Donnerstag, Dezember 26

Der libanesische Politiker Sami Gemayel sass ohne sein Wissen mit einer israelischen Journalistin in einer Talkshow. Jetzt wird er als Verräter gebrandmarkt. So geht es vielen, die sich in Libanon gegen einen Krieg aussprechen.

Sami Gemayel hatte sich eigentlich nichts weiter dabei gedacht, als er im Dezember nach Paris flog, um dort an einer Talkshow des französischen Senders BFMTV teilzunehmen. Doch während der libanesische Politiker über den Krieg im Nahen Osten redete, sass nicht nur der Moderator mit ihm im Studio, sondern auch Tamar Sebok.

Im Vorfeld sei ihm die Journalistin als Politexpertin des Fernsehsenders angekündigt worden, sagt Gemayel. Doch in Wahrheit schreibt Sebok für die israelische Tageszeitung «Yedioth Ahronoth». Sie besitzt neben der französischen noch die israelische Staatsbürgerschaft. Gemayel wusste das nicht. «Was hätte ich denn machen sollen?», sagt er in seinem Büro in den Libanonbergen. «Alle Anwesenden nach ihren Pässen fragen?»

Andersdenkende werden bedroht und denunziert

Die Beteuerungen nützen ihm im Nachhinein wenig. Denn kaum wurde bekannt, mit wem Gemayel da zusammengesessen hatte, flog ihm der Auftritt um die Ohren. Seither wird Gemayel als Verräter beschimpft, auf Social Media angegangen und mit dem Tode bedroht. Eine Fotomontage zeigt ihn sogar in der Uniform der israelischen Armee.

Dabei hatte sich der 43-Jährige weder gegen die Sache der Palästinenser ausgesprochen noch für Israel Partei ergriffen. Er hatte bloss gesagt, Libanon wolle keinen Krieg. Doch in seiner Heimat, welche sich seit 1948 im Kriegszustand mit Israel befindet, reicht bereits ein gemeinsames Foto mit einem israelischen Staatsbürger, um wegen Hochverrats vor Gericht zu landen.

Seit dem 7. Oktober ist die Stimmung noch eisiger geworden. Während der Hizbullah an der Südgrenze eifrig Raketen und Granaten auf Israel schiesst und eine Eskalation droht, treten Anhänger der proiranischen Schiitenmiliz im Internet an, um Andersdenkende zu trollen, zu denunzieren und zu bedrohen. «Das ist eine koordinierte Kampagne», sagt Gemayel. «Auch Hizbullah-nahe Medien beteiligen sich daran.»

«Wir Libanesen sollen als Einzige dafür bezahlen»

Gemayel legt sich nicht zum ersten Mal mit dem Hizbullah an. Der liberale christliche Politiker stellt sich seit Jahren gegen die Miliz, die er als iranische Besetzungsmacht betrachtet und entwaffnen will. In Friedenszeiten sah ihn der Hizbullah vor allem als Ärgernis. Angesichts des Krieges in Gaza scheinen die Anhänger der Schiitenmiliz jedoch härtere Saiten aufzuziehen.

Gemayel ist nicht der Einzige, der das zu spüren bekommt. Seit der Hizbullah am 8. Oktober eigenmächtig in den Krieg der Hamas gegen Israel eingegriffen hat, geht ein Riss durch Libanon. Auf der einen Seite stehen die, die den Kampf gegen den zionistischen Feind feiern und für Palästina in den Krieg ziehen wollen. Auf der anderen wiederum jene, die keine Lust haben, erneut als Kanonenfutter für die Sache anderer Leute herhalten zu müssen.

«Es ist immer das Gleiche. Alle arabischen Länder rufen zum Kampf gegen Israel auf, und wir Libanesen sollen als Einzige dafür bezahlen», sagt Gemayel. «Der Hizbullah behauptet, er lenke Israels Armee von Gaza ab. Aber was hilft es den Leuten dort, wenn jetzt auch Bomben auf uns fallen?» Gerade in den christlichen Gegenden hört man dieses Argument immer wieder. Gemayel hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, Libanon aus dem Krieg herauszuhalten.

Die Kriegsgegner sind schwach und gespalten

Aber das ist schwer, denn die Kriegsgegner sind schwach. So befehden sich die Christen gegenseitig, und Teile ihrer politischen Eliten machen sogar mit dem Hizbullah gemeinsame Sache. Die übrigen Religionsgemeinschaften im konfessionell zerklüfteten Libanon haben der von Teheran unterstützten Schiitenmiliz ebenfalls wenig entgegenzusetzen. Manche Linke wiederum, die vor ein paar Jahren noch gegen den Hizbullah auf die Strasse gingen, jubeln ihm jetzt zu.

Gemayel hat sich inzwischen in sein Heimatdorf Bikfaya in den Bergen zurückgezogen – aus Sicherheitsgründen, wie er sagt. Wer den Politiker treffen will, wird von Sicherheitsleuten durchsucht und muss durch eine Schleuse wie am Flughafen. Er wisse, wozu seine Gegner fähig seien, erklärt Gemayel. Sein Bruder Pierre, der ebenfalls Politiker war, wurde 2006 von mehreren Attentätern erschossen.

