Dienstag, April 22

Trotz höchstrichterlichem Verbot ist Staatsoberhaupt Zoran Milanovic bei den Wahlen in Kroatien der inoffizielle Spitzenkandidat der Opposition. Was ein Regierungswechsel für die aussenpolitische Ausrichtung des Landes bedeuten könnte.

Als Kroatiens Präsident Zoran Milanovic vor einigen Wochen die Parlamentswahlen auf diesen Mittwoch ansetzte, liessen sarkastische Kommentare nicht lange auf sich warten. Das Datum passe bestens, wurde in den sozialen Netzwerken gespottet. Der 17. April ist Weltzirkustag, und ein Spektakel ist mitunter die Politik im jüngsten Mitgliedsland der EU durchaus.

Lange Feindschaft

Dies hat viel mit Präsident Milanovic und seinen politisch unkorrekten Auslassungen zu tun, die selbst für den diesbezüglich wenig zimperlichen ex-jugoslawischen Raum bemerkenswert direkt sind. Häufigstes Ziel der Kritik ist Regierungschef Andrej Plenkovic, mit dem das Staatsoberhaupt in tiefer gegenseitiger Abneigung verbunden ist.

Die beiden Spitzenpolitiker begannen ihre Karrieren im Aussenministerium und waren beide einst in Brüssel stationiert. Seither bekämpfen sich der bieder auftretende Plenkovic von der national-konservativen Kroatischen Demokratischen Union (HDZ) und der rustikale Sozialdemokrat Milanovic leidenschaftlich.

Zu einem prägenden Faktor der kroatischen Politik ist die persönliche Feindschaft aber erst durch Milanovics Wahl zum Staatspräsidenten 2020 geworden. Seit da tritt er als direkter Gegenspieler von Regierungschef Plenkovic auf.

Präsident übergeht das Verfassungsgericht

Im jüngsten Wahlkampf gilt das erst recht. Zur Überraschung fast aller Beobachter erklärte sich Präsident Milanovic trotz der vorgesehenen Überparteilichkeit seines Amtes zum Spitzenkandidaten der Sozialistischen Partei bei den kommenden Wahlen und somit zum Herausforderer von Amtsinhaber Plenkovic.

Das Verfassungsgericht verlangte zwar vom Präsidenten, dass er für die Kandidatur von seinem Amt zurücktrete. Doch Milanovic foutierte sich darum und betrieb weiterhin Wahlkampf, indem er durchs Land zog und die Regierung kritisierte.

Der Spruch der Verfassungsrichter, die er als «ungebildete Bauern» beschimpfte, diente ihm dabei als Beleg, dass die Justiz nur den «Banditen» aus der Regierung zudiene. Seine Kampagne nennt er in Anspielung an ein kroatisches Lied «Ströme der Gerechtigkeit».

Einflussreiche Netzwerke

Vorwürfe von Amtsmissbrauch sind nicht aus der Luft gegriffen. Seit der Unabhängigkeit vor 33 Jahren ist die konservative HDZ die dominierende politische Kraft in Kroatien, und sie verfügt über entsprechend einflussreiche Patronage-Netzwerke. Die Sozialisten stellten erst zweimal eine Regierung, einmal unter Zoran Milanovic.

In Plenkovics Regierungszeit mussten seit 2017 insgesamt 30 Minister zurücktreten, fast alle wegen Korruptionsverdachts. Dass im Februar ein Jurist mit mutmasslichen Verbindungen ins kriminelle Milieu zum neuen Generalstaatsanwalt gewählt wurde, wirft ebenfalls kein gutes Licht auf die Regierung.

Dasselbe gilt für Plenkovics Widerstand gegen eine Untersuchung durch die Europäische Staatsanwaltschaft. Dabei ging es um Gelder, die im Nachgang der Erdbeben von 2020 geflossen waren.

Doppelter Integrationssprung

Doch Plenkovic hat auch Erfolge vorzuweisen. Neben dem guten Wirtschaftsgang steht dabei besonders Europa im Fokus. Zu Beginn des Jahres 2023 gelang Kroatien mit der Übernahme des Euro und dem Beitritt zur Schengen-Zone gleich ein doppelter Integrationssprung.

Zwar gibt es auch Kritik. Weil die Einführung der Gemeinschaftswährung in eine Periode hoher Inflation fiel, wird sie – trotz anderslautendem Urteil der meisten Ökonomen – oft als ursächlich für die Preissteigerungen angesehen. Mit 4,8 Prozent hatte Kroatien im Februar die höchste Inflation im Euro-Raum.

Unabhängig davon stellen Euro und Schengen einen unbestreitbaren Meilenstein für das Land dar. Eine rasche, vollständige Einbindung in die euroatlantischen Strukturen hatte für Zagreb immer hohe Priorität.

Enge Kontakte zu Orban

Dafür stand einst auch Präsident Milanovic. In seiner Regierungszeit trat Kroatien 2013 der EU bei. Doch angesichts seiner Fundamentalopposition zur Regierung nimmt der Präsident mittlerweile auch hier konträre Positionen ein.

Vielleicht auch weil er sich neben dem in Brüssel gut vernetzten Plenkovic so am ehesten profilieren kann, tritt Milanovic seit einigen Jahren als entschlossener Fürsprecher der nationalen Souveränität Kroatiens auf. Obwohl von Haus aus ein Linker, schreckt er nicht davor zurück, zur EU auf einen konservativen Konfrontationskurs zu gehen, sei es bei gesellschaftspolitischen Fragen oder in der Migrationspolitik. Zeitweise sprach er sich auch gegen die Aufnahme Schwedens und Finnlands in die Nato aus.

Milanovic pflegt enge Kontakte zum ungarischen Regierungschef Viktor Orban und zum bosnischen Serbenführer Milorad Dodik. Beide Politiker sind für ihre Nähe zum Kreml bekannt. Russland ist denn auch das im Ausland meistbeachtete Thema des kroatischen Wahlkampfs.

Der nächste Wackelkandidat in Mittelosteuropa?

Milanovic hat sich als Präsident gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen und mit seinem Veto die Beteiligung Kroatiens an der Ausbildung ukrainischer Soldaten verhindert. Droht nach Ungarn und der Slowakei dem westlichen Ukraine-Bündnis ein weiterer mittelosteuropäischer Wackelkandidat?

Wirklich vergleichbar sind die Fälle allerdings nicht. Der Beitrag des kleinen und abseits der grossen Transitrouten in die Ukraine gelegenen Kroatien war immer nur symbolischer Natur. Relevanter ist die Frage, welche Rolle Zagreb unter einer Regierung Milanovic im Westbalkan und vor allem in Bosnien-Herzegowina spielen würde.

Doch die Chancen des Herausforderers sind sehr begrenzt. Milanovics direkte Art kommt zwar vielerorts gut an. Einige Prozentpunkte dürfte der Präsident seinem Erzfeind Plenkovic schon wegschnappen. Dennoch liegt dessen konservative HDZ in allen Umfragen weiterhin klar vor den Sozialisten.

Und sollten sich die Mehrheitsverhältnisse dennoch stark verändern, müsste sich Milanovic stark mässigen, um Koalitionspartner zu finden. Mit seinen aggressiven Parolen hat der Präsident auch im eigenen Lager viele vor den Kopf gestossen.

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