Donnerstag, Oktober 3

Die jüngste kriegerische Eskalation im Nahen Osten bestätigt: Nicht mehr amerikanische Staatsanleihen bilden den antifragilen Anker im Portfolio, sondern Gold und Aktien aus dem Energiesektor.

Wir versuchen bei Gavekal stets, Ereignisse – ob Marktbewegungen, die Veröffentlichung von Wirtschaftsdaten, politische Ereignisse oder geopolitische Umwälzungen – zu betrachten, um herauszufinden, wie sich diese auf verschiedene Anlageszenarien auswirken könnten. Manchmal ist das ganz einfach. Zu anderen Zeiten sind die Nachrichten so schockierend, dass es schwierig sein kann, die Emotionen beiseite zu schieben.

Glücklicherweise forderte der Angriff, den der Iran am Abend des 13. April mit mehr als 300 Drohnen und Raketen auf Ziele in Israel startete, keine Todesopfer. Diese Tatsache ruft zwei mögliche Reaktionen hervor. Die erste ist Ehrfurcht vor der Effektivität der israelischen Luftabwehr. Die zweite ist die Schlussfolgerung, dass der Angriff im Voraus überaus sorgfältig telegrafiert wurde, um ein Maximum an Berichterstattung, aber ein Minimum an Todesopfern zu gewährleisten. Auf diese Weise hoffte Teheran, eine Spirale hin zu einem umfassenden regionalen Krieg zu verhindern. Ähnlich war Teheran bereits im Januar 2020 bei seinen Angriffen auf US-Militärstützpunkte im Irak nach der Tötung von Kassem Soleimani, Kommandeur der Kuds-Einheit der iranischen Revolutionsgarde, vorgegangen.

Goldpreis koppelt sich vom Treasury-Markt ab

Um auf das Investitionsumfeld zurückzukommen: Gavekal vertritt seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine die Ansicht, dass die Weltwirtschaft in einen inflationären Boom eingetreten ist. Und in diesem inflationären Boom würde sich das Halten von Dollar und US-Staatsanleihen für Anleger als kostspielig erweisen.

Tatsächlich ist der Goldpreis in den gut zwei Jahren seit dem Einmarsch in die Ukraine um ein Viertel gestiegen und der Preis für langfristige US-Staatsanleihen um ein Drittel gefallen. Das ist insofern interessant, als die beiden Anlageklassen zuvor jahrelang praktisch im Gleichschritt marschierten. Steigende Realzinsen bedeuteten einen fallenden Goldpreis, und umgekehrt.

Aber in den vergangenen zwei Jahren hat Gold – zusammen mit Aktien aus dem Energiesektor – in einer Weise als Diversifikationsanker im Portfolio fungiert, wie es US-Staatsanleihen nicht mehr vermochten.

Werden die Ereignisse des Wochenendes im Nahen Osten daran etwas ändern?

Gold und Energie als antifragile Assets

Bei Gesprächen mit Kunden am vergangenen Wochenende schien die unmittelbare Reaktion auf die Nachrichten – abgesehen von der Sorge um die Betroffenen – darin zu bestehen, ein zu geringes Engagement in Gold und Energieaktien zu beklagen. Da die Befürchtungen eines breiteren regionalen Krieges zunahmen, wollte man sich instinktiv auf einen weiteren Anstieg der Energie- und Edelmetallpreise einstellen.

Interessanterweise beklagte niemand, mit dem ich sprach, ein mangelndes Engagement in US-Staatsanleihen. Das sagt viel über den strukturellen Wandel im Anlageumfeld aus. Im deflationären Umfeld der letzten Jahrzehnte suchten die Anleger bei schlechten Nachrichten stets reflexartig Schutz in US-Staatsanleihen.

Doch die Zeit der Deflation ist vorbei. Im heutigen inflationären Umfeld suchen die Menschen in Zeiten des Stresses Schutz in Gold und Energie.

Wenn man sich den Anstieg des Goldpreises in der obigen Grafik ansieht, könnte man natürlich versucht sein, zu argumentieren, dass der iranische Angriff auf Israel ein typisches «Kaufe das Gerücht, verkaufe die Nachricht»-Ereignis war. Nach dem israelischen Bombenangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus am 1. April schnellten die Gold- und Energiepreise in die Höhe. Da sich die iranische Reaktion nun als weitaus weniger tödlich erweist als ursprünglich befürchtet, könnte man argumentieren, dass sowohl Gold als auch Energie kurzfristig betrachtet anfällig für einen Rückschlag sind.

Für dieses Argument spricht, dass die Ereignisse der vergangenen Wochen der Regierung von Joe Biden einen perfekten Vorwand bieten, mehr Öl aus der strategischen Rohölreserve der USA freizugeben, um den Benzinpreis rechtzeitig vor der Sommersaison in Amerika zu senken.

Sieht man jedoch von kurzfristigen Marktbewegungen und Versuchen der Preismanipulation ab, so bestätigen die Ereignisse des Wochenendes aber mehrere Merkmale des sich entwickelnden inflationären Booms.

