Mittwoch, November 27

In den ersten Monaten des Jahres war zarte Hoffnung auf eine Erholung im produzierenden Gewerbe aufgekommen. Der Einkaufsmanagerindex stellt diese nun infrage. Herbe Kursverluste bei Börsenwerten wie Carl Zeiss Meditec, SMA Solar, Sartorius und Kion mahnen zusätzlich zur Vorsicht.

Der Chef des Norwegischen Staatsfonds, Nicolai Tangen, hatte in seinem Podcast kürzlich den 78-jährigen Investor Howard Marks zu Gast, Co-Gründer des Vermögensverwalters Oaktree Capital Management.

Marks ist berühmt dafür, rechtzeitig vor mehreren der grossen Börsencrashs das Kapital seiner Anleger vor den Turbulenzen gesichert zu haben. Nicht weil er vor der Finanzkrise von 2007 und 2008 gewusst hätte, dass es Übertreibungen bei US-Immobilienkrediten geringer Qualität gab. «Ich wusste nicht einmal, dass Subprime-Kredite existieren», erzählte Marks dem Staatsfonds-Chef. Aber die Stimmung der Anleger sei einfach viel zu euphorisch gewesen damals und die Bewertungen am Aktienmarkt viel zu hoch.

Howard Marks - Co-founder of Oaktree | Podcast | In Good Company | Norges Bank Investment Management

Wo die Märkte denn derzeit stünden im Spektrum zwischen den beiden Polen Angst und Gier, fragte Tangen, der selbst eine Karriere als erfolgreicher Investor in Qualitätsaktien vorweisen kann. «Ungefähr in der Mitte», antwortete Marks. Den US-Leitindex S&P 500 hält er für rund 20% überbewertet. «Aber wir beide haben erlebt, dass überbewertete Assets noch viel weiter steigen können», fügte er hinzu.

Das Wichtigste beim Anlegen sei, sich nicht zu sicher zu sein. Weil die Märkte von oft emotionsgesteuerten Menschen getrieben würden, verliefe die Entwicklung nie wie erwartet oder gar geradlinig, so die Mahnung des in einfachen Verhältnissen in New York aufgewachsenen Selfmade-Milliardärs.

Aussicht auf längere Zeit hohe Zinsen schlägt verspätet durch

In der zurückliegenden Woche hatten Beobachter des deutschen Aktienmarkts wiederholt Gelegenheit, an die Mahnung des legendären Investors zu denken. Zum Handelsstart am Freitag, 21. Juni zum Beispiel knickte der Kurs des Gabelstapler- und Lagerhaustechnik-Herstellers Kion um mehr als 6% ein.

Der Grund für den Börsenwertverlust des MDax-Unternehmens war nicht etwa eine Mitteilung über den Wegfall von Kundenaufträgen oder eine andere greifbare Nachricht. Die Ursache war offenbar eine Analystenstudie der UBS. Das Team um Sven Weier senkte das Kursziel von 63 auf 50 €. Kion sei bislang optimistisch für eine Erholung sowohl bei Fahrzeugen als auch bei der Lagerhausoptimierung, hiess es dort. «Weil die Tendenz der Zinsentwicklung sich seit Jahresanfang stark verändert hat, könnte dies sich als allzu optimistisch erweisen», warnten die Analysten.

Weil die Zinsen in den USA seit 2022 von null auf 5,5% gestiegen sind, können Kunden von Kion auch sinnvolle Investitionen in die Automatisierung von Lagerhäusern nicht mehr so leicht finanzieren.

Die Hoffnung auf Zinssenkungen in den USA hat sich in den vergangenen Monaten weitgehend zerschlagen. Kreditmarktkenner Marks von Oaktree hatte ohnehin nicht daran geglaubt. Die Markterwartung von sechs Zinsschritten im vergangenen Herbst sei das, was ihn an der Anlegermeinung in jüngster Zeit am unverständlichsten vorgekommen sei. Ob es Marks nicht überrasche, dass die Aktienmärkte nicht stärker gelitten hätten unter dem veränderten Zinsausblick, antwortet Marks: «Es überrascht mich.»

Im Fall von Kion haben die Investoren am Freitag vielleicht mit einiger Verspätung die Belastungen durch die nun doch längere Zeit höheren Zinsen eingepreist. Oder auch nur damit begonnen.

