Sonntag, September 8

Die Produktionskapazität der legendären Moto-Guzzi-Motorräder soll bis 2025 verdoppelt werden. Gleich neben dem Werk am Comersee entsteht zudem eine neue Erlebniswelt für Touristen und Fans.

Schon am Morgen stehen die ersten Fans vor dem leuchtend roten Werkstor mit dem weissen Adler und der Aufschrift «Moto Guzzi». Ein junges Paar lässt sich fotografieren. Einige ältere Herren rauschen mit schweren Maschinen an. Sogar von Finnland kommen die Besucher in das Museum in Mandello del Lario am Südrand des Comersees. Gleich daneben werden die Moto-Guzzi-Maschinen seit 1921 gebaut. Viele der Gebäude wirken zumindest von aussen wie damals.

Nicht mehr lange. Denn nun tut sich etwas auf dem 54 000 Quadratmeter grossen Gelände. Einige Gebäude sind schon abgerissen worden. Die Produktionskapazitäten sollen von 20 000 Einheiten bis im Jahr 2025 verdoppelt werden. «Guzzi Land» heisst das ehrgeizige Projekt des amerikanischen Architekten und Philosophen Greg Lynn, bekannt für seine biomorphen – organisch wirkenden – Entwürfe.

Mobilitätslösungen für alle

Roberto Colaninno, Mehrheitsaktionär und CEO des Moto-Guzzi-Mutterkonzerns Piaggio, gab kurz vor seinem Tod im August grünes Licht für das derzeit grösste Investitionsprogramm der Piaggio-Gruppe. Seine Söhne Matteo und Michele führen das Werk nun fort. Sie sind schon lange in die Unternehmensführung eingebunden. Zusammen mit ihrer Mutter Oretta Schiavetti kontrollieren sie die Omniaholding, eine Struktur, die 59 Prozent der Anteile von Immsi hält, die wiederum mit mehr als 50 Prozent an der börsennotierten Piaggio beteiligt ist.

Matteo ist Exekutivpräsident von Piaggio und der Holding Immsi. Zuvor war er lange Zeit Abgeordneter des sozialdemokratischen Partito Democratico und dann der Partei Italia Viva von Ex-Ministerpräsident Matteo Renzi. Sein jüngerer Bruder Michele ist CEO und ist stärker operativ orientiert.

Viel mehr noch als Moto Guzzi ist die Vespa das Symbol des Unternehmens und das bei weitem wichtigste Produkt. «Unser Ziel ist es, Mobilitätslösungen für alle zu bauen, vom Jugendlichen bis zum Erwachsenen», sagt Michele Colaninno. Beim E-Scooter Piaggio 1+ wird der herausnehmbare Akku an der Steckdose in der Wohnung aufgeladen.

Mit KTM, Honda und Yamaha werden gemeinsam austauschbare Batterien entwickelt und mit der Foton Motor Group Elektronutzfahrzeuge. Michele will «die DNA der Piaggio-Gruppe ändern, die sich von einem auf Mechanik beruhenden Konzern zu einem auf Basis von Elektronik und Elektro entwickeln soll».

Für Moto Guzzi ist das sicher keine Option. Moto Guzzi wird auch in Zukunft kräftig röhren. Sehr zur Freude von Mitarbeitern wie Alberto Padovani, Spitzname «Prezzy». Padovani ist ein wandelndes Lexikon, der jedes Detail der Modelle und der Unternehmensgeschichte kennt. Er selbst hat privat acht Maschinen, trägt eine schwarze Moto-Guzzi-Hose, einen roten Pullover, eine rote Weste von Moto Guzzi und hat sich einen Adler auf den Arm tätowieren lassen. Einige Mitarbeiter wie Stefano Bianchi (29) arbeiten bereits in der vierten Generation im Unternehmen, viele andere in der zweiten oder der dritten Generation.

Geografisch breit diversifiziert

Die Vespa wird in Pontedera bei Pisa gefertigt. Dort laufen auch die Piaggio-Roller Beverly, Medley oder Liberty und die dreirädrige Piaggio Mp3 300 vom Band, dazu die Motorradmarke Gilera, der Kleintransporter Porter und der dreirädrige Minitransporter Ape. Die Motorräder der Konzernmarke Aprilia werden hingegen in Noale bei Venedig produziert.

