Montag, September 30

Der Logistiker ist auf Kurs und erhält Rückenwind von den hohen Frachtraten. Ausserdem: Emmi feiert mit Flans und Tartelettes ein Börsenjubiläum und hofft, dass etwas auf der Hüfte bleibt. Lindt & Sprüngli zeigt sich bisher unbeeindruckt von den hohen Kakaopreisen.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Die Aktien von Swiss Life streben höher und höher. Gestern Dienstag erreichten sie bei 669.40 Fr. die höchste Notierung seit dem Frühjahr 2001. Allein seit Anfang Jahr beträgt das Plus fast 16%.

Was treibt die Titel dermassen an?

It’s the interest rates, stupid.

Mit den sinkenden Zinsen in der Schweiz und in Europa scheint sich eine Neubewertung des umfangreichen Immobilienportfolios abzuzeichnen. Noch im vergangenen Jahr spürte Swiss Life die zunehmende Attraktivität von festverzinslichen Anlagen gegenüber Liegenschaften, insbesondere im Euroraum. Nun fliesst wieder vermehrt Geld von Grossanlegern ins Immobiliensegment. Das spiegelt sich auch in den Aktienkursen der grossen Schweizer Immobiliengesellschaften Swiss Prime Site und PSP: Seit der zweiten Leitzinssenkung der Schweizerischen Nationalbank am 20. Juni 2024 streben die Titel klar nach oben.

Swiss Life hielt Ende 2023 insgesamt Liegenschaften im Wert von über 115 Mrd. Fr. Dies als Anlagen für das Versicherungsgeschäft und für Drittkunden –

Sie liegen verstreut über mehrere Quadratkilometer: Containerschiffe im Hafen von Singapur. Der zweitgrösste Frachthafen der Welt ist nun seit Monaten überlastet, die riesigen Schiffe warten hier bis zu einer Woche, bis sie am Dock Waren ein- und ausladen können, wie aus einem Bericht des Beratungsunternehmens AlixPartners hervorgeht. Im Januar betrug die Wartezeit noch einen halben Tag.

Der Stau in Singapur trägt laut AlixPartners zum Ungleichgewicht der weltweiten Handelsrouten bei, insbesondere zwischen Asien und Europa sind sie seit einigen Monaten gestört. Ein wichtiger Grund dafür ist die faktische Schliessung des Suezkanals aufgrund der explosiven Lage im Nahen Osten. Jemenitische Huthi-Rebellen haben wiederholt Schiffe angegriffen, so dass diese auf die Route um das Kap von Afrika ausweichen. Der Krieg im Gazastreifen sorgt für zusätzliche Nervosität. Die Folge sind deutlich längere Transportwege und ein Mangel an Containern.

Dies spiegelt sich eindrucksvoll in den Frachtraten, also dem Preis, der für einen Standardcontainer von vierzig Fuss zu zahlen ist. So ist der World Container Index (WCI) – eine Zusammenstellung der Frachtraten auf acht Hauptrouten zwischen den USA, Europa und Asien – zuletzt auf fast 6000 $ je Container gestiegen.

Davon profitiert Kühne + Nagel direkt dank höherer Containerpreise, in der Seefracht erwirtschaftet der Logistiker jeden dritten Franken. Die zunehmende Komplexität des Güterverkehrs kommt dem Logistiker aber auch insgesamt zugute, wie CEO Stefan Paul kürzlich in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AWP erneut betonte. Es werden mehr Serviceleistungen angefragt, was das Verhältnis des Betriebsgewinns zum um die Frachtraten bereinigten Umsatz (Rohertrag), sprich die Conversion Rate, begünstigt – sofern die Prozesse schlank und die Kosten tief gehalten werden können.

Vor diesem Hintergrund ist der Aktienkurs ein stetes Auf und Ab mit den Neuigkeiten aus dem Nahen Osten.

Dabei sind die Aussichten von K+N unabhängig von der geopolitischen Lage durchaus positiv, so zeichnet sich auch in der Luftfracht eine Erholung ab. Und die mittelfristige Ausrichtung stimmt: Das vom Unternehmen initiierte Programm «Roadmap 2026» macht Fortschritte, wie ich höre. Entscheidend ist dabei der stärkere Fokus auf die Profitabilität; der Einstieg in lukrativere Geschäfte, etwa im Halbleitersegment, soll weniger profitable zum Beispiel mit Grosskunden ersetzen. Selbst von Deglobalisierungstendenzen könne das Unternehmen profitieren, glaubt der CEO: Die protektionistischen Massnahmen diverser Länder führten zu einem erhöhten Beratungsbedarf bei den Kunden.

