Englische Lehrpersonen sollen im Schulunterricht nur unter strengen Auflagen über Gender-Identitäten oder Pornografie sprechen. Doch manche Experten sagen, die neuen Regeln seien kontraproduktiv.
Ab welchem Alter sollen britische Kinder in der Schule aufgeklärt werden? Und welche Inhalte sollen die Lehrerinnen und Lehrer ihnen im Sexualkundeunterricht vermitteln? Um diese Fragen tobt in Grossbritannien ein Kulturkampf, spätestens seit sie die konservative Unterhausabgeordnete Miriam Cates im letzten Frühling im Parlament zum grossen politischen Reizthema erhob.
Die Kinder erhielten plastische Lektionen über Oralsex, zum gefahrlosen Würgen von Sexualpartnern und über die angebliche Existenz von 72 Geschlechtern, erklärte die evangelikale Christin Cates. Der Sexualkundeunterricht sei nicht altersgemäss und extrem, weshalb er dringend reguliert werden müsse.
Gender-Identität nicht thematisieren
Am Donnerstag nun hat die Regierung neue Vorschriften in die Konsultation geschickt, um den Unterricht strenger zu regulieren. Zwar räumte Erziehungsministerin Gillian Keegan ein, dass extreme Inhalte an englischen Schulen nur selten unterrichtet würden. Dennoch sollen Kinder künftig erst ab dem Alter von neun Jahren mit der Sexualkunde in Kontakt kommen. Für Kinder ab elf Jahren neu ins Programm aufgenommen werden Suizidprävention sowie Aufklärung über sexuelle Belästigung und Gewalt. Zudem erhalten die Lehrpersonen Anweisungen zum Umgang mit frauenfeindlichen Online-Influencern wie Andrew Tate.
Für Kontroversen sorgt nicht zuletzt der Umgang mit der Thematik rund um sexuelle Minderheiten und Transsexualität. Grossbritannien hat jüngst beim Umgang mit Transkindern einen restriktiveren Kurs eingeschlagen. So gibt der Nationale Gesundheitsdienst (NHS) Pubertätsblocker nur noch im Rahmen einer medizinischen Studie ab.
Laut Keegan sollen die Sekundarschüler ab elf Jahren mit Inhalten rund um Homosexualität und Geschlechtsumwandlung in Kontakt kommen, nicht aber mit Inhalten zum Konzept der Gender-Identität. Gemäss den neuen Vorschriften sollen Lehrpersonen Vorsicht walten lassen und Lehrmittel vermeiden, die «umstrittene Ansichten wie die Existenz eines Gender-Spektrums als Fakten darstellen».
Früher Kontakt mit Pornografie
Für Gesprächsstoff sorgt auch die neue Vorschrift, keine Schülerinnen und Schüler unter elf Jahren über Pornografie und den Umgang damit aufzuklären. Dass Kinder keine pornografischen Inhalte zu Gesicht bekommen sollten, ist unbestritten. Allerdings ergab jüngst eine Studie der englischen Kommissarin für Kinderfragen, dass über ein Viertel aller Kinder bereits vor dem Alter von elf Jahren Internet-Pornografie zu Gesicht bekommen.
Lucy Emmerson, Vorsteherin des Sex Education Forum, erklärte daher, die Restriktionen könnten eine kontraproduktive Wirkung entfalten. Wenn gewisse Themen wie Pornografie, Gewalt oder Geschlechtskrankheiten in der Schule gar nicht oder zu spät angesprochen würden, würden die Kinder im Internet nach Antworten suchen, sagte sie gegenüber der BBC. Dies könne sie je nach Quelle zusätzlich verstören und beängstigen.
Auch Paul Whiteman von der Gewerkschaft der Schulleiter äusserte sich skeptisch. Viele Kinder kämen auch ausserhalb der Schule mit Themen rund um Sexualität in Kontakt. «Darum ist es schwer zu verstehen, warum rigide Alterslimiten in der Schule im Interesse der Kinder sein sollen.»
Die Tory-Abgeordnete Cates begrüsste die Richtlinien der Regierung, die der vorzeitigen Sexualisierung im Klassenzimmer Einhalt gebieten würden. Doch räumte sie ein, dass diese Massnahme allein nicht ausreiche. «Wir müssen verhindern, dass Kinder die entsetzliche Welt der Online-Pornografie betreten», erklärte sie am Donnerstag. Darum müsse der britische Staat Kindern unter sechzehn Jahren den Gebrauch von Smartphones und den Zugang zu Social-Media-Plattformen generell verbieten.