Der deutsche Verteidigungsminister will die Streitkräfte schnellstens voll einsatzfähig machen. Nun verzögert sich jedoch ein Projekt, das für die Abwehr von Drohnen wichtig ist – mit erheblichen Folgen.
Was hat der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius seit seinem Amtsantritt alles angekündigt! Die Bundeswehr, so der Sozialdemokrat, solle kriegstüchtig und wieder verteidigungsfähig werden. Dazu müsste sie personell und materiell wieder voll aufgestellt werden, und zwar schnellstmöglich. Denn Russland, so warnen Nachrichtendienste, Nato-Militärs und -Politiker, rüste für den Krieg gegen den Westen. Es herrscht also eine gewisse Dringlichkeit.
Doch mehr als zweieinhalb Jahre nach der von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen Zeitenwende ist klar: Mit ihrer Verteidigungsfähigkeit ist die Bundeswehr bisher nicht signifikant voran gekommen. Pistorius bekommt nicht, was er braucht, weder das Geld noch das Personal. Beim Material, also den benötigten Waffensystemen, dem Gerät und der Ausrüstung, ist auch noch nicht viel passiert. Aufträge sind erteilt, doch bis die Waffen auf dem Kasernenhof stehen, dauert es. Schnell, wie es Pistorius angekündigt hat, geht es nicht.
Das zeigt sich gerade wieder an einem Beispiel, das nicht zu den grossen, öffentlich bekannten Beschaffungsprojekten der deutschen Streitkräfte gehört. Während das Kampfflugzeug F-35 oder das Flugabwehrsystem Arrow einem breiten Publikum bekannt sind, weiss kaum jemand etwas mit dem «Skyranger» anzufangen. Doch dieses System ist für die künftige Einsatzfähigkeit von Bodentruppen unverzichtbar. Seine Beschaffung verzögert sich nun um anderthalb bis zwei Jahre.
Schnellfeuerkanone auf einem Panzer
«Skyranger» ist ein System, mit dem Flugzeuge, vor allem aber Drohnen abgewehrt werden können. Im Prinzip handelt es sich um eine Schnellfeuerkanone, die auf einem gepanzerten Fahrzeug vom Typ «Boxer» angebracht ist. Hierin liegt nach Berichten deutscher Fachmedien das Problem. Die Auslieferung der «Boxer» durch den Hersteller Rheinmetall verzögert sich – und damit die Integration der Kanone sowie der Technik für Zielerkennung und Zielverfolgung.
Das Verteidigungsministerium hat das Problem im Prinzip bestätigt. Die Industrie habe eine Verzögerung im Projekt «Skyranger» angezeigt, teilte ein Sprecher der NZZ mit, wollte aber keine Details nennen, vor allem auch nicht, wer konkret für die Verzögerung verantwortlich ist. Rheinmetall teilte mit, dass sich das Unternehmen dazu nicht äussern wolle.
Noch vor weniger als drei Jahren wäre die verspätete Auslieferung und damit Einsatzfähigkeit des Systems in der Bundeswehr kein Problem gewesen. Anderthalb bis zwei Jahre waren nach der früheren Beschaffungspraxis der deutschen Streitkräfte so gut wie nichts.
Doch seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 und den Drohungen des Kreml gegen den Westen hat sich diese Wahrnehmung geändert. «Wir können bereits sehen, dass sich die russischen Streitkräfte parallel zum Krieg in der Ukraine neu formieren», sagte vor einigen Monaten der deutsche Nato-General Jürgen-Joachim von Sandrart, Kommandeur des Multinationalen Korps im polnischen Stettin. Die Kampferfahrung der Russen, so Sandrart, wachse täglich. Das bedeute, dass Russland kampferprobte Streitkräfte haben werde, die bereit und in der Lage seien, einen Krieg gegen die Nato zu führen und aufrechtzuerhalten.
