Von der Dubai-Schokolade über den Thermomix und Tamagotchis bis zur Kryptowährung: Manche Dinge begeistern die Massen
– und wenig später ist dann alles wieder vorbei. Dahinter stecken zutiefst menschliche Bedürfnisse.

Ein Hauch orientalischer Zauber, edle Zutaten und eine Geschmacksexplosion: Mit diesen Verheissungen aus Medien und Influencer-Posts bissen Ende letzten Jahres viele in ihr erstes Stück Dubai-Schokolade. Während die Milchschokolade und die cremige Pistazienfüllung auf der Zunge zergehen, knistert das feine Engelshaar, also die angerösteten Kadayif-Teigfäden, im Mund. Die von der britisch-ägyptischen Influencerin Sarah Hamouda in Dubai entwickelte Pistazienkreation ist süss, knusprig und strahlt mit ihrer grün-goldenen Verzierung Luxus aus.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Keine Frage, Dubai-Schokolade kann ziemlich lecker sein. Warum sie aber eine solche internationale Begeisterung auslöste, bleibt einem rätselhaft. Der teure Süsskram war ein echter Hype.

Dazu mausert sich gerade auch die Aufregung um einen auf den ersten Blick noch unwahrscheinlicheren Kandidaten aus der Kategorie Küchengeräte: Mitte Februar stieg in Berlin vor mehr als 2000 geladenen und teilweise hemmungslos kreischenden Gästen das «TM7 EXTRAVAGANZA LAUNCH EVENT» (wie es eine anwesende Influencerin formuliert), auf dem sich alles um den neuen Thermomix mit der Modellnummer TM7 dreht.

Für einen Hype stehen Menschen tagelang in der Schlange

Das vom Hersteller mit grossem Tamtam und futuristischen Werbevideos eingeführte Gerät (Kostenpunkt: 1699 Franken), das sowohl schneiden, mixen und kochen kann, ist offiziell seit vergangenem Montag erhältlich. Wegen hoher Nachfrage müssen die sehnsüchtigen «Early Adopters» aber wohl noch bis Ende Mai auf die Auslieferung warten – inzwischen kocht umso mehr die Vorfreude in den sozialen Netzwerken hoch.

Von der Dubai-Schokolade über den Thermomix bis zum Bubble-Tea, vom neuen iPhone über Pokémon Go bis Taylor Swift – immer wieder lassen sich Menschen vom Massenphänomen «Hype» mitreissen. Sie stehen Stunden oder Tage in Warteschlangen, Geld spielt nur noch eine untergeordnete Rolle.

Dabei kann sich ein Hype um alles Mögliche entspinnen: Ein innovatives Produkt, bestimmte Themen oder auch einzelne Personen werden über Nacht zum Objekt der Obsession. In der Regel ist es etwas vermeintlich Neuartiges, etwas Besonderes, das sich gleichzeitig über Medien, Instagram, Tiktok und Co. in Windeseile verbreitet. Doch die Faszination, die von Hypes ausgeht, reicht tiefer, als wir selbst glauben: Sie entspringt grundlegenden menschlichen Bedürfnissen und sozialen Strukturen.

Trends bleiben, Hypes ebben schnell wieder ab

Vor allem zwei Merkmale charakterisieren einen Hype: die übergrosse Begeisterung und seine Kurzlebigkeit. «Während ein Trend anhält, ebbt ein Hype schnell wieder ab. Er ist eine kurzlebige Welle der Faszination, die weder negativ noch angstbesetzt ist», sagt Georg Felser, Wirtschaftspsychologe mit Schwerpunkt Markt- und Konsumpsychologie an der Hochschule Harz.

Warum Menschen letztlich einem Hype verfallen, hat viel mit inneren Bedürfnissen zu tun: So sprach die Vampir-Filmreihe «Twilight», die um das Jahr 2010 mehr als drei Milliarden Dollar einspielte, die Sehnsucht nach Liebe und Leidenschaft vieler junger Zuschauer an. Der Bubble-Tea wiederum versprach vor einigen Jahren mit seinen schwarzen Tapioka-Perlen ein völlig neues Geschmackserlebnis. «Wir suchen ständig neue Erfahrungen und Erlebnisse. Etwas Spannendes, das man noch nie erlebt hat», sagt Felser.

