Donnerstag, August 21

Das Festival Klosters Music zeigt seit sechs Jahren, wie Hochkultur zum Motor des Tourismus werden kann. Mit international bekannten Künstlern hat sich die private Reihe fest in der Schweizer Festspiellandschaft etabliert.

Rund um den Schweizer Nationalfeiertag erwacht in dem 4500-Einwohner-Dorf Klosters jeden Sommer eine ungewöhnliche Geschäftigkeit. Ungewöhnlich deshalb, weil das Idyll im Prättigau die Touristen vorwiegend winters zum (Après-)Ski anlockt – dagegen fallen lediglich zwanzig Prozent der 600 000 Übernachtungen pro Jahr in die Sommerzeit. Doch seit 2019 zieht es jeweils für neun Tage um den ersten August eine ganz andere Klientel in das Herz Graubündens: Liebhaber klassischer Musik. Sie alle sind Freunde des «kleinen, aber feinen» Festivals Klosters Music, wie Franziska von Arb die Konzertreihe selbstbewusst beschreibt.

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Seit der Gründung des Festivals Klosters Music wirkt die gebürtige Solothurnerin als dessen umtriebige Geschäftsführerin. Während dieser sechs Jahre haben sich die Besucherzahlen mehr als verdoppelt – tatsächlich sind gut die Hälfte der heuer elf Konzerte ausverkauft. Vor allem aber ist es von Arb gemeinsam mit dem künstlerischen Leiter David Whelton gelungen, dass auch die Einheimischen die vermeintlich elitären Musikveranstaltungen inzwischen zu schätzen wissen.

Abhilfe im Sommerloch

Schliesslich profitieren Gastronomie und Hotellerie ebenso wie manches kleine Geschäft im Ort von dem bemerkenswerten Kulturtourismus dieser Tage, wenn international bekannte Stars wie die Pianisten Sir András Schiff und Piotr Anderszewski sich hier blicken lassen. Zudem sind die Anfangszeiten so freundlich gelegt, dass etwa nach dem «Final Showdown» mit den Musikkabarettisten Igudesman & Joo noch ein Abendessen in den örtlichen Gasthöfen eingenommen werden kann.

«Wir haben das Potenzial, dass wir mit unseren grossen Namen auch Menschen in einem grösseren Einzugsgebiet anziehen und die Leute extra für uns herkommen und oft zwei, drei Tage, ja bisweilen sogar für das gesamte Festival bleiben», sagt Franziska von Arb – ein Blick auf die Kennzeichen der Fahrzeuge vor den Veranstaltungsorten scheint diese Einschätzung zu untermauern.

Klassik als Wirtschaftsfaktor: Was manchen Musiker die Augen verdrehen lässt, weil Kunst und Kommerz traditionell als Gegensatz empfunden werden – hier proklamiert man es offensiv und ohne Scheu. Tatsächlich lässt sich das Sommerloch in den auf Skitourismus eingestellten alpinen Ferienorten durchaus mit Konzerten und kulturellen Angeboten füllen – derartige Bestrebungen gibt es mittlerweile vielerorts, im grossen Stil etwa in Andermatt. Und Franziska von Arb denkt dabei schon weiter, wenn sie sagt: Kultur sei «der Schnee von morgen».

Entsprechend gross ist das Engagement der ehrenamtlichen Helfer vor Ort – «es ist eine Herzensangelegenheit von Leuten, die sich mit Klosters verbunden fühlen und dessen Attraktivität als Touristenort erhalten und ausbauen möchten», sagt die Geschäftsführerin. Dies motiviert offenbar auch die Stiftungsräte: Das Budget des Festivals von inzwischen 1,4 Millionen Franken wird zu mehr als der Hälfte von privaten Donatoren getragen, die sich im lokalen Förderverein Kunst & Musik zusammengefunden haben. Und das, obwohl zwei Drittel der Menschen hier lediglich einen Zweitwohnsitz haben. Dem kann dennoch schon einmal ein jährliches privates Engagement von jeweils mehr als 50 000 Franken entspringen wie im Fall der derzeit fünf «Diamant-Mitglieder» des Fördervereins.

Konkurrenz für Davos?

Geld ist freilich nur das eine – man muss es auch in attraktiven Programmangeboten anlegen. Und Künstler vom Rang eines András Schiff, die auf den grössten Bühnen der Welt auftreten, wollen erst für ein Projekt gewonnen werden. Der Erfolg des Festivals hat denn auch viel mit dem feinen Händchen zu tun, das David Whelton bei der Musiker- und Programmauswahl beweist. Als Intendant des Philharmonia Orchestra in London trug der Brite einst massgeblich zum internationalen Ruf des Ensembles bei. Nach seiner Pensionierung 2016 entstand die Idee, seine weltweiten Kontakte künftig für Konzert-Highlights in Klosters zu nutzen, wo einige der Orchestermitglieder eine zweite Heimat gefunden hatten.

Nach zwei erfolgreichen winterlichen «Testläufen» entschied sich die neugegründete Trägerstiftung für ein Sommerfestival – Klosters Music war geboren. Nebenan in Davos, der grösseren der beiden sich touristisch gemeinsam vermarktenden Gemeinden, war man anfangs nicht gerade begeistert von dem Projekt. Entstand da etwa ein Konkurrent zum Mitte der 1980er Jahre gegründeten Davos Festival?

Inzwischen hat Whelton den Nachbarn einige Sorgen nehmen können. Er wildert nicht auf fremdem Terrain, etwa in der Pflege des künstlerischen Nachwuchses, die für Davos zentral ist, und setzt stattdessen auf Synergieeffekte – wenn etwa András Schiff hier zum Rezital lädt und dort eine Meisterklasse abhält.

Die Unterschiede sind auch beim Programmkonzept deutlich: Während man in Davos traditionell mit Konzertformaten experimentiert, ist der Zuschnitt in Klosters klassischer. Aber es gibt auch hier keine Konzerte von der Stange, sondern individuelle Werkkombinationen, die auf das Festivalmotto – diesmal «Mythen und Legenden» – abgestimmt werden. Auch Unbekanntes gehört dazu, beim «Arkadien»-Programm des Amatis-Trios etwa je ein Werk von Rebecca Clarke und von Karol Szymanowski.

Whelton ist indes erfahren genug, um zu wissen, dass er es mit Raritäten auch nicht übertreiben darf. Und so stehen bei den Auftakt- und Abschlusskonzerten, diesmal mit dem Münchener Kammerorchester und mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, eben auch populäre Klassik wie Beethoven oder Tschaikowskys Fünfte auf dem Programm. Die 650 Plätze in der akustisch erfolgreich von einer Tennishalle zum Konzertsaal verwandelten Arena wollen gefüllt werden.

Atmosphärisch reizvoller sind alternative Veranstaltungsorte wie die St.-Jakob-Kirche, in der sich eindrucksvolle Chorfenster von Augusto Giacometti finden. Sie lassen Andreas Ottensamers feine Klarinettentöne in Mozarts Quintett KV 581 gleichsam direkt gen Himmel steigen. Ähnlich suggestiv wirkt die lichtdurchflutete Werkhalle des Malers und Bildhauers Christian Bolt, die dem Publikum den Blick auf die Bergwelt erlaubt. Natur und Kultur in Harmonie vereint – das ist die Domäne solcher Festivals.

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