Montag, Oktober 7

Das ehemalige Konzernleitungsmitglied geht hart ins Gericht mit seinem Ex-Arbeitgeber. Sein Urteil über die angekündigte Transformation: «Man hat keine Ahnung, wie man mit Zeitungen in Zukunft Geld verdienen will.»

Das Zürcher Medienhaus hat am Dienstag den Abbau von fast 300 Stellen verkündet, um die digitale Transformation zu beschleunigen. Wie beurteilen Sie das als Medienkenner?

Ich kann den Ausdruck «digitale Transformation» nicht mehr hören. Es geht ja nur um die simple Erkenntnis, dass sich das Publikum seine Informationen nicht mehr via Zeitung, sondern via Smartphones beschafft. Dadurch kann man das Publikum mit Marketing viel besser abgreifen. In den alten Zeitungen gab es nur den Coupon, jetzt gibt es eine Vielzahl von interaktiven Verkaufsmethoden. Das ist kommerziell attraktiv. Darum wollen hier alle wachsen.

Tamedia führt online verschiedene Titel zusammen, lässt bei Print aber alles beim Alten. Wieso?

Tamedia lässt nicht alles beim Alten, Tamedia lässt das Alte verfallen. Hier glaubt niemand mehr an Print.

Früher gab es in Bern den «Bund» und die «Berner Zeitung» («BZ»). Die Zeitungen unterschieden sich in der politischen Ausrichtung. Heute ist der «Bund» nicht viel mehr als eine Hülle. Wieso lässt Tamedia den Titel nicht einfach sterben?

Der «Bund» in Bern ist schon gestorben. Die «Berner Zeitung» hat noch ein gewisses Potenzial, im regionalen Markt ein paar digitale Abos und ein bisschen Werbung zu generieren. Aber ein Geschäft wird das in diesem Bärengraben nie.

Was ändert die neue Strategie für das Flaggschiff von Tamedia?

Der «Tages-Anzeiger» ist ein Fall für die Psychiatrie. Erst hat er seinen Auslandteil nach Deutschland ausgelagert und den Kulturteil abgemurkst. Die neue Strategie lautet nun, dass der «Tages-Anzeiger» auch Lokalblätter wie die «Zürichsee-Zeitung» und den «Landboten» in seinen Online-Auftritt integriert. Ich frage mich, wie jemand auf eine so dümmliche Idee kommen kann. Dadurch wird das Blatt noch mehr provinzialisiert und banalisiert – und dies, nachdem man ihm bereits seine Internationalität genommen hat. Das alles hat der «Tagi» nicht verdient.

Sie waren von 1996 bis 2002 in der Konzernleitung von Tamedia. Wie hat sich der Konzern seither verändert?

Der Konzern ist eine gewaltige Geldmaschine geworden. Man verdient Geld wie Heu. Seit meinem Abgang im Jahr 2002 hat das Unternehmen bis heute einen operativen Gewinn von insgesamt 4 Milliarden Franken eingefahren. Das ist bewundernswert. Journalismus andererseits war zu meiner Zeit noch wichtig, wichtig heute sind die hochrentablen Online-Marktplätze.

Vor einem Jahr schrieben Sie in der «Weltwoche» unter dem Titel «Geldsack mit Löchern», die Zeitungseinkaufstour des Verlegers Pietro Supino habe sich aus heutiger Sicht als gewaltige Fehlinvestition erwiesen. Fühlen Sie sich bestätigt?

Die Zeitungsakquisitionen von Bern über Basel bis Genf waren, aus heutiger Sicht, eine enorme Fehlinvestition. Unter Verwaltungsratspräsident Pietro Supino hat man für insgesamt eine Milliarde Franken jede Zeitung gekauft, die man bekommen konnte. Heute machen alle Zeitungen des Verlags zusammen einen Gewinn von 10 Millionen. Als Return on Investment ist das unterirdisch.

Offenbar hat der Tamedia-CEO den Auftrag, die Gewinnmarge der Zeitungen von heute um etwas mehr als 2 Prozent auf 8 bis 10 Prozent zu steigern. Ist das mit den getroffenen Massnahmen realistisch?

Völlig unrealistisch. Die soeben vorgestellte neue Strategie von Tamedia ist keine Strategie, sondern Wortgeklingel. Ich habe noch selten eine derart inhaltsleere Strategiepräsentation erlebt wie jene von Tamedia. Man hat keine Ahnung, wie man mit Zeitungen in Zukunft Geld verdienen will. Man nennt diese Ideenlosigkeit nun «digitale Transformation».

Die künstliche Intelligenz (KI) bedroht das Geschäftsmodell der Zeitungen, weil Large Language Models wie Chat-GPT auch auf Artikel hinter der Paywall zugreifen können. Wird die Branche überleben?

Künstliche Intelligenz wird wohl eine zusätzliche Bedrohung für die Branche. Mit Google kann man wenigstens noch reden. Aber all diese künftigen KI-Spinnen werden die Inhalte der Medienhäuser skrupellos absaugen, unentgeltlich natürlich.

Unter welchen Bedingungen wären Sie für eine staatliche Medienförderung, die über Print hinausgeht, zu haben?

Ich bin gegen jede staatliche Medienförderung, wenn sie Strukturerhaltung betreibt. Das ist der Fall, wenn man bestehende Verlage, die in Schwierigkeiten stecken, mit Subventionen eindecken will. Es wird immer erfolgreiche Medienhäuser geben. Aber es werden in Zukunft nicht unbedingt die gleichen wie in der Vergangenheit sein.

Ist die vielgepriesene Schweizer Medienvielfalt am Ende?

Am Ende nicht, aber doch reduziert. Als ich in der Medienbranche begann, gab es in der Schweiz noch fünfzehn grössere Medienunternehmen und damit mindestens fünfzehn Meinungen. Heute gibt es landesweit noch fünf Medienhäuser und damit fünf Meinungen. Es sind jene der Tages-Anzeiger-Gruppe, der CH-Media-Gruppe, der NZZ-Gruppe, der Blick-Gruppe und der SRF-Gruppe.

Reporter, Chefredaktor, Herausgeber, Medienkritiker

PD

Kurt W. Zimmermann studierte Psychologie an der Universität Zürich. Ab 1976 arbeitete er als Journalist bei verschiedenen Schweizer Publikationen. Von 1990 bis 1994 war er Chefredaktor der «Sonntags-Zeitung», später Herausgeber des Nachrichtenmagazins «Facts». Heute ist er pensioniert und schreibt regelmässig Medienkritiken für die «Weltwoche».

Sie haben noch die goldenen Zeiten des Journalismus erlebt und ordentlich Geld damit verdient. Würden Sie den Beruf heute nochmals wählen?

Junge Journalisten stellen mir oft diese Frage. Ich erzähle dann, dass ich als junger Journalist in den goldenen Zeiten für Reportagen jeweils in der ersten Klasse der Swissair geflogen bin und einen Audi Quattro als Dienstwagen hatte. Die denken dann, ich sei ein Angeber oder ein Zombie. Aber heute? Nein, heute würde ich entweder Förster oder Tierarzt.

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