Die EU will die Personenfreizügigkeit fördern: Doch wenn Schwule und Lesben mit ihren Kindern umziehen, wird es schnell kompliziert.

Es wirkt auf den ersten Blick wie eine Selbstverständlichkeit: Ein Kind wächst im Land X auf. Dann entscheiden sich seine Eltern, ins Land Y umzuziehen – und bleiben auch dort seine Eltern.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Doch so ist es zumindest rechtlich nicht immer: Sind die Eltern homosexuell oder ist das Kind im Bauch einer Frau gewachsen, die biologisch nicht seine Mutter ist, wird die Sache kompliziert. Statt um Elternfreuden geht es dann plötzlich um die Hürden des Privatrechts, den Verdacht auf Menschenhandel – und letztlich um unterschiedliche Wertvorstellungen.

Die Europäische Union ist zwar eine Rechtsgemeinschaft, die Mitgliedstaaten haben aber weiterhin ihre nationalen Gesetzgebungen. Gerade bei emotional aufgeladenen Themen wie dem Umgang mit Homosexualität ergeben sich daraus zwangsläufig unterschiedliche Regelungen: In Deutschland, Spanien oder den Niederlanden kann ein gleichgeschlechtliches Paar ein Kind adoptieren. In Italien, Polen oder Ungarn ist dies verboten.

Potenziell zwei Millionen Kinder betroffen

Daran soll sich auch nichts ändern. Die EU-Mitgliedstaaten können weiterhin frei entscheiden, wie sie ihr Familienrecht gestalten wollen. Die Kommission und eine Mehrheit des Parlaments wollen aber die Regelung für jene Paare vereinfachen, die von einem liberalen in ein wertkonservatives Mitgliedsland umziehen – schliesslich ist die Personenfreizügigkeit einer der Grundpfeiler der Europäischen Union. Sie soll das Wirtschaftswachstum ankurbeln und den Zusammenhalt stärken.

Konkret soll die Elternschaft eines Kindes, die in einem Mitgliedstaat anerkannt ist, automatisch auch in allen anderen Mitgliedstaaten anerkannt sein. Damit soll sichergestellt sein, dass alle Kinder gleichgestellt sind. Ausnahmen wären nur möglich, wenn die öffentliche Ordnung («ordre public») gestört würde. Damit bezeichnet man den Kern der Wertvorstellungen, die von Land zu Land unterschiedlich sind. Doch jeder Fall müsste individuell geprüft werden.

Gemäss Angaben der EU-Kommission gibt es europaweit schätzungsweise zwei Millionen Kinder, die potenziell nicht die vollen Rechte erhalten könnten. Die Zahl derjenigen, die effektiv diskriminiert worden sind, liegt mit Sicherheit massiv darunter – um wie viel, ist nicht bekannt.

Schulbesuch ist immer garantiert

Juristisch ist die Angelegenheit komplex: Diejenigen Elternrechte, die sich aus dem Unions- und insbesondere dem Freizügigkeitsrecht ergeben, müssen bereits heute von allen Mitgliedstaaten anerkannt werden. Das bedeutet beispielsweise, dass ein anerkanntes Kind mit seinen Eltern in ein anderes Land einreisen, sich dort aufhalten und die Schule besuchen darf.

Diejenigen Elternrechte, die sich nicht aus dem Unions-, sondern aus dem nationalen Recht ableiten, sind jedoch nicht harmonisiert. Es geht dabei etwa um Bildung, Gesundheitsversorgung, Sorgerecht oder Erbschaft. Der «Vater» hat dann möglicherweise keinen Zugang zu seinem Kind, wenn es im Krankenhaus liegt, darf in der Schule nicht als sein gesetzlicher Vertreter auftreten und kann ihm weniger Mittel hinterlassen, sollte er sterben. Kurz: Das Kind geniesst im neuen Land nicht die gleichen Rechte wie seine Altersgenossen aus klassischen Familienverhältnissen.

Rechtsausschuss wird ungeduldig

Nachdem die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits 2020 in ihrer Rede zur Lage der Union die Elternschaftsharmonisierung als notwendig bezeichnet hatte, überwies ihre Behörde im Dezember 2022 einen entsprechenden Gesetzesentwurf. Das Parlament stimmte im Dezember 2023 mit grosser Mehrheit zu, wobei es bei diesem Geschäft nur eine konsultative Rolle innehat.

Entscheiden muss der EU-Rat, also die Mitgliedsstaaten der EU. Doch passiert ist dort nicht viel – so wenig, dass dem parlamentarischen Ausschuss für Rechtsfragen letzte Woche der Kragen platzte. In einer schriftlichen Anfrage will er wissen, ob der Rat in den letzten zwei Jahren irgendwelche Fortschritte erzielt hat – und wenn ja, welche.

Die offizielle Antwort steht noch aus, aber bereits jetzt lässt sich sagen: Die Arbeiten sind keineswegs stehengeblieben – die Mitgliedstaaten sind sich schlicht nicht einig. Die Trennlinien verlaufen dabei entlang der Anerkennung von Homosexuellenrechten in den verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten, wie eine öffentliche Beratung vom Juni 2024 zeigt.

Italien hat die Schraube angezogen

Bedenken äusserte etwa der Vertreter Italiens: Man unterstütze die Zielsetzung des Vorschlags, erachte die Leihmutterschaft aber als eine Praxis, die gegen die Würde der Frau und des Kindes sei. Er wies auch darauf hin, dass neuerdings sogar Italienerinnen und Italiener, die Leihmutterschaft im Ausland in Anspruch nehmen, mit Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren belegt werden können. Auch die Minister Ungarns, der Slowakei oder Tschechiens argumentierten ähnlich. Für eine Verabschiedung des Gesetzes ist Einstimmigkeit notwendig.

Die ablehnenden Länder lassen sich nicht dadurch umstimmen, dass sie «ihren» gleichgeschlechtlichen Paaren keine neuen Rechte einräumen, sondern lediglich den Zuzügern die gleichen Möglichkeiten zugestehen müssten wie in deren Herkunftsland. Den skeptischen Regierungen geht es mutmasslich also auch darum, den Homosexuellen im eigenen Land kein Türchen zu öffnen, um weitergehende Ansprüche stellen zu können.

Noch viel grundsätzlichere Einwände erheben Gruppierungen wie etwa die Europäische Föderation der katholischen Familienverbände – für sie ist die Leihmutterschaft ein Einfallstor für den Menschenhandel. «Mutterschaft und Kinder sind keine Ware, sondern ein Geschenk, eine Quelle der Zukunft unserer Menschheit», sagt deren Präsident.

Es obliegt nun der polnischen EU-Rats-Präsidentschaft – oder möglicherweise der dänischen ab Juli –, einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden. Ein erster Schritt wurde möglicherweise mit einem Vorschlag Mitte Januar gemacht: Dieser sieht vor, dass ein Mitgliedstaat bei den betroffenen Kindern die Elternschaft mit Verweis auf die öffentliche Ordnung nicht anerkennen darf – Kommission und Parlament sahen dies nur in Einzelfällen vor. Dafür müssten gemäss Kompromiss «andere Mittel» vorgesehen sein, um die familiäre Bindung zwischen dem durch Leihmutterschaft geborenen Kind und seinen Eltern aufrechtzuerhalten.

Exit mobile version