Mittwoch, Oktober 2

Bitcoin kratzt am Allzeithoch, und Ether gewinnt innerhalb von 24 Stunden rund 20% an Wert. Hoffnungen auf Zinssenkungen würden die Kryptokurse antreiben, heisst es vielerorts – doch das ist nur die halbe Wahrheit.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Und plötzlich notiert Bitcoin wieder über 70’000 $ – nahe des Allzeithochs. Nachdem die anfängliche Euphorie über die Zulassung der Bitcoin-ETF von Blackrock, Fidelity und anderen Big Playern im Finanzwesen verflogen war, tat sich der Kurs der wichtigsten Kryptowährung in den letzten Monaten eher schwer. Vor drei Wochen wurde erstmals seit Februar die Marke von 60’000 $ unterschritten.

Mich überraschen jeweils die Crash-Szenarien, die angesichts solcher Rücksetzer immer wieder reflexartig an die Wand gemalt werden. Nach fünfzehn Jahren Existenz und zahlreichen Bullen- und Bärenmärkten sollte man meinen, dass Marktbeobachter mittlerweile verinnerlicht haben, dass die Kursausschläge von Bitcoin und Kryptowerten allgemein stärker sind als am Aktienmarkt.

Denn: Ein Drawdown von 20% vom letzten Allzeithoch, wie er bei Bitcoin zwischen März und Mai stattgefunden hat, ist kein Grund zur Panik, sondern Normalität. Wie die folgende Grafik des Krypto-Researchhauses Glassnode zeigt, kommt es in regelmässigen Abständen zu Rückschlägen zwischen 70 und 80% – zuletzt 2020 und 2023.

Bitcoin wieder im Hoch

Dass die Stimmung bei Bitcoin schlagartig «von Himmelhoch jauchzend», zu «zu Tode betrübt» (und umgekehrt) drehen kann, zeigen auch die letzten Tage, in denen der Kurs plötzlich in den Erholungsmodus schaltete. Als Grund für die jüngsten Gewinne werden gemeinhin Zinshoffnungen ins Feld geführt; also die Aussicht auf sinkende Renditen am Anleihemarkt. Dieses Muster erscheint plausibel: Bitcoin ist ein Risk-on-Asset, das – genau wie Aktien – für Anleger attraktiver wird, je niedriger der risikofreie Zinssatz liegt.

Dennoch halte ich eine andere Entwicklung, die sich derzeit in den USA abspielt, für ebenso entscheidend. Letzte Woche stimmte nach dem US-Repräsentantenhaus auch der US-Senat mit einer Mehrheit von 60:38 Stimmen für die Aufhebung der umstrittenen Accounting-Richtlinie SAB 121. Dieses sogenannte – von der US-Börsenaufsicht SEC herausgegebene – Staff Accounting Bulletin verpflichtet Finanzhäuser seit 2022 dazu, verwaltete Kryptogelder von Kunden nicht nur als Vermögenswerte, sondern auch als Verbindlichkeiten in ihrer Bilanz auszuweisen.

Die SEC-Richtlinie widerspricht damit der Grundregel der Bankenverwahrung, dass verwahrte Vermögenswerte von Banken stets ausserbilanziell gehalten werden.

Die Folge: Weil sich durch die Verbuchung der Kryptogelder auf der Passivseite die Bilanzsumme erhöht, werden Banken, die Kryptodienstleistungen anbieten wollen, indirekt hohe Kapitalanforderungen auferlegt – was die Möglichkeiten des Bankensektors, diesen Markt zu bedienen, effektiv einschränkt. Ihre Eigenkapitalrenditen würden unter Druck geraten, weshalb viele Banken davon absehen, Custodian-Dienstleistungen anzubieten.

SEC vor weiterer Niederlage

Es ist kein Geheimnis, dass die SEC unter ihrem Vorsitzenden Gary Gensler keine Fürsprecherin für Krypto ist. Bevor die US-Börsenaufsicht Anfang Jahr die ersten Bitcoin-Spot-ETF genehmigte, hatte sie zuvor ähnliche Anträge reihenweise abgeschmettert. Erst durch das Urteil eines US-Berufungsgerichts im Sommer 2023, gemäss dem die Ablehnung des ETF-Antrags des Krypto-Spezialisten Grayscale als unzureichend begründet wurde, lenkte Gensler ein.

