Montag, November 25

Jetzt zeigen wieder alle mit dem Finger auf Donald Trump und seine unterkomplexen Ansichten. Doch die wahren Grossmeister des einfachen Denkens sind derzeit Kunstschaffende – von Sally Rooney bis Nan Goldin.

Noch nie hat ein Staatschef den Versuch unternommen, so viele Böcke zu Gärtnern zu machen wie Donald Trump seit seinem zweiten Wahlsieg. Fast täglich schickt er Schockwellen durch das Land und bringt mit seinen Nominationen selbst Anhänger aus der Fassung. Manche sehen mit diesem zukünftigen Kabinett des Schreckens das Ende der Geschichte heraufdämmern.

Ein Impfgegner und Quacksalber soll Gesundheitsminister werden; als Verteidigungsminister ist jemand vorgesehen, der ebenso lange als subalterner Offizier in der Armee wie als Moderator bei Fox News diente; und die designierte Koordinatorin der Geheimdienste bezeichnen manche wegen ihrer Sympathien für Putin geradezu als Sicherheitsrisiko. Das klingt nach Irrsinn, aber es hat System.

Kompetenz zählt nichts: Rekrutiert wird nicht, wer sich auskennt, schon gar nicht jemand aus dem Inneren des Apparats. Die Devise scheint zu lauten: Je weniger einer weiss, desto besser für das Ministerium. Beste Voraussetzungen bringt darum jener mit, der die Behörde, die er leiten soll, am liebsten auflösen möchte.

Eine riskante Wette

Manche halten Trump für den Grosswesir des einfachen Denkens. Nun tritt er an, das Gegenteil zu beweisen, indem er der Welt vorführt, was Dialektik im Zeitalter des Populismus bedeutet. Die Wette, die er dabei eingeht, ist riskant und der Einsatz hoch.

Disruption heisst das Zauberwort, das wir während Trumps erster Amtszeit neu buchstabieren lernten. Sie ist die vulgäre Schwester der vornehmen französischen Dekonstruktion. Aber die beiden Begriffe meinen ungefähr das Gleiche. Das alte Bekannte wird zerlegt, damit wir es neu denken können. Ausgetretene Denkwege führen nur immer wieder dahin, wo andere schon waren. Wer mehr will, muss vom Weg abkommen. Nichts anderes bedeutet Dialektik, sie denkt das ganz andere, den Widerspruch, immer auch mit. Wer stets nur das eine denkt, gewinnt vom Ganzen keine zureichende Vorstellung.

Keiner trägt den Widerspruch als seine eigene Antithese derart ostentativ vor sich her wie Trump. Das verschafft ihm nicht nur den Nimbus der Authentizität. Er ist immer schon da, wo die anderen noch nicht sind. Keiner muss ihm widersprechen, er widerspricht sich selbst.

Unterkomplexe Philosophen

Trump denke unterkomplex, behaupten viele. Man muss ihn nicht mögen, um festzustellen, dass dies vermutlich die teuerste Fehleinschätzung der Gegenwart ist. Denn die Meisterdenker des Einfachen finden sich derzeit eher unter jenen, die sich bisher nicht besonders verdächtig gemacht haben mit habitueller Komplexitätsreduktion: Philosophen und Kunstschaffende.

Der französische Philosoph Alain Finkielkraut offenbarte unlängst bemerkenswert schlichte Ansichten von Amerika: Die USA seien «innerlich zerrissen durch den Trumpismus und den Wokeismus. Im Trumpismus kommt der Ärger über den Wokeismus zum Ausdruck (. . .). Und der Wokeismus mobilisiert seinerseits gegen den Irrsinn des Trumpismus.»

Wäre es so einfach, der gordische Knoten wäre schnell durchhauen. Ohnehin wäre es reizvoller, Wokeismus und Trumpismus nicht so sehr als Kontrahenten, sondern vielmehr als Komplizen zu betrachten. Denn das zeichnet die späte Postmoderne aus: Die Extreme berühren sich, und die Positionen sind ohnehin nicht mehr auf einer Links-rechts-Skala festgenagelt. Nicht die Antagonismen bestimmen die zeitgenössischen Diskurse, eher sind es Allianzen, in denen sich vorzugsweise jene verbünden, die alles trennt – bis auf ein gemeinsames Feindbild.

Das zeigt sich auf erschreckende Weise seit dem 7. Oktober 2023. Denn nur zu schnell hat sich bestätigt, was man schon am Abend nach den Massakern erwarten musste: Die Ermordung und Entführung israelischer Zivilisten durch die Hamas hat in kürzester Zeit rund um den Globus eine Welle des Antisemitismus ausgelöst.

Nan Goldins Geschichtsverzerrung

Erschütternd ist allerdings die Tatsache, dass sich in dieser Hasskampagne zahlreiche Kulturschaffende auf eine Weise profilieren, mit der sie ihre eigenen Ansprüche auf differenziertes Denken und Argumentieren verhöhnen. Nicht nur teilen sie seither mit ihrem manichäischen Denken die Welt in Gute und Böse, sie machen sich überdies zu Verbündeten von Terroristen, die unter anderen Umständen nicht zögern würden, ihre Claqueure aus dem Westen niederzumähen.

