgang landesweiter Uni-Besetzungen. Der Verband der Studierenden der Universität Zürich (VSUZH) verlangte damals einen Teilboykott israelischer Universitäten, etwa durch den Abbruch von Austauschabkommen.
Das stiess auf Kritik. Etwa seitens des nationalen Studierendenverbands VSS. Dessen damaliger Co-Präsident Gazmendi Noli sagte der NZZ im Mai, es handle sich um eine pauschale Boykottforderung. Er wünsche sich eine differenzierte Betrachtung der Angelegenheit. Kooperationen in nichtmilitärischen Bereichen etwa seien nach wie vor zu begrüssen.
Ein eher zurückhaltendes Statement, könnte man meinen. Die Zürcher Studierendenvertreter sahen das aber offensichtlich anders. Der Vorstand des VSUZH fordert nun nämlich den Austritt aus dem nationalen Dachverband – wegen der Äusserungen von damals und dem Streit, der daraus entstand.
Am Mittwochabend wird das 70-köpfige Zürcher Studierendenparlament, die Legislative des VSUZH, über diesen Antrag befinden. Bereits im Vorfeld hat der Verband, der die Interessen der fast 30 000 Studierenden der Universität vertritt, eine Reihe von Dokumenten zu dem Thema veröffentlicht. Sie zeigen, wie angespannt die Stimmung in Teilen der Studierendenschaft seit dem Beginn der propalästinensischen Uni-Besetzungen vom Frühjahr ist.
Frühe Misstöne
Schon vor der Kritik des VSS an der Boykottforderung kam es gemäss den Dokumenten zu Uneinigkeiten bei der öffentlichen Positionsnahme zum Gaza-Krieg. In einer E-Mail von Anfang Mai kritisiert der damalige Co-Präsident des VSUZH etwa die Sprachwahl in einem Positionspapier des nationalen Dachverbandes.
Dort war zunächst von einem «mittelöstlichen Konflikt» die Rede, was dem Zürcher Co-Präsidenten aber nicht behagte.
«Der Konflikt entspringt aus der Etablierung des Staates Israel in Palästina», schrieb er. «Daher sollte der Konflikt auch als solcher bezeichnet werden. Alternative Bezeichnungen wie ‹Nahostkonflikt› o. Ä. führen zu einer Relativierung und sollten daher nicht verwendet werden.»
Die Staatsgründung Israels als eigentliche Ursache des gegenwärtigen Konfliktes: ein höchst umstrittenes Narrativ, das die historische Rolle der arabischen Staaten in der Region ebenso auszublenden scheint wie die Rolle der Hamas bei der jüngsten Eskalation des Konfliktes.
Wenige Zeilen später rät der Studentenvertreter davon ab, sich auf Definitionen der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zu berufen, da diese umstritten seien. Die IHRA ist ein international breit abgestütztes Gremium, in dem auch die Schweiz vertreten ist. Sie ist bekannt für ihre Arbeitsdefinition von Antisemitismus.
Kritik daran übte 2021 eine Gruppe Akademiker. Sie störte sich daran, dass Israelkritik auf Basis der Definition zu oft als antisemitisch eingestuft werde. In der Schweiz anerkennen jedoch weiterhin sämtliche etablierten Parteien ausser der SVP die Definition.
Studierendenvertretung unter Druck
Nach der Boykottforderung und der Kritik daran kommt es schliesslich zum direkten Konflikt zwischen den zwei Verbänden. In unzähligen E-Mails und internen Eingaben kritisieren Zürcher Verbandsvertreter die nationale Studierendenorganisation scharf. Diese habe ihre Kommunikation nicht mit ihnen abgesprochen und damit gegen ihre eigenen Reglemente verstossen.
«Eine direkte Folge der VSS-Stellungnahme war eine Welle von Hass, die sich über den damaligen VSUZH-Vorstand ergoss», heisst es im Austrittsantrag, über den das Studierendenparlament am Mittwoch befindet.