Jetzt droht der SEC eine weitere Niederlage, diesmal nicht gegen die Judikative, sondern gegen die gesetzgebende Gewalt. Es gibt jedoch einen Haken: Da die Ablehnung der SEC-Richtlinie im Kongress keine Zweidrittelmehrheit erreicht hat, kann US-Präsident Joe Biden bis zum 28. Mai noch sein Veto einlegen, was er im Vorfeld der Abstimmungen im Kongress bereits ankündigte.

Man darf gespannt sein, ob es tatsächlich dazu kommen wird und Biden es ein halbes Jahr vor den Wahlen riskieren wird, zum Buhmann der Krypto-Nation zu werden. Unabhängig davon scheint sich in der US-Politik der Wind zu drehen. Wie die Abstimmung im Kongress zeigt, ist die Kryptobranche mittlerweile – mit Unterstützung der Bankenlobby – offenbar in der Lage, genügend politische Entscheidungsträger auf ihre Seite zu bringen, um wichtige Abstimmungen zu gewinnen.

Dass sich US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump zudem öffentlich für Krypto ausspricht (wohl aus politischem Kalkül und wie immer auf seine eigene Art und Weise), passt ins Bild einer sich anbahnenden Abkehr von einer krypto-skeptischen US-Politik.

Kommt bald das erste US-Regelwerk?

Noch wichtiger als die Ablehnung von SAB 121 dürfte eine weitere Abstimmung im US-Kongress sein, die diese Woche zunächst im Repräsentantenhaus ansteht: Mit dem sogenannten Financial Innovation and Technology for the 21st Century Act (FIT21) würde die USA das erste Mal – fünfzehn Jahre nach dem Bitcoin-Whitepaper – ein klar definiertes Krypto-Regelwerk einführen. Das Gesetz würde u.a. Massnahmen zum Konsumentenschutz einführen sowie die Aufsicht über die Krypto-Börsen sicherstellen und sie dazu verpflichten, ihre Kundeneinlagen von den Vermögenswerten zu trennen.

Würde dieses Gesetz vom US-Kongress abgesegnet, erhofft sich die Kryptobranche einen erheblichen Vertrauensgewinn. Seit seinem Bestehen leidet der Sektor – nicht zu unrecht – unter Glaubwürdigkeitsproblemen. Andererseits verwundert es nicht, dass eine Branche, die lange Zeit praktisch keine Regulierung kannte, Betrüger anzieht. Es wurde höchste Zeit, dass sich hier auch in den USA etwas bewegt – in der Europäischen Union wurde bereits 2023 mit der MiCA-Verordnung eines der weltweit ersten umfassenden Regelwerke zur Regulierung von Krypto-Assets verabschiedet.

SEC-Kehrtwende beim Ethereum-ETF

Zu guter Letzt sorgt seit Montagabend eine sich anbahnende Kehrtwende der SEC in Bezug auf Ether-Spot-ETF für gute Stimmung am Kryptomarkt. Nachdem eine mögliche Bewilligung in diesem Jahr noch vor kurzem am Markt praktisch ausgepreist worden war, führte ein Tweet des stets gut informierten Bloomberg-Analysten Eric Balchunas für einen Kurssprung bei Ether von gut 20%.

Gemäss der Einschätzung von Balchunas hat sich die Wahrscheinlichkeit einer Genehmigung eines Ethereum-ETF von 25% auf 75% erhöht. Auch er begründet seine neue Zuversicht damit, dass sich der politische Wind zu drehen scheine und sich der Druck auf die Börsenaufsicht immer weiter erhöhe. Spätestens diesen Donnerstag muss die SEC eine endgültige Entscheidung fällen, ob sie dem Antrag des New Yorker Vermögensverwalters VanEck zur Lancierung eines Ethereum-Spot-ETF entsprechen will.

Fest steht: Die nächsten Tage und Wochen werden spannend bleiben.

Freundlich grüsst im Namen von Mr Market

Henning Hölder

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