KI-Spezialisten sind derzeit gefragt wie nie. Wer sich mit den Tools auskennt, kann am Arbeitsmarkt profitieren. Aber Vorsicht: Manche Jobs könnten schon bald wieder verschwinden.
«Was ist der heisseste Job in der amerikanischen Firmenwelt?», fragte kürzlich die «New York Times». Und lieferte die Antwort gleich mit: «Führungskraft mit Verantwortung für künstliche Intelligenz (KI)». Kein Job sei derzeit gefragter. Auch in der Schweiz ist die Nachfrage nach Fachkräften, die mit künstlicher Intelligenz umgehen können, angestiegen, wie eine Auswertung der Job-Plattform Linkedin zeigt. Im vergangenen Jahr waren KI-Entwickler die am dritthäufigsten gesuchte Berufsgruppe, nach Finanzberaterinnen und HR-Spezialisten.
Während die einen in grosser Sorge darüber sind, wie viele Jobs künstliche Intelligenz in naher oder ferner Zukunft abschaffen könnte, ist das Rennen um neue Fachkräfte andernorts in vollem Gange. Die Beratungsfirma Accenture hat im vergangenen Jahr angekündigt, die Zahl ihrer KI-Fachkräfte in den nächsten drei Jahren auf 80 000 zu verdoppeln, drei Milliarden Dollar will das Unternehmen dazu investieren. «Es gibt zahlreiche Rollen, die wir komplett neu schaffen», sagt Kathrin Schwan, Leiterin des Bereichs Data & AI im deutschsprachigen Raum.
Das zieht sich bis in die oberste Führungsriege: Im September wurde Lan Guan zur Chief AI Officer (CAIO) von Accenture befördert. Die neue Stelle zeige, wie gross Accentures Ambitionen in diesem Markt seien, so Guan bei ihrem Einstieg.
Fachkräfte zu finden, ist schwierig
Doch nicht nur in den obersten Führungsriegen wird ausgebaut. Auch KI-Berater sind derzeit gesucht. «Bei neuen Berufen wie Fullstack LLM Developers oder Generative AI Architects können wir naturgemäss nur zum Teil auf unseren internen Ressourcen aufbauen», sagt Schwan. Gleichzeitig seien Neurekrutierungen ebenfalls schwierig: «Viele der benötigten Kenntnisse gibt es in der Form bislang kaum als Angebot auf dem Arbeitsmarkt.»
Accenture versucht deswegen, bestehende Mitarbeiter selbst weiterzubilden. In Zusammenarbeit mit Partnern wie Open AI und Google wurden Schulungen entwickelt, bei denen Mitarbeiter entsprechende Zertifikate erwerben können. Seit sie selbst einen mehrtägigen Kurs am amerikanischen MIT absolvierte, ist Kathrin Schwan überzeugt von diesem Konzept: «Man kann in kurzer Zeit wirklich sehr viel lernen.»
Das sieht auch Afke Schouten so. Die KI-Beraterin mit eigener Firma wurde nach dem Erfolg von Chat-GPT mit Anfragen überflutet. Damit die Unternehmen besser in der Lage sind, KI bei sich zu integrieren, sind ihrer Ansicht nach Weiterbildungen nötig.
Die Berufsbezeichnungen sind endlos
Schouten leitet den in diesem Jahr neu lancierten MAS AI Leadership an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich. Studierende lernen dort, was künstliche Intelligenz eigentlich ist, was es für Anwendungsbereiche gibt, wie man als Unternehmen eine erste Strategie entwickelt und wie man die Technologie nach einiger Zeit schliesslich auf die ganze Firma ausweiten kann.
Anschliessend gibt es, so Schouten, zahlreiche Tätigkeitsfelder für die Absolventen: AI Strategist, Analytics Translator, AI Product Owner, involvierter Business Stakeholder, Prompt Engineer . . . Bei der Wahl der Berufsbezeichnung sind der Phantasie anscheinend kaum Grenzen gesetzt. «KI in einem traditionellen Unternehmen zu integrieren, ist herausfordernd», sagt Schouten. «Die meisten meiner Absolventen haben keinen Tech-Hintergrund, sondern kommen querbeet aus dem Business-Bereich. Hinterher können sie als als Bindeglied zwischen Wirtschaft und Technologie fungieren.»
KI zieht sich durch fast alle Berufe
Doch um auf der KI-Karrierewelle mitzureiten, muss man weder Programmierer werden noch eine Weiterbildung absolvieren. Zwar seien die offensichtlichen Jobprofile wie Data Scientists oder Tech-Ingenieure besonders gesucht, sagte der Linkedin-COO Daniel Shapero kürzlich der Nachrichtenagentur Bloomberg. Aber es werde in fast allen Arbeitsbereichen Fachkräfte brauchen, die mit KI vertraut seien.