Gemayel entstammt einer der berühmtesten Politikerdynastien Libanons. Sein Vater Amin war einst Staatspräsident. Sein Onkel – Bashir Gemayel – gilt vielen Christen bis heute als eine Art Heiliger. Er war Chef der christlichen Kampfverbände im Bürgerkrieg und kurzzeitig Präsident, ehe er 1982 bei einem Bombenanschlag ums Leben kam. Bashir galt als erklärter Feind der Palästinenser und arbeitete mit Israel zusammen.

Libanon hat eine Tradition politischer Morde

Sami Gemayel hat sich von der Vergangenheit gelöst. Seine Frau ist sunnitische Muslimin. Seine Kataeb-Partei – einst als stramm christliche Miliz gefürchtet – ist längst entwaffnet und arbeitet als Teil der Opposition mit Vertretern unterschiedlicher Konfessionen zusammen. Aber das schützt ihn nicht. «Es läuft immer gleich ab», sagt er. «Erst wirst du medial hingerichtet, danach physisch.»

Die Angst ist nicht unbegründet. Libanon hat eine traurige Tradition politischer Morde. Zuletzt starben Mitte der nuller Jahre unliebsame Politiker und Intellektuelle bei Bombenexplosionen und Anschlägen. Prominentestes Opfer war der ehemalige Ministerpräsident Rafik Hariri, der sich gegen die damals allmächtigen syrischen Besetzer Libanons gestellt hatte. Zur Rechenschaft gezogen wurde für die Morde bisher niemand.

Die Syrer sind längst abgezogen. Der Hizbullah hingegen ist in Libanon heute derart mächtig, dass er beinahe allein über Krieg und Frieden entscheiden kann. Hinter der Miliz steht zudem die Regionalmacht Iran, die mit ihren bewaffneten Gruppen eine Einflusszone vom irakischen Bagdad bis an die Levante geschaffen hat. Von dort lässt Teheran seine lokalen Verbündeten derzeit Israel und die Amerikaner angreifen.

«Es ist unsere Pflicht, den Palästinensern zu helfen»

Wie einflussreich Iran in Libanon geworden ist, zeigt sich einen Tag später nicht weit von Gemayels Bergfestung entfernt. Unten in Beirut, im Schiitenviertel Dahiya, wird in einem von Teheran protegierten Kulturzentrum anlässlich des Jahrestags der iranischen Revolution von 1979 gedacht. Bärtige Mullahs sitzen zwischen Vertretern von Hizbullah und Hamas, der stellvertretende iranische Botschafter ist ebenfalls da.

Thema des Tages ist natürlich der Kampf der Palästinenser in Gaza. Dass Libanon an ihrer Seite zu stehen habe, daran herrscht hier kein Zweifel. «Es ist unsere Pflicht, den Palästinensern zu helfen», sagt Ali Hassan, Chef des Jugendverbandes des Hizbullah. «Schliesslich sind die Israeli unser gemeinsamer Feind. Sie haben Libanon lange besetzt gehalten und greifen uns bis heute immer wieder an.»

Für abweichende Stimmen, wie diejenigen, die fordern, Libanon möge sich aus dem Krieg heraushalten, zeigt Hassan wenig Verständnis. «Das sind Leute, die der amerikanischen Linie folgen», sagt er. «Sie werden von den ausländischen Botschaften gesteuert.» Man werde sich mit ihnen auseinandersetzen, fügt er an. «Auf eine friedliche und demokratische Art.»

In Beirut geht die Angst vor einem Abkommen um

Für viele Hizbullah-Gegner klingt das wie blanker Hohn. Vor allem schiitische Dissidenten leben gefährlich. So war der schiitische Hizbullah-Kritiker und Aktivist Lokman Slim vor drei Jahren mitten im von der Miliz kontrollierten Südlibanon in seinem Auto erschossen aufgefunden worden. Der Hizbullah bestreitet zwar, mit Slims Tod etwas zu tun zu haben. Doch viele glauben das nicht.

Trotz der Gefahr haben sich inzwischen auch vereinzelte schiitische Anti-Kriegs-Gruppen gebildet. Denn längst nicht alle Schiiten sind darauf erpicht, ihr wirtschaftlich kaputtes Land in einem Feuersturm untergehen zu sehen.

Viele Hizbullah-Gegner in Libanon treibt mittlerweile aber eine noch grössere Angst um. Denn obwohl sich der Hizbullah und Israels Armee heftig beschiessen, wird über ein mögliches Abkommen zwischen den Kriegsparteien spekuliert. Dies, so fürchten Gemayel und viele andere, würde der Miliz erst recht in die Karten spielen. Sollte sie sich als vernünftiger Akteur erweisen, könnte sie dafür belohnt werden und endgültig die Macht in Libanon übernehmen.

«Wir werden alles tun, um das zu verhindern»

Viel ausrichten können er und seine Mitstreiter dagegen nicht. Im Gegensatz zum Hizbullah verfügen sie kaum über Waffen und haben auch keine mächtigen Freunde. Unter liberalen Christen und Muslimen macht sich deshalb Untergangsstimmung breit. Viele fürchten eine Wiederholung der bleiernen neunziger Jahre, als Libanon vom Westen den Syrern überlassen wurde, die das Land fortan fünfzehn Jahre lang besetzt hielten.

Aufgeben will Gemayel trotzdem nicht. «Auch wenn uns alle im Stich lassen, werden wir tun, was in unserer Macht steht, um das zu verhindern», sagt er. In seiner Jugend war er bereits als Untergrundaktivist gegen die syrischen Besetzer tätig. Vielleicht wird ihm das in Zukunft nochmals zugutekommen.

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