Piaggio ist hinter Honda und Yamaha weltweit die Nummer drei unter den Zweiradkonzernen mit Marktanteilen bei den Scootern von 23,3 Prozent in Europa, 29,3 Prozent in Nordamerika und Fertigungen in Indien, Vietnam und Indonesien. Das Unternehmen setzte zwischen Januar und September 1,6 Milliarden Euro um. Der Nettogewinn wuchs um 21,5 Prozent auf den Rekordwert von 85,7 Millionen Euro. Der Mediobanca-Analyst Gilles Errico glaubt, dass Piaggio wegen des «diversifizierten geografischen Footprints seine hohe Profitabilität halten kann».

«Aber es waren schwierige Jahre», sagt Michele Colaninno, «seitdem Motto Guzzi Teil der Piaggio-Familie ist, haben wir daran gearbeitet, die Trümmer wieder aufzubauen, und heute erzielen wir Rekordumsätze.» Im ersten Halbjahr wuchsen die Erlöse um 30 Prozent.

Giuseppe Lococo steht seit Juni an der Spitze von Moto Guzzi, arbeitet aber bereits seit mehr als dreissig Jahren für die Piaggio-Gruppe. «Ich bin beeindruckt von der Leidenschaft der Menschen», sagt er. Der Enthusiasmus der rund zweihundert Beschäftigten und Saisonarbeitskräfte ist spürbar. «80 Prozent der Mitarbeiter haben selbst mindestens eine Moto Guzzi», sagt Lococo. Viele Mitarbeiter schrauben und basteln auch in der Freizeit ständig an Moto-Guzzi-Motorrädern herum.

«Villaggio Moto Guzzi»

Die Marke wurde 1919 von Carlo Guzzi zusammen mit Giorgio Parodi und dem kurz danach tödlich verunglückten Freund Giovanni Ravelli gegründet. In der «Città della Moto Guzzi» Mandello ist sie überall präsent. Aus Roberto Colaninnos ehemaligem Büro, das mit seinem knarrenden Holzboden und dem altmodischen Schreibtisch wie aus der Zeit gefallen wirkt, geht der Blick auf einen bewaldeten Hügel über dem Werksgelände.

Dort oben sind die ehemaligen Wohnhäuser der «ingegneri» zu sehen, die das Unternehmen leiteten. Bis zu 1700 Mitarbeiter arbeiteten einst bei Moto Guzzi. Jede Schraube wurde damals im Haus selbst gefertigt. Es gab ein eigenes Lebensmittelgeschäft, eigene Ärzte, Sportvereine wie den noch immer existierenden Ruderverein «Canottieri Moto Guzzi» unten am See. Zur Trophäensammlung des Vereins gehören unzählige Meisterschaften und sogar Olympiatitel.

Im «Villaggio Moto Guzzi» gab es Wohnungen für die Beschäftigten. Moto Guzzi gewann reihenweise Welt- und Europameisterschaften. 1934 war die Marke der grösste und bedeutendste Motorradhersteller der Welt. Es gab einen eigenen Windkanal, der heute noch zu Werbezwecken genutzt wird. Nach dem Krieg entwickelte Moto Guzzi einen V8-Motor, mit dem ein Geschwindigkeitsweltrekord aufgestellt wurde. Und es wurde ein Motor konzipiert, der einen Fiat-Kleinwagen antreiben sollte. Doch das klappte nicht.

Sturz und Wiederaufstieg

Zudem wurde die japanische Konkurrenz immer stärker. Der stolze Adler stürzte in den Konkurs, wurde zeitweise staatlich. 2004 landete Moto Guzzi zusammen mit Aprilia bei Piaggio. Roberto Colaninno hatte den Vespa-Produzenten, der in den 1970er und 1980er Jahren in eine schwere Krise geschlittert war, ein Jahr zuvor von der ehemaligen Deutsche-Bank-Tochter Deutsche Morgan Grenfell übernommen.

Colaninno galt damals als Wundermanager. Er sanierte den Computerhersteller Olivetti und richtete ihn neu aus. Dann übernahm er, zusammen mit Investoren, für 60 Milliarden Euro Telecom Italia (TIM) und diversifizierte den Konzern. Doch die Aktionäre verkauften ihre Anteile schon bald an den Pirelli-Chef Marco Tronchetti Provera. Mit seiner Abfindung erwarb Colaninno Piaggio und Moto Guzzi.

Für die Fans, die nach Mandello kommen, wird es künftig eine ganze Moto-Guzzi-Erlebniswelt geben – mit Kundenzentrum, Hotel, Restaurant und einer gläsernen Fabrik mit Führungen. Mandello solle eine «Referenz werden, über die Moto-Guzzi-Fans hinaus, auch für die jungen Leute und den internationalen Tourismus», heisst es im Unternehmen.

Exit mobile version