Das Kühne-Management scheint jedenfalls von den guten Aussichten überzeugt zu sein, allen voran Ehrenpräsident Klaus-Michael Kühne. Wie schon im März kaufte er auch im April und Mai kräftig eigene Aktien, wie aus den Daten zu den Managementtransaktionen der SIX Exchange Regulation hervorgeht. Kühnes Käufe waren in der Vergangenheit immer wieder positive Signale. Manchmal auch mit etwas Verzögerung – wie jetzt nach meiner Empfehlung im Frühjahr.

Emmi gönnt sich zum zwanzigsten Geburtstag an der Schweizer Börse nicht nur eine Torte, sondern gleich ein ganzes Sortiment an Premiumdesserts: Mit der geplanten Übernahme der französischen Mademoiselle Desserts (Umsatz 2023: rund 420 Mio. €) wächst der Innerschweizer Milchverarbeiter auf einen Schlag um 10%, das Dessertgeschäft macht neu 17% des Umsatzes aus. Am vergangenen Freitag war es genau zwanzig Jahre her, dass die Zentralschweizer Milchproduzenten (ZMP) als Eigentümer den Weg für die Erfolgsgeschichte von Emmi als kotiertes Unternehmen ebneten.

Am 6. Dezember 2004 wurden die Emmi-Aktien erstmals an der Schweizer Börse gehandelt. «Emmi macht den Käse börsentauglich», meldet SWI Swissinfo. Das Unternehmen ist damals noch ein Leichtgewicht, weniger als eine halbe Milliarde beträgt die Marktkapitalisierung kurz nach dem Börsengang. Der Jahresumsatz von knapp 2 Mrd. Fr. wird hauptsächlich mit Milch und Käse für den Schweizer Markt erwirtschaftet, auch wenn im selben Jahr erstmals Emmi Caffè Latte in die Regale kommt.

Die ersten Monate und Jahre sind für die Anleger mager. Nach einem mehrjährigen Auf und Ab erreichen die Aktien im Dezember 2008 im Zug der grossen Finanzkrise sogar ihren Tiefststand und fallen unter den Ausgabekurs von 100 Fr.

Danach wachsen Umsatz und Börsenwert mit dem Anteil des Auslandgeschäfts: Frankreich, Spanien, Tunesien, Chile, Italien und die USA gehören zu den neuen Märkten. Neben konventioneller Milch, Butter und Käse bietet Emmi neu auch Schaf- und Ziegenmilch an – und erstmals auch Desserts. Die Expansionsstrategie mit gezielten Zukäufen im Ausland und in Nischen bringt Wachstum und höhere Margen, Caffè Latte sorgt für zusätzlichen Schwung. Der Milchverarbeiter wird zum Liebling der Schweizer Börse: Ende 2021 ist Emmi 5,76 Mrd. Fr. schwer.

Nach der Pandemie kommen die Innerschweizer etwas vom Erfolgskurs ab. Die Erwartungen an das sonst sehr konservativ prognostizierende Unternehmen sind zu hoch. Vor allem die Profitabilität gerät unter Druck, auch wegen steigender Kosten. Die Übernahme des norddeutschen Biomilchproduzenten Gläserne Molkerei erweist sich als Fehlkauf, einer von wenigen, Emmi zieht im Juli 2023 die Reissleine.

Ein positiver Impuls wäre nötig, wie ein Blick auf die Kursentwicklung der vergangenen drei Jahre zeigt.

Die schlechte Performance kommt nicht von ungefähr, wie ein Screening der UBS verdeutlicht. Die Analysten der Grossbank haben zwei Kennzahlen über die vergangenen fünf Jahre unter die Lupe genommen, die gemäss ihrer Auswertung eng mit der Aktienkursentwicklung zusammenhängen: die Cashflowrendite auf dem investierten Kapital (FCF ROIC) als Mass für die Rentabilität eines Unternehmens und das Wachstum des Betriebsgewinns (Ebit) je Mitarbeitenden als Mass für die Produktivität.

Emmi schneidet deutlich schlechter ab als der Median der 62 untersuchten Unternehmen im kleinen und mittleren Segment der Schweizer Börse. Insbesondere bei der Entwicklung der Profitabilität liegt Emmi deutlich zurück. In den vergangenen fünf Jahren ist der Ebit pro Angestellten durchschnittlich 2% gesunken. Der FCF ROIC betrug knapp 8%. Das soll sich mit der Akquisition in Frankreich ändern. Mademoiselle Dessert erzielte 2023 eine deutlich höhere operative Marge als die künftige Muttergesellschaft und wächst erst noch schneller. Chefin Ricarda Demarmels erhofft sich ausserdem Synergien mit dem eigenen Dessertgeschäft.

