Sonntag, Oktober 6

2004 eröffnete der Sammler Frieder Burda in Baden-Baden ein Privatmuseum, das seine hervorragende Kollektion in Wechselausstellungen erschliesst. Die Jubiläumsschau lauscht dem Flüstern der Erde und ruft zur Versöhnung mit dem Ökosystem auf.

Gäbe es eine Kategorie «Orte mit einem Überschuss an heiler Welt», Baden-Baden wäre ein guter Kandidat. Wer durch die beschauliche wie mondäne Kur- und Bäderstadt im Schwarzwald schlendert, fühlt sich, als seien Hektik, Stress und andere Widrigkeiten des Daseins Begleiterscheinungen von einem anderen Planeten. Hauptstrasse des Weltkulturerbe-Wellnesszentrums ist die Lichtentaler Allee. Hier liegt das Museum LA8, wo gerade die kulturgeschichtliche Schau «Heilende Kunst. Wege zu einem besseren Leben» gezeigt wird. Von den Lebensreformern des frühen 20. Jahrhunderts über Rudolf Steiner bis zu Joseph Beuys spannt sich der Bogen derer, die in der Kunst ihr Heil und unser aller Heilung suchten.

Vom LA8 sind es bloss ein paar Schritte zum Museum Frieder Burda. Auch hier, im weiss schimmernden Kubus von Richard Meier, erwartet das Publikum ein Stück heile Welt. Vier Künstler – Bianca Bondi, Julian Charrière, Sam Falls und Ernesto Neto – wollen mit ihren Installationen zurück zur Natur: in ihren Augen ein irdisches Paradies, aus dem uns die moderne Gesellschaft mit ihrem Hang zu Technik, Rationalisierung und Säkularisierung vertrieben hat. Dass der Mensch die Natur seit je unterjocht hat, so effizient er es eben vermochte, spielt in diesem romantischen Szenario keine Rolle.

«I Feel the Earth Whisper», so der Titel der Schau, versteht sich als klangvolle Liebeserklärung an unsere Erde. Zugleich ist es eine Liebeserklärung an Frieder Burda. Der Sammler, der vor fünf Jahren, am 14. Juli 2019, in seiner Heimatstadt verstorben ist, hat mit seinem Museum, als «Juwel im Park» gerühmt, ebenfalls Naturnähe demonstriert. Lebt der noble Bau des US-Architekten Richard Meier doch nicht zuletzt von seiner grossflächigen Durchfensterung, die das Wechselspiel von Licht und Natur ins Innere holt.

Die Liebe zur Kunst hatte der zweite Sohn des Verlegers Franz Burda vom Vater geerbt. Bevorzugte der Patriarch den Expressionismus, so erfuhr Frieder Burda sein sammlerisches Erweckungserlebnis vor einem abstrakten Werk von Lucio Fontana: Bei der Documenta 4 (1968) fing er Feuer vor dessen intensiv roter, geschlitzter Leinwand «Concetto spaziale»: «Ich wollte dieses Bild besitzen, weil ich es aufregend fand», erinnerte er sich später.

Der Fontana markiert die Inventarnummer eins in einer Kollektion, die Burda in den folgenden Jahren intensiv und intuitiv erweiterte: So erwarb er beispielsweise Gemälde von Baselitz, Kiefer, Karin Kneffel, Lüpertz, Picasso, Sigmar Polke, Arnulf Rainer, Neo Rauch, Gerhard Richter, Mark Rothko oder Warhol. Auch Skulpturen, etwa von Barry Flanagan, John Chamberlain und Bernar Venet zählen zum Fundus dieser hervorragenden Sammlung, für die sich im Oktober 2004 mit der Eröffnung des Museums Frieder Burda der Vorhang hob.

Bitten Sammler, die ihre Schätze in einem eigenen Museum zugänglich machen, die öffentliche Hand bisweilen gern zur Kasse, kam Burda für alle Kosten rund um den Bau und den Betrieb selber auf. Bis heute ist sein Museum vollkommen autonom.