Letztlich lieben wir doch Altbekanntes

Allerdings wird die Erfahrung von Neuem häufig überbewertet. Dies bestätigt auch der sogenannte Affective Forecasting Error, eine kognitive Verzerrung, deren Beschreibung vor allem auf die Psychologen Timothy Wilson und Daniel Gilbert zurückgeht: Menschen tendieren dazu, die Intensität und die Dauer ihrer Gefühle in der Zukunft zu überschätzen. Die teure Tiktok-Schokolade wirkt mit ihren Dubai-Vibes verlockend, aber einmal probiert, ist die überschwängliche Freude nicht von langer Dauer – oder bleibt ganz aus. Beim nächsten Einkauf greifen wir dann wieder zur klassischen Schokolade.

Gleichzeitig zeigen Studien: Die meisten Menschen glauben zwar, ständig Neues erleben zu wollen. In Wirklichkeit sind sie aber mit dem Vertrauten genauso zufrieden. «Der tägliche Salat klingt im Vorhinein langweilig. Doch je näher das Mittagessen rückt, desto lieber wiederholen wir Altbekanntes», erklärt der Professor.

Unser Wunsch: dazugehören – und einzigartig bleiben

Getragen wird ein Hype genauso von unserem tiefen Bedürfnis nach Zugehörigkeit – dem sogenannten Affiliationsbedürfnis. Menschen sehnen sich danach, Teil von etwas Grösserem zu sein, von anderen integriert und akzeptiert zu werden. Das gibt Sicherheit. «Das Affiliationsbedürfnis ist ein tiefliegendes Motiv und führt dazu, dass wir uns Gruppen anschliessen wollen», sagt Felser.

Dabei müssten diese nicht unbedingt gross sein. «Minderheiten sind oft sogar einflussreicher als Mehrheiten.» Das zeigt die Dubai-Schokolade: Einige wenige einflussreiche Influencerinnen wie der Tiktok-Star Maria Vehera genügten, um bei Tausenden das Bedürfnis zu wecken, selbst ein Stück vom Hype zu werden.

Neben dem Wunsch nach Zugehörigkeit gibt es für viele Menschen aber auch ein gegenläufiges Bedürfnis: die Sehnsucht nach Individualismus. Menschen wollen einzigartig sein, zu einer elitären Gruppe gehören und keinesfalls im Mainstream untergehen. «Der Idealzustand wäre die sogenannte optimale Distinktheit», erklärt der Wirtschaftspsychologe Felser. «Sie beschreibt die perfekte Mischung: Wir heben uns von der Masse ab und sind trotzdem nicht allein.»

Genau diese Balance schaffe die Pistazien-Kadayif-Schokolade: «Sie ist begehrt, aber teuer und nicht überall zu bekommen. Die Käufer gehören also zu einer exklusiven Gruppe.»

Die Angst, etwas zu verpassen

Die vermeintliche Exklusivität verstärkt zudem den Drang, mitreden zu wollen. Als das Augmented-Reality-Spiel Pokémon Go 2016 auf den Markt kam, bewegten sich Spielerinnen und Spieler plötzlich in der realen Welt, um virtuelle Pokémons einzufangen. Die Medienberichte überschlugen sich, das Spiel verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Nur: Wer kein Smartphone hatte, konnte nicht mitspielen.

«Wer bei einem solchen Hype nicht dabei ist, bekommt Angst, etwas zu verpassen», sagt Felser. Besonders stark wird diese sogenannte Fear of missing out (Fomo), wenn Menschen fürchten, deswegen im Freundes- oder Bekanntenkreis schlechter dazustehen oder von ihm ausgeschlossen zu werden.

Die Angst, etwas zu verpassen, ist ein zentraler Motor für Hypes, den Unternehmen geschickt ausnutzen: Durch die Illusion der Verknappung – etwa limitierte Auflagen, zeitlich begrenzte Angebote oder eine verzögerte Auslieferung wie jetzt beim neuen Thermomix – schaffen sie ein Gefühl der Dringlichkeit. Lange Schlangen, die Bereitschaft, exorbitante Preise für Süssigkeiten zu zahlen, oder das Campieren vor Store-Eröffnungen sind die Folge.

Edle Marken ersetzen fehlenden Selbstwert

Natürlich springt nicht jeder auf einen Hype an. Das hängt von den eigenen Vorlieben und Interessen ab, kann aber auch am Selbstbewusstsein liegen. Die amerikanischen Wissenschafterinnen Lan Nguyen Chaplin und Deborah Roedder John stellten in einer ihrer Studien einen Zusammenhang zwischen der Bedeutung materieller Dinge und der Ausprägung des Selbstwertgefühls fest.