Leisten kann sich Emmi die Grosstransaktion angesichts ihres guten Cashflows problemlos. Sowohl geografisch als auch vom Verkaufskanal – mehr Foodservice, weniger Retail – ist Mademoiselle Desserts zudem komplementär aufgestellt. Doch all die Flans, Cakes und Tartelettes zum Jubiläum müssen erst einmal verdaut werden, mit einem wertsteigernden Effekt sollten Investorinnen erst mittelfristig rechnen. Zudem handelt es sich um eine Expansion in ein bisher unbekanntes Geschäftsfeld mit neuen Herausforderungen.

Bei der Auswertung von UBS vorne mit dabei ist ein anderer Titel aus dem Nahrungsmittelsegment, der zuletzt aber ebenfalls kaum vom Fleck gekommen ist: Lindt & Sprüngli.

Seit der Kakaopreis im Frühjahr 2024 aufgrund einer erneut schlechten Ernte in die Höhe schoss, gilt den Schokoladenherstellern an der Schweizer Börse ein besonderes Interesse. Zwar ist die Notierung des aktiven Futureskontrakts an der Intercontinental Exchange (ICE) in New York zuletzt auf knapp 8000 $ je Tonne gefallen und liegt damit deutlich unter den Höchstständen von Mitte April von rund 11’000 $, aber der Preis ist immer noch um ein Vielfaches höher als in den vergangenen Jahren.

Welche Auswirkungen hat das auf Lindt & Sprüngli?

Von aussen sichtbare wohl erstaunlich wenige. Die Verwerfungen am Kakaomarkt haben bisher keinen Einfluss auf die Gewinnerwartungen für dieses oder nächstes Jahr, wie Daten von Bloomberg zeigen. Etwa ein Zehntel der Produktionskosten geht bei Lindt-Schokolade auf den Kakaopreis zurück. UBS schätzt, dass Lindt den Preis von 20 bis 30% des für 2025 benötigten Kakao bereits abgesichert hat. Wie sich der Preis weiterentwickelt hängt massgeblich von der nächsten Ernte ab. Mehr Informationen zum Ertrag in der Saison 2024/25 dürften laut der internationalen Kakaoorganisation erst im August oder September folgen.

Auf dem gegenwärtigen Niveau hätten die höheren Inputkosten zur Folge, dass die Schokoladenpreise bei den Schweizern aber auch für die gesamte Industrie nach den diesjährigen Preisanstiegen nächstes Jahr nochmals etwa 10% steigen müssten. Das sollte Anleger bei Lindt nicht allzu sehr beunruhigen, selbst wenn die Verkaufsvolumen kurzfristig darunter leiden könnten. Dank der starken Marktposition dürfte es dem Unternehmen einmal mehr gelingen, die Kosten ohne grosse Einbussen an die Kundschaft weiterzugeben und die Profitabilität gar noch zu steigern. Dazu beitragen auch Kosteneinsparungen und die operative Hebelwirkung.

Deutlich düsterer sehen die Prognosen für Hershey und Mondelez aus. Bereits seit Ende 2023 befinden sich die Gewinnschätzungen der beiden US-Schokoladenhersteller für 2024 und 2025 im Sinkflug. Sie haben nicht nur mit höheren Inputkosten zu kämpfen, sondern sind auch stärker dem US-Markt ausgesetzt, wo höhere Preise angesichts der höheren Preissensitivität und der sich verschlechternden Konsumentenstimmung schwieriger weiterzugeben sein dürften.

Der Unterschied ist bemerkenswert – und es würde sich auch das immer wieder gehörte Argument der Premiumstrategie bestätigen: Bei ständig steigenden Preisen verzichten die Konsumenten offenbar lieber darauf, viel Billigschokolade zu kaufen als bei Qualitätsschokolade zu sparen. Auch vor dem Hintergrund der Diskussionen um eine Zuckersteuer und dem Aufstieg der Abnehmspritzen sind das mittel- bis langfristig süsse Aussichten für das Schweizer Unternehmen.

Kurzfristig könnte das Ergebnis gerade so im Rahmen der Erwartungen ausfallen, positives Überraschungspotenzial sehe ich für die Publikation der Halbjahreszahlen am 23. Juli kaum. Etwas gespannter bin ich auf die morgigen Neunmonatszahlen von Barry Callebaut. Der Schokoladenhersteller und Kakaohändler dürfte dank seinem Cost-Plus-Modell die höheren Inputkosten weitergegeben und erneut ein solides Wachstum erzielt haben, was die sehr gute Marktposition unterstreichen würde. Interessant sind aber vor allem die Prognosen für das Gesamtjahr, insbesondere mit Blick auf den freien Cashflow, der aufgrund des gestiegenen Umlaufvermögens negativ ausfallen könnte.

Freundlich grüsst im Namen von Mrs Market

Gabriella Hunter

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