  • Die steigenden Kosten von Verteidigungskriegen: Israel hat nach eigenen Angaben 170 Drohnen, 30 Marschflugkörper und 120 ballistische Raketen abgefangen. Das ist eine beeindruckende Leistung. Aber auch der Preis ist beeindruckend: Die Schätzungen für die Kosten der Abfangaktion reichen von 300 bis 500 Mio. $. Die niedrigen Herstellungskosten von «Schwarmdrohnen» machen Verteidigungskriege zu einem viel kostspieligeren Unterfangen als in der Vergangenheit. Die Art und Weise, wie sich die westlichen Mächte bemüht haben, die Angriffe der Huthi auf die Schifffahrt im Roten Meer einzudämmen, verdeutlicht das Kostenungleichgewicht: Drohnen, die keine 50’000 $ kosten, müssen mit Raketen bekämpft werden, die 1 Mio. $ das Stück kosten. Wie man es auch dreht und wendet, in den kommenden Jahren werden die Militärausgaben in den Industrieländern weiter steigen, wahrscheinlich finanziert durch immer grössere Haushaltsdefizite (die ihrerseits durch wachsende Zentralbankbilanzen finanziert werden).
  • Die Gefahr grösserer Instabilität im Nahen Osten: Eine Entwicklung an diesem Wochenende war die Tatsache, dass sich die Mehrheit der arabischen Länder auf die Seite Israels zu stellen schien. Das ergibt insofern Sinn, als die meisten regionalen Führer den Zorn Israels und der USA vermeiden wollen. Es wirft aber auch die Frage auf, ob die lokale Bevölkerung weiterhin auf der Seite ihrer Führer stehen wird. Überall in der arabischen Welt ist die Bevölkerung jung und oft arbeitslos. Besonders besorgniserregend ist es in Ländern mit wenig Öl und Gas, wie Jordanien und Ägypten. Vor diesem Hintergrund können steigende Lebensmittel- und Energiepreise der Funke sein, der das Feuer entfacht. So war es auch beim Arabischen Frühling 2011. Kurzum: Selbst wenn der Konflikt zwischen Iran und Israel nicht weiter eskaliert, bleibt die Gefahr negativer Überraschungen in der Region gross. Das derzeitige Gleichgewicht ist äusserst instabil, was bedeutet, dass Long-Positionen im Energiesektor nach wie vor die ultimative Portfoliodiversifizierung darstellen.

Bitcoin liess antifragile Qualitäten vermissen

Eine weitere interessante Entwicklung an diesem Wochenende war der Einbruch von Bitcoin und anderen Kryptowährungen nach der Nachricht über den iranischen Angriff. Das liefert zumindest ansatzweise eine Antwort auf die Frage, ob Bitcoin ein antifragiler Vermögenswert ist, oder ob es sich nicht eher um eine Anlage mit hohem Beta auf die Risikobereitschaft des breiteren Marktes handelt.

Gewiss: Man sollte nicht allzu viel in ein paar Stunden Handel hineininterpretieren. Aber es ist schwer, einem Markt, der bei der Nachricht, dass der Iran Raketen und Drohnen abgefeuert hat, sofort um 9% fällt, das Prädikat «antifragil» zu erteilen.

Die Realität ist, dass in einer Welt, in der das Wachstum brummt, die meisten westlichen Regierungen jeden Anschein von Haushaltsdisziplin verloren haben, geopolitische Risiken gehäuft auftreten und die Inflation weit über dem Durchschnitt der letzten Jahrzehnte liegt, die einzigen beiden wirklich antifragilen Anlageklassen Edelmetalle und Energie sind.

Diese beiden Anlageklassen hatten in den Tagen vor dem Anschlag vom Wochenende einen starken Anstieg verzeichnet. Jetzt, da die Welt erleichtert aufatmet, dass der Angriff nicht zu einem offenen Krieg führen wird, könnten beide einen kurzfristigen Rückschlag erleiden.

Dennoch sollten sowohl Gold als auch Aktien aus dem Energiesektor stabilisierende Kernbestandteile eines soliden Anlageportfolios bleiben – zumindest so lange, bis die Fiskalpolitik der westlichen Demokratien wieder zu einer gewissen Normalität zurückfindet, die USA aufhören, den Dollar als Waffe einzusetzen, die westliche Energiepolitik aufhört, die Produktivität zu vernichten oder bis im Nahen Osten Frieden einkehrt.

Bis es so weit ist, sollten Gold und Energie die bevorzugten antifragilen Anlagen des umsichtigen Investors bleiben.

Louis-Vincent Gave

Louis-Vincent Gave ist CEO von Gavekal Research, die er gemeinsam mit Charles Gave und Anatole Kaletsky 1999 in London ins Leben gerufen hatte. Im Jahr 2002 verliess er das Londoner Büro und kehrte nach Hongkong zurück, wo er zuvor als Finanzanalyst für Paribas gearbeitet hatte. Louis hat einen Bachelor-Abschluss von der Duke University, und an der Nanjing University hat er Mandarin studiert.
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