Das jüngste eklatante Beispiel dieser selbstzerstörerischen Haltung lieferte die amerikanische Künstlerin Nan Goldin am Samstag bei der Eröffnung ihrer Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin. Sie nutzte den Anlass für eine Brandrede gegen Israel und bezichtigte das Land eines Völkermords in Gaza. «Haben Sie Angst, das zu hören, Deutschland? Dies ist ein Krieg gegen Kinder», rief sie ins Publikum. Sympathisanten johlten begeistert und schwenkten palästinensische Flaggen.

Nan Goldin fügte dann noch hinzu, dass die Ereignisse in Gaza sie an die Pogrome in Russland erinnerten, denen ihre Grosseltern entronnen seien. Es ist ihr unbenommen, solches in Deutschland zu sagen, auch wenn sie damit Geschichtsverzerrung betreibt. Es müsste ihr jedoch zu denken geben, dass ihre Anhänger die anschliessende Rede des Museumsdirektors niederbrüllten. Es müsste sie auch deswegen ins Grübeln bringen, weil sie damit die Anschauung dafür erhielt, dass sie in Gaza keinen Tag überleben würde, wenn sie ähnlich aggressiv die Hamas kritisieren oder ihre Kunst zeigen wollte. Man würde sie nicht bloss niederbrüllen.

Man muss den Eindruck gewinnen, dass Kunstschaffende derzeit in der Wahl ihrer Verbündeten wenig Weitblick beweisen, wenn sich kurzfristig die Gelegenheit bietet, moralischen Mehrwert abzuschöpfen. Dazu gehört auch ein neuerlicher Aufruf zu einem Bann gegen Israel, den die Urheber wichtigtuerisch als «grössten Kulturboykott der Geschichte gegen israelische kulturelle Institutionen» bezeichnen. Den Aufruf haben einschlägig bekannte Autorinnen unterschrieben: die Schriftstellerinnen Sally Rooney und Rachel Kushner sowie die Philosophin Judith Butler.

Auch die Nobelpreisträgerin Annie Ernaux, bekannt für ihre Freizügigkeit beim Unterschreiben von Protesten, hat den Vorstoss unterzeichnet und fordert ihre Kolleginnen und Kollegen in aller Welt dazu auf, nicht mehr in Israel aufzutreten, Übersetzungen ihrer Bücher ins Hebräische zu untersagen und die Zusammenarbeit mit Verlegern zu beenden. Es sei «eine kollektive Weigerung, Institutionen zu unterstützen, die Völkermord zulassen oder davon profitieren», schreibt die äthiopisch-amerikanische Autorin Maaza Mengiste zu dem Aufruf.

Die amerikanische Schriftstellerin Lionel Shriver weist in einem Beitrag für «The Free Press» auf den fundamentalen Denkfehler dieses Kulturboykotts hin. Die israelische Literaturszene stehe – ähnlich wie in Europa oder Amerika – politisch mehrheitlich links. Die «Rooney-Brigade», wie Shriver die Unterzeichner des Aufrufs nennt, bestraft darum mit dem Boykott ihre «natürlichen politischen Verbündeten».

Die richtige Moral ist gratis

Die Unterzeichner müssen sich im Übrigen die Frage gefallen lassen, was ein solcher Boykott an der Situation in Gaza ändert. Die Antwort ist einfach, und das wissen auch die Autoren: nichts. Aber Rooney und Konsorten haben ein reines Gewissen und klopfen sich gegenseitig auf die Schultern. Der neue Bekenntnis-Rigorismus beweist mit dem kindlichen Glauben, eine Unterschrift unter einen Boykottaufruf habe irgendeine reale Bedeutung, vor allem eines: politische Verantwortungslosigkeit.

Es kostet einen Autor wenig oder nichts, auf Lesungen in Israel und Übersetzungen ins Hebräische zu verzichten. Wenn es die Schriftsteller ernst meinten, dann müssten sie auch Amerika, Israels treusten Verbündeten, boykottieren. Das tun sie aus ökonomisch nachvollziehbaren Gründen natürlich nicht. Und auch wenn die Gaza-Sympathie sowohl kosten- wie zugleich wertlos ist, so sind die Autoren groteskerweise die einzigen Profiteure dieses Boykotts. Sie dürfen sich eine Gratisprämie auf ihrem moralischen Konto gutschreiben lassen.

Schriftsteller waren einmal Einzelgänger und schrieben Bücher. Ihr Werkzeug war das Wort und nicht die Unterschrift, die sie alle paar Wochen mit tausend anderen unter einen Fetzen Papier setzten. Der neue Bekenntnisdrang geht mit einem Rudelzwang einher. Im Unterschriften-Kollektiv versichert man sich gegenseitig, auf der richtigen Seite zu stehen. Mit Einspruch ist nicht zu rechnen, da man sich unter Gleichgesinnten weiss. Die heilige Einfalt des einfachen Denkens lässt sich durch nichts erschüttern. Sie braucht den Widerspruch nicht, sie ist sich selbst genug.

Exit mobile version