Es zeigte sich, dass Jugendliche mit unterstützenden Eltern und einem engen Freundeskreis ein höheres Selbstwertgefühl entwickelten, was gleichzeitig ihre Neigung zu materiellen Werten verringerte. «Wer ein geringes Selbstwertgefühl hat, ist also markenbewusster und anfälliger für Hypes», fasst Felser zusammen. Legten die Eltern hingegen grossen Wert auf teure Marken und Statussymbole, übertrug sich diese Haltung auch auf die Kinder.

Darüber hinaus wiesen der amerikanische Psychologe Robert Cialdini und sein Team in einer berühmten Studie aus dem Jahr 1976 nach, dass sich Menschen mit erfolgreichen Gruppen identifizieren, um ihr eigenes Ansehen zu steigern. In drei Experimenten zeigten sie, dass Studierende nach einem Sieg ihres Uni-Footballteams häufiger die Universitätskleidung trugen und in Wir-Form über die Mannschaft sprachen. Dieses Wir-Gefühl war besonders stark, wenn das eigene Ansehen angekratzt war. «Wer sich unsicher fühlt, schliesst sich eher einer Gewinnergruppe an», sagt Felser. Ob bei Fussballteams, der Apple-Community oder dem Hype um die Dubai-Schokolade: Wir wollen Teil von etwas Erfolgreichem sein.

Der Hype führt erst zum «Gipfel überhöhter Erwartungen» . . .

Von der Technologie bis zur Ernährung: Die meisten Hypes folgen dem gleichen Muster. Die Britin Jackie Fenn beschreibt mit ihrem sogenannten Gartner Hype Cycle den Lebenszyklus solcher Innovationen in fünf Phasen. Sie ähneln einer abfallenden Sinuskurve. Alles beginnt mit einer neuen Markteinführung, die Begeisterung auslöst. Darauf folgt der «Gipfel überhöhter Erwartungen»: Influencerinnen und Influencer schwärmen von der neuen Schokolade, Medien berichten euphorisch. Plötzlich will sie jeder probieren.

Mit dem Höhepunkt der Welle steigen die Erwartungen ins Unermessliche. Kein Wunder, dass sie für viele Menschen unerfüllt bleiben. Das Produkt hält nicht, was es verspricht: Das Einfangen niedlicher Pokémons wird nach wenigen Tagen langweilig, die futuristischen schwarzen Tapioka-Perlen des Bubble-Tea werden von der Stiftung Warentest als gesundheitsschädlich eingestuft.

. . . und dann zum «Tal der Enttäuschung»

So landet der Hype unweigerlich im tiefen «Tal der Enttäuschung». In einer Studie zum Bubble-Tea-Phänomen bestätigte das Forscherteam um Julian Llorente Perdigones diesen Verlauf: Die mediale Aufmerksamkeit befeuerte 2011 den Hype in Deutschland, schuf überzogene Erwartungen und beendete ihn durch negative Schlagzeilen ebenso schnell wieder.

Während manche Technologien oder Produkte auf dem «Pfad der Erleuchtung» reifen und sich langfristig auf dem «Plateau der Produktivität» etablieren, verschwinden andere nach der ersten Welle. Viele Hypes sind deswegen nur eines: kurzlebig.

Und was bleibt uns nun übrig? Immer wieder auf einen Hype aufspringen, Zeit und Geld investieren und womöglich im Tal der Enttäuschung landen? «Wir sollten unsere Kommunikationsblase hin und wieder wechseln», rät der Wirtschaftspsychologe Felser. «Der Witz ist ja, dass wir durch die Social-Media-Kanäle unsere Perspektive nicht erweitert, sondern verengt haben. Wir sehen nur noch das, was wir ohnehin denken und sehen wollen.»

Sich dieser Verarmung klar zu werden und Hypes zu hinterfragen, ist der erste Schritt zu einem bewussteren Umgang mit materiellen Verlockungen. Wenn wir die Blase wechseln – sei es durch das Abonnieren anderer Medien oder durch physische Distanz –, können wir unseren Horizont erweitern. Und manchmal stellt man fest: Der Hype ist längst an einem vorbeigezogen. Spurlos – und ohne Verluste.

Ein Artikel aus der «»

Exit mobile version