Umwälzende technische Veränderungen
Was Sandrart anspricht, das ist die strategische Ebene: Die Nato müsse mit dem Angriff einer kampferprobten Streitmacht rechnen. Auf der operativen und taktischen Ebene aber offenbart der Krieg in der Ukraine so umwälzende technische Veränderungen, dass ein System wie «Skyranger» von beinahe strategischer Bedeutung wird. Nie zuvor wurden in einem Krieg auf diese Weise und in dieser Anzahl Drohnen eingesetzt. Bodentruppen, die sich nicht wirksam gegen diese unbemannten, in der Ukraine millionenfach auf beiden Seiten verwendeten Flugsysteme wehren können, haben kaum einen Einsatzwert, mehr noch: kaum eine Überlebenschance.
Das verbindet die taktische mit der strategischen Ebene: Wenn man keine Bodentruppen einsetzen kann, weil sie Drohnen wehrlos ausgesetzt wären, kann man kaum einen Krieg gewinnen. Bisher hat die Bundeswehr die Absicht, lediglich 19 «Skyranger» zu beschaffen. Diese Zahl resultiert aus einer Zeit, in der ein massenhafter Drohneneinsatz für Militärplaner offenbar noch nicht vorstellbar war. Es ist kaum 15 Jahre her, da stellte die Bundeswehr aus Geldmangel ihre gesamte Luftnahverteidigung ausser Dienst. Der Flugabwehrkanonenpanzer «Gepard», aus dem diese Verteidigung einst bestand, leistet seit Februar 2022 in der Ukraine dutzendfach wertvolle Dienste.
Der Krieg in der Ukraine indes zeigt, dass Drohnen auf dem Gefechtsfeld, aber auch im Hinterland omnipräsent sind. Sie werden eingesetzt, um Truppenbewegungen zu beobachten und aufzuklären sowie um gegnerische Kräfte zu bekämpfen. Dabei wirken sie im Prinzip wie ein Geschoss, können aber, gesteuert von einem Bediener aus der Ferne, ihr Ziel minutenlang verfolgen.
Den Nato-Staaten fehlen die Abwehrmittel
Die Nato-Streitkräfte einschliesslich der Bundeswehr haben dagegen bisher kaum wirksame Fähigkeiten. Aus einer aktuellen Studie des britischen Forschungsinstituts für Verteidigungsstudien (Rusi) geht hervor, dass ein System wie «Skyranger» lediglich ein Baustein der Drohnenabwehr sein kann. Nötig sei eine ganze Reihe an Massnahmen. Dazu zähle Technik, um Drohnen zu erkennen, etwa Radare und andere Sensoren. Und dazu gehörten elektronische Störsender, mit denen die Funksteuerung der Drohnen unterbrochen werden kann.
Die Entwicklung von Drohnen ist über dieses Stadium allerdings bereits hinaus. In der Ukraine werden zwar nach wie vor mehrheitlich funkgesteuerte Drohnen eingesetzt. Bei ihrer Abwehr erzielen insbesondere die russischen Streitkräfte durch elektronische Gegenmassnahmen wachsende Erfolge. Doch längst gibt es Drohnen, die durch Künstliche Intelligenz gesteuert werden. Sie brauchen keine Funkverbindung mehr zu einem «Host», der sie ins Ziel bringt. Das machen sie selbst.
In der Rusi-Studie heisst es, die Bedrohung durch Drohnen sei keine Zukunftsvision, sondern eine reale Herausforderung. Die Schlussfolgerung hört sich drängend an: Bis spätestens 2028 müssten die Nato-Mitglieder eine wirksame und breit aufgestellte Drohnenabwehr aufgebaut haben. Nur so werde sich die Abschreckung gegen Russland gewährleisten lassen.
Der «Skyranger» allerdings wird diese zeitliche Zielmarke mutmasslich reissen. Ursprünglich wollte die Bundeswehr die 19 Flugabwehrpanzer bis 2028 in Dienst stellen. Das dürfte sich nun verzögern.