In der Marketingbranche merkt man das längst – etwa bei der Zürcher Werbeagentur Jung von Matt. «Ich werde oft gefragt: ‹Was machst du eigentlich nächstes Jahr? Ihr habt ja nichts mehr zu tun›», erzählt der Geschäftsführer Roman Hirsbrunner. «Dabei gab es bei uns keine Stellenreduktionen, sondern wir haben Stellen aufgebaut, um uns mehr auf KI zu fokussieren. Einige Leute haben komplett neue Profile. Und unser KI-Spezialist hat im Moment sehr viel zu tun, vielleicht müssen wir noch einmal einstellen.»
Dabei liegt der Fokus nicht unbedingt auf Personen, die eine umfassende Ausbildung durchlaufen haben. «Im Grundsatz geht es darum, Leute mit dem richtigen Mindset einzustellen, die gegenüber KI offen und interessiert sind», sagt Hirsbrunner. «Wenn man zwei Kandidatinnen in der Auswahl hat, wird man sich eher für diejenige entscheiden, die in diesem Bereich hohes Engagement zeigt.»
«Echte Spezialisten arbeiten bei Open AI»
Ähnlich sieht das Lukas Görög. Der Datenwissenschafter aus Wien hat als Data Strategy Consultant gearbeitet, hat ein Zertifikat als AI Product Manager und gibt nebenberuflich KI-Schulungen – und würde sich selbst trotzdem nicht als KI-Spezialisten bezeichnen. «Ich bin einfach jemand, der sich für das Thema begeistert und die Tools kennt. Echte Spezialisten arbeiten bei Open AI.»
Görög sieht es als seine Aufgabe an, die Leute von den Möglichkeiten der neuen Technologie zu überzeugen. Er berät Unternehmen darin, welche Tools sie bei sich einsetzen können, und schult die Mitarbeiter in deren Anwendung. KI als Thema sei zurzeit eben «sexy», so dass jeder dabei sein wolle. Dabei sei es vor allem wichtig, offen für die Tools zu sein und praktische Überlegungen zu ihrem Einsatz anzustellen.
Wer sich im KI-Bereich weiterbilden wolle, könne zum Beispiel Linkedin-Gruppen folgen, die sich zu dem Thema austauschten, um auf dem Laufenden zu bleiben. Viele hätten inzwischen erkannt, dass die Technologie nicht angetreten sei, um die Mitarbeiter zu ersetzen. «Einige Jobs werden anders aussehen, manche werden verschwinden, aber viele werden auch neu entstehen – so wie meiner.»
Welche Berufe werden bleiben?
Oder der eines Chief AI Officer. Doch wie lange diese neu entstandenen Berufe bleiben werden, ist umstritten. In einem Artikel mit dem Titel «Warum die Rolle des Chief Data and AI Officer zum Scheitern verurteilt ist» beschreiben zwei Autoren der «Harvard Business Review», dass diese Jobs einen Balanceakt zwischen Risiken und Chancen darstellten, der kaum von einer Person zu bewältigen sei.
Die Unternehmensführung verlange von den CAIO, das gesamte Potenzial der generativen KI zu nutzen und gleichzeitig Schaden zu vermeiden – eine unlösbare Aufgabe. Die Autoren plädieren deswegen dafür, KI-Aufgaben auf das ganze Unternehmen zu verteilen und dafür zu sorgen, dass alle im Umgang mit Daten und den damit einhergehenden Risiken geschult sind.
Die Linkedin-Chefökonomin Karin Kimbrough sagte im Gespräch mit der «New York Times» bereits das nahende Ende der KI-Berufe voraus. «KI wird sich durch viele Rollen ziehen und so tief verwurzelt sein, dass die spezifische Berufsbezeichnung KI verschwinden wird.»
Der Prompt Engineer schafft sich selbst ab
Und manche der KI-Berufe sind so spezifisch, dass sie durch die rasche Entwicklung der Technologie von selbst abgeschafft werden könnten. Das zeigt das Beispiel der des Prompt Engineer, dessen Aufgabe es ist, optimale Eingabe-Aufforderungen für Chatbots wie Chat-GPT zu formulieren. Der Job, für den KI-Unternehmen wie Anthropic bis zu 300 000 Dollar im Jahr bezahlen, gilt als Symbol für neue Karrieremöglichkeiten, die KI eröffnet.
Damit könnte es schon bald vorbei sein. Eine Studie des Cloud-Computing-Unternehmens VMware aus Kalifornien legt nahe, dass die Tätigkeit des Prompt Engineer in naher Zukunft wieder verschwinden könnte. Wissenschafter untersuchten in der Studie die Frage, wie sich die Antworten von Sprachmodellen am besten optimieren lassen. Das verblüffende Resultat: Die Ergebnisse sind dann am besten, wenn das Sprachmodell aufgefordert wurde, sich selbst eine optimale Aufforderung auszudenken.
Der beste KI-Experte ist also die KI selbst.