Sollte es tatsächlich zum Austritt kommen, wäre das ein Schlag für den nationalen Studierendenverband. Seit er 1920 gegründet wurde, kämpft der VSS um Anerkennung – und gegen austrittswillige Sektionen. Jene der ETH war bis 2008 während zehn Jahren kein Mitglied, jene der Universität Basel wäre 2015 fast ausgetreten. Und 2017 stand ein Austritt des Zürcher Verbands bereits zur Diskussion.
Der jetzige Vorstoss erhält durch die nationale Debatte über Sparmassnahmen im Hochschulbereich weitere Dringlichkeit. Ein Dachverband, in dem die grösste Sektion fehlt, ginge geschwächt in diesen finanziellen Verteilkampf.
Das befürchten auch mehrere andere Studierendenvereinigungen, etwa jene der Zürcher Hochschule der Künste und der Pädagogischen Hochschule. Sie haben den VSUZH brieflich um einen Verbleib gebeten.
Auch die derzeitige Führung des VSS versucht, den Eklat mit allen Mitteln abzuwenden. Bereits bei der letzten Sitzung des Zürcher Studierendenparlaments kam es laut Protokoll zu wortreichen Entschuldigungen und Beteuerungen, künftig anders kommunizieren zu wollen. Jedes Detail des im Frühjahr Vorgefallenen wurde diskutiert.
Nur ein Thema wurde ausgespart: der Inhalt der damaligen Kritik. Statt über die umstrittene Boykottforderung sprachen die Studierenden bis kurz vor Mitternacht darüber, wer wann wem was gesagt hatte (oder eben nicht).
Eine «Stabsstelle für geopolitische Konflikte»
Die Universität Zürich selbst scheint im Umgang mit dem heiklen Israel-Palästina-Thema eine gemischte Strategie zu verfolgen. Zum einen demonstriert sie Härte. Das zeigte sich etwa im Oktober, als die Universitätsführung eine studentische Ausstellung zu dem Thema verbot, weil diese in ihren Augen wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügte und nicht ausgewogen war.
Zum anderen sucht sie den Dialog. Laut einem Dokument des VSS hat Rektor Michael Schaepman sich im Konflikt zwischen den Studierendenverbänden als Vermittler angeboten. Die Universität bestätigt das gegenüber der NZZ. Sie sehe die Vertretung in nationalen Verbänden als wichtig an, denn diese ermögliche Studierenden «eine schweizweite Stimme und Partizipation».
Auch dem eigenen Verband hat die Hochschule ein Geschenk gemacht. Um dem «Engagement zum Thema Israel-Palästina-Konflikt» Rechnung zu tragen, habe man «die Finanzierung einer Stabsstelle für geopolitische Konflikte im VSUZH» beschlossen. Das steht, etwas kryptisch, in einem Schreiben des Rektorats an die Studierendenschaft. Der Brief, datiert auf den 22. November, liegt der NZZ vor.
Wozu braucht eine Studierendenvereinigung eine «Stabsstelle für geopolitische Konflikte»? Und wie kommt die Universität dazu, sie zu finanzieren? Auf eine entsprechende Frage der NZZ schreibt die Hochschule, die Stelle sei temporär und diene der Koordination studentischer Veranstaltungen wie auch dem Austausch zwischen Universität und Studierendenverband.
Die Hochschule leiste damit «einen Beitrag zur Debatte und zum Austausch hinsichtlich geopolitischer Konflikte». Kostenpunkt im laufenden Jahr: 7000 Franken.
Zu der Frage, wie sich die Universität zu den Positionen ihres Studierendenverbandes im Nahostkonflikt stelle, schreibt sie, man unterstütze die Universitätsangehörigen «in der Darstellung von Themen, insofern diese den Grundsätzen und Werten der UZH entsprechen».
Ob die Haltung des Verbands von einer Mehrheit der Studierenden geteilt werde, sei dagegen nicht bekannt.