Unternehmenslenker und Investoren stochern im Nebel

Deutlich härter noch als Kion traf es zwei Tage vorher die Aktie des Laborausrüsters Sartorius: Der Kurs brach um 14% ein, ohne dass Nachrichten vorgelegen hätten. Immerhin war auf der Internetseite des Unternehmens zu erfahren, dass Sartorius an der nur professionellen Investoren zugänglichen European Healthcare Conference der US-Grossbank Citigroup in London teilgenommen hatte. Eine Einschätzung aus der Handelsabteilung einer Bank habe Spekulationen über die Erreichbarkeit der mittelfristigen Ziele geschürt, zitierte die Nachrichtenagentur Bloomberg am Folgetag eine Sartorius-Pressesprecherin. Das Unternehmen habe keine neuen Zahlen genannt.

Das Hauptdiskussionsthema auf der Konferenz sei die Visibilität des Geschäftsverlaufs gewesen, schrieb Citigroup-Analyst Vineet Agrawal in einer Kaufempfehlung für Sartorius. Bei der Veranstaltung habe das Unternehmen offenbar wenig zuversichtlich gewirkt. «Wir hatten den Eindruck, dass das Management sehr vorsichtig ist, was die Visibilität der Erholung angeht», urteilte Agrawal. Zwar gebe es Hoffnung, dass die hohen Lagerbestände aus Zeiten von Pandemie und Lieferengpässen abgebaut würden. Dies sei jedoch «möglicherweise nicht genug, um die schwache Erholung beim Auftragseingang auszugleichen».

Volle Lagerhallen, vorsichtige Kunden

Die Unsicherheit über die weitere Wirtschaftsentwicklung geht weit über einzelne Unternehmen oder Branchen hinaus. Sie prägte auch die Swiss Equities Konferenz des Brokerhauses Stifel in Interlaken eine Woche zuvor. Auch dort war das andauernde Problem der hohen Lagerbestände ein grosses Thema.

Wegen genau dieses Problems kappte am Tag des Sartorius-Kursknicks ein anderes deutsches Unternehmen seine Jahresprognose. Der Hersteller von Wechselrichtern für Solaranlagen SMA Solar erwartet nur noch einen Umsatz zwischen 1,6 Mrd. und 1,7 Mrd. € (vorher: 2 Mrd. und 2,2 Mrd. €) und ein operatives Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) zwischen 80 Mio. und 130 Mio. € (vorher: 220 Mio. bis 290 Mio. €). Der Aktienkurs brach zeitweise um 30% ein.

Doch auch damit ist der Bericht über die grossen Enttäuschungen dieser Woche noch nicht komplett. Bereits am Montag schockte der Medizintechnikkonzern Carl Zeiss Meditec die Börse mit einer Gewinnwarnung. Das Unternehmen, das unter anderem Instrumente für die Augenuntersuchung und Intraokularlinsen herstellt, vermeldete hohe Lagerbestände und ein schwaches Geschäft im wichtigen Markt China. Der Kurs stürzte um 20% binnen eines Handelstages.

«Erheblicher Dämpfer für die Stimmung»

Zum Wochenschluss am Freitag wurden diese auf Unternehmensebene gesammelten Eindrücke zusammengefasst, als die monatliche Umfrage von S&P Global bei Einkaufsmanagern in der Eurozone erschien. Branchenübergreifend fiel der Gesamtindex auf 50,8 Punkte. Von Bloomberg zuvor befragte Ökonomen hatten dagegen einen Anstieg auf 52,5 Punkte erwartet. Immerhin blieb der Index über der Schwelle von 50 Punkten, was ein Wachstum der Wirtschaft signalisiert.

Für die deutsche Industrie kann man das nicht sagen. Der Index der Einkaufsmanager im verarbeitenden Gewerbe fiel auf 43,4, erwartet worden war ein Anstieg auf 46,4 Zähler. «Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat im Juni einen empfindlichen Dämpfer bekommen», bewertete Ökonom Marc Schattenberg von Deutsche Bank Research die Umfragedaten.

Die Lehre aus dieser Woche: Es erscheint nicht ratsam, mit grösseren Anteilen des Vermögens auf eine rasche Erholung der Wirtschaft zu wetten. Besser wäre es vermutlich, es mit Howard Marks zu halten. Prognosen zur Konjunkturentwicklung findet der Investor sinnlos. Er bleibt dauerhaft in Aktien und Anleihen investiert, wie es seiner strategischen Anlageaufteilung entspricht, die jeder für sich definieren sollte (hier eine Anleitung).

Nur an Extrempunkten der Marktbewertung und der Anlegerstimmung sei es sinnvoll, von dieser Haltung abzuweichen, rät Marks. In seinem Anlegerleben seit Mitte der 1960er-Jahre sei dies fünf Mal der Fall gewesen, unter anderem bei der Dotcom-Blase und dem folgenden Crash sowie der Finanzkrise. An so einem Extrempunkt sind die Märkte noch lange nicht.

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