Kuschelkunst und Klangschalen

Kein Geringerer als der international gefeierte Künstlerstar Ernesto Neto stimmt mit seiner Installation «The Birth of Contemporous Blue Tree» den spirituellen Grundton an, der für die gesamte Ausstellung charakteristisch ist. Aus von Hand gehäkelten Baumwollstoffen hat der Brasilianer einen meditativ-esoterischen Andachtsraum geschaffen. Ein begehbarer Baldachin, den man nicht bloss unbeschuht betritt, sondern in den man förmlich eintaucht, um sich auf einem Kissen niederzulassen, Klangschalen zum Klingen zu bringen und das Aroma von Pflanzen und Gewürzen zu inhalieren. Kuschelkunst sozusagen, die mit dem distanzierten Habitus, wie er die längste Zeit für das Museum typisch war, radikal gebrochen hat.

Für Ernesto Neto symbolisiert die textile Baumstruktur die Verbindung zwischen Erde und Himmel. Mehr noch: Den Baum sieht der Künstler als Gefährten, Identifikationsobjekt und Heimat des Menschen. Mein Freund, der Baum – das könnte auch das Motto von Sam Falls sein. Im Vorfeld der Ausstellung erkundete der New Yorker Künstler den umliegenden Schwarzwald und fand Inspiration zu seinem Beitrag «Waldeinsamkeit».

Mitten im Wald legte Falls grosse Leinwände aus, platzierte darauf Blumen und Zweige in Hülle und Fülle und liess die Natur ihr Werk tun. Im Laufe der Zeit entstanden pflanzliche Abdrücke, die der Künstler als Ausgangspunkt einer farbenprächtigen floralen All-over-Malerei verwendete. Jetzt hängt die Land-Art im Museum, und die «Waldeinsamkeit» ist dem Trubel des Ausstellungsbetriebs ausgesetzt.

Das Museum als Biotop

Den White Cube in ein Pflanzenreich zu verwandeln, darum geht es in Bianca Bondis Installation «Salt Kisses My Lichens Away». Ein Biotop, bestückt mit Moos, Wasserbecken und kleinen Bäumen. An der Wand hat die in Paris lebende Südafrikanerin Teppiche angebracht, auf denen Sagen aus dem Schwarzwald dargestellt sind. Die Region ist besonders reich an Mythen. Eine dieser Legenden rankt sich um den Ursprung der Thermalquellen in Baden-Baden – zu verdanken seien sie magischen Steinen, die Nymphen aus dem Mummelsee hierhergebracht hätten.

Verankern Sam Falls und Bianca Bondi ihre Werke in der lokalen Flora, so sucht Julian Charrière den Schulterschluss mit einem Küstenwald in Ecuador. Dorthin hat der in Berlin lebende Schweizer eine Live-Videoverbindung eingerichtet, die den tropischen Regenwald ins Museum Frieder Burda holt. Eine in die Ausstellung integrierte Telefonzelle ist ebenso Bestandteil von «Calls for Action» wie eine Spendenkampagne, die der gefährdeten Natur in Ecuador zugutekommt. Weil Julian Charrière seine Videoinstallation parallel auf dem Basler Marktplatz präsentiert – als Teil des «Globus Public Art Project» und auf Einladung der Fondation Beyeler –, erstreckt sich der Appell zum Umweltschutz sogar auf drei Orte.

Die Ausstellung «I Feel the Earth Whisper» versteht sich als Reaktion auf Klimakrise, Umweltzerstörung und Verlust der Biodiversität. «Kunst und Ökologie», schreibt Robert Fleck in seinem gleichnamigen Buch, erschienen 2023, «erweisen sich seit drei bis vier Jahren als das Jahrhundertthema der bildenden Kunst.» Doch fragt sich, ob das zentrale Thema der Kunst nicht ein anderes ist? Nämlich der Mensch. Und zwar in jedem Jahrhundert.

«I Feel the Earth Whisper. Bianca Bondi – Julian Charrière – Sam Falls –Ernesto Neto», Museum Frieder Burda, Baden-Baden, bis 3. November.

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