Donnerstag, Mai 15

Dass Europas grösste Drogeriekette eine Online-Apotheke starten will, belastet die Aktien der Versandapotheken. Während Redcare-Aktionäre gelassen bleiben können, verschärft sich das negative Sentiment bei DocMorris – auch weil ein altes Thema wieder in den Fokus rückt.

Aktionäre von DocMorris haben es wahrlich nicht leicht. Anfang Jahr trieb die Euphorie über die Einführung des E-Rezepts in Deutschland den Aktienkurs auf fast 100 Fr. Seither befinden sich die Titel der Versandapotheke – abermals – in einem stetigen Abwärtstrend. Heute Mittwoch kommt es noch dicker: Wie das «Handelsblatt» berichtet, plant Europas grösste Drogeriekette dm eine Onlineapotheke für Deutschland. Ab dem kommenden Jahr will das Unternehmen von Tschechien aus freiverkäufliche Arzneimittel nach Deutschland liefern.

Themarket.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Die Nachricht löst heftige Reaktionen bei den Aktien der beiden grössten Onlineapotheken aus. Die Titel von DocMorris und dem deutschen Konkurrenten Redcare Pharmacy, die beide aus den Niederlanden operieren, fallen in einer ersten Reaktion um 13% beziehungsweise 5%. Die Logik hinter dieser heftigen Marktreaktion: Mit dm stösst ein grosser Anbieter mit einem etablierten Namen in den deutschen Onlineapothekenmarkt.

Je nach Schätzung dürfte der Markt für rezeptfreie Medikamente – sogenannte OTC-Medikamente – in Deutschland im laufenden Jahr ein Volumen von rund 2,9 Mrd. € erreichen. Laut dem Statistikdienstleister Iqvia beträgt das Wachstum dabei rund 10%.

dm konzentriert sich auf rezeptfreie Medikamente

Doch ist die harsche Reaktion an der Börse gerechtfertigt?

Einiges spricht dafür, dass die Börse überreagiert. Zunächst bleibt festzuhalten, dass dm ausdrücklich keinen Einstieg in den Markt für verschreibungspflichtige Medikamente (Rx) plant, wie die Drogeriekette über das «Handelsblatt» wissen lässt. Der Rx-Markt ist in Deutschland etwa zehnmal so gross wie der OTC-Markt und für den Investment Case von DocMorris und Redcare die zentrale Komponente.

Natürlich ist nicht auszuschliessen, dass dm den Onlineverkauf rezeptfreier Medikamente als ersten Schritt im Onlineapothekenmarkt nutzt, um später auch mit verschreibungspflichtigen Arzneien nachzuziehen. Zwei Gründe sprechen jedoch dagegen, dass dies in naher Zukunft der Fall sein wird.

Erstens hat dm Tschechien als Vertriebsstandort gewählt. Laut dem deutschen Bundesministerium für Gesundheit ist der Verkauf von Rx-Produkten aus Tschechien nicht erlaubt. Die Entscheidung gegen die Niederlande – von wo aus DocMorris und Redcare ihre Rx-Produkte nach Deutschland liefern – dürfte einerseits auf die vergleichsweise niedrigen Kosten in Tschechien zurückzuführen sein. Andererseits deutet sie darauf hin, dass sich dm zumindest mittelfristig tatsächlich auf den OTC-Markt konzentrieren will.

Zweitens ist der Aufbau einer Vertriebsorganisation für den Verkauf und Versand von rezeptpflichtigen Medikamenten durchaus anspruchsvoll – selbst für einen grossen Akteur wie dm. Dabei geht es nicht nur um die Distribution, sondern auch um die Rekrutierung von geschultem Personal. In Deutschland verschärft sich der Apothekermangel seit Jahren. Zur Erinnerung: Trotz wiederholter Spekulationen hat sich der Onlineriese Amazon bis heute nicht dazu entschlossen, in Deutschland in den Rx-Onlineverkauf einzusteigen.

Apropos Amazon: Der Versandhändler vertreibt seit Jahren OTC-Medikamente wie Hustensaft und Schmerzmittel über Drittanbieter auf seinem Marktplatz. Mit rund 55 Mio. Nutzern allein in Deutschland ist Amazon ein etablierter Akteur. Konkurrenz im deutschen OTC-Markt sind DocMorris und Redcare daher bereits gewohnt

Lage bei DocMorris spitzt sich zu

Auch wenn die harsche Reaktion übertrieben erscheint. Gerade für DocMorris kommt die Nachricht eines neuen Konkurrenten im OTC-Geschäft, das noch immer rund 80% des Umsatzes ausmacht, zur Unzeit. Das Unternehmen mit Sitz Frauenfeld droht derzeit, im Wettbewerb um Kunden im wachsenden Onlinegeschäft mit verschreibungspflichtigen Medikamenten in Deutschland den Anschluss an Redcare zu verlieren.

Das Rx-Geschäft ist für beide Unternehmen das zentrale Element ihrer Wachstumsstrategie. Anfang dieses Jahres wurde das E-Rezept in Deutschland nach jahrelanger Hängepartie verpflichtend eingeführt. Im April und Mai erhielten sowohl DocMorris als auch Redcare die Genehmigung für anwenderfreundliche Lösungen ihrer Apps – sogenannte eHealth-CardLink-Lösungen –, die das Rx-Geschäft nun endlich zum Fliegen bringen sollen.

Die bisherige Bilanz fällt aus Sicht der Schweizer jedoch – gelinde gesagt – enttäuschend aus: Im dritten Quartal ist der Umsatz mit rezeptpflichtigen Medikamenten bei DocMorris lediglich um 11% gestiegen auf 48 Mio. Fr. In den ersten neun Monaten 2024 schrumpfte der Rx-Umsatz sogar um 5% auf 126 Mio. Fr. Ganz anders die Lage bei Redcare: die Deutschen steigerten im dritten Quartal den Umsatz mit Rx-Medikamenten um 81%.

Die Prognosen der Berenberg-Analysten für das vierte Quartal geben aus Schweizer Sicht wenig Anlass zur Hoffnung: Während sie Redcare ein Wachstum im Rx-Geschäft von 130% zutrauen, sehen sie bei DocMorris eine Steigerung zwischen 20 und 30%. Die Deutschen liefern also. Derzeit scheint es sich zu rächen, dass DocMorris aufgrund der fragilen Kostensituation das Marketing-Budget über längere Zeit stark reduzieren musste, während die finanziell besser aufgestellte Redcare mit Günther Jauch als Werbeträger aus dem Vollen schöpft.

DocMorris wieder in Schwierigkeiten

Der schwächer als erwartete Rx-Umsatz bringt bei DocMorris zudem langsam aber sicher ein altbekanntes Thema wieder auf den Tisch: einen drohenden Liquiditätsengpass. ZKB-Analyst Gian Marco Werro reduzierte jüngst seine FCF-Schätzungen für 2025 und stufte die Aktien auf «Marktgewichten» ab. Er hält aufgrund des schwachen Rx-Geschäfts und gleichzeitig steigenden Marketingaufwendungen eine zeitnahe Kapitalerhöhung bei DocMorris für wahrscheinlich.

Die Aussicht, dass mit dm nun ein weiterer starker Konkurrent im OTC-Geschäft hinzukommt, dürfte daher das Sentiment vor allem für die Aktien von DocMorris, die derzeit nahe eines Allzeittiefs von 20 Fr. notieren, weiter belasten. Dass die Aktien der Schweizer heute deutlich stärker fallen als die von Redcare, zeigt, dass der Markt die Lage von Redcare als deutlich stabiler einschätzt.

Fazit: Der Einstieg von dm in den Onlineapothekenmarkt ändert nichts an den Wachstumsplänen im Geschäft mit rezeptpflichtigen Medikamenten. Allerdings dürfte die negative Stimmung gegenüber DocMorris weiter zunehmen, während die Aktionäre von Redcare vergleichsweise gelassen bleiben können.

Exit mobile version