Samstag, Dezember 21

Der Superstar wird Paris Saint-Germain im Sommer ganz sicher verlassen. Wahrscheinlich wechselt Mbappé zu Real Madrid. Die grosse Verliererin in diesem Variété ist die schwer kriselnde Ligue 1.

Kylian Mbappés letzte Woche von hinten erzählt: Am vergangenen Samstag schoss er im Spiel gegen Nantes doch wieder ein Tor, nachdem er zunächst auf der Bank hatte Platz nehmen müssen. Am Freitag informierte er seine Teamkollegen bei Paris Saint-Germain, dass er den Verein zum Saisonende verlassen werde. Am Donnerstag liess der Klub dies ausgesuchte Medien wissen. Am Mittwoch führte Mbappé PSG zu einem 2:0-Sieg in der Champions League gegen Real Sociedad. Am Dienstag teilte er seinen Abgang dem Präsidenten Nasser al-Khelaïfi mit. Am Sonntag klopfte er sich auf Herz und Wappen, als ihn die PSG-Fans bei einem Training mit Sprechchören («Kylian in Paris») zum Bleiben aufforderten.

Und in den Tagen davor hat er einen Vertrag bei Real Madrid unterschrieben?

So berichtete es die spanische Sportzeitung «Marca». Demnach ist bereits alles geklärt, und andere Interessenten können sich ihre Angebote sparen. Mbappés jährliche Bezüge von rund 50 Millionen Euro netto werden zum grösseren Teil über eine «signing fee» abgegolten, damit andere Real-Stars wie Jude Bellingham und Vinícius Júnior gar nicht erst auf die Idee kommen, mit ähnlichen Lohnforderungen vorstellig zu werden.

Andere Medien aus Madrid berichten überdies, dass die bei Real übliche 50:50-Verteilung zwischen Klub und Spieler bei den Einnahmen aus den Bildrechten zugunsten des Profis verschoben werden könnte, um ihm die standesgemässen Bezüge zu sichern. Das hat der zurzeit beste Fussballer der Welt eben so verdient – so sehen es beide Seiten. Die Bestätigung des Nummer-eins-Status soll dann nur noch Formsache sein, er würde ja schliesslich beim Klub der Helden und der 14 Europacup-Titel spielen.

In Paris frustrierte ihn die Kluft zwischen Anspruch und Realität jedes Jahr mehr

Bis anhin ist Mbappé noch ein seltsamer Fall. Mit seinen 25 Jahren ist er einerseits ein arrivierter Star: 271 Tore in 351 Spielen für die AS Monaco (bis 2017) und PSG sowie 12 Tore in 14 WM-Spielen sind Zahlen, die selbst epochale Angreifer erst am Karriereende aufweisen. 2018 wurde Mbappé mit Frankreich Weltmeister, 2022 WM-Finalist. Und beim EU-Amt für geistiges Eigentum in Alicante werden für ihn bereits sieben geschützte Marken geführt, jüngst kam sein Torjubel mit gekreuzten Armen hinzu. Cristiano Ronaldo hat sechs solche Herkunftszeichen registriert, Lionel Messi vier.

Anderseits hat Mbappé, dieser ebenso charismatische und sendungsbewusste wie nervenstarke und opportunistische Kicker, noch nie die Champions League gewonnen. Und er landete bei der Ballon-d’Or-Auszeichnung des Weltfussballers erst einmal unter den ersten drei: 2023 als Dritter. Messis acht Titel in dieser Kategorie zu erreichen, dürfte jetzt schon als unmöglich gelten, Ronaldos fünf sind schwierig genug zu schaffen.

Allein schon seinem Selbstwertgefühl schuldet Mbappé daher den Abgang aus Paris, wo ihn die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit jedes Jahr mehr frustrierte. Bei der Unterredung mit al-Khelaïfi betonte er, dass sich ein Szenario wie 2022 nicht wiederholen werde, als er einen angeblich fertig ausgehandelten Vertrag in Madrid nach Interventionen des Emirs aus Katar und von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron doch noch ohne Unterschrift liegen liess. Zumindest die Rolle rückwärts wird es diesmal nicht geben.

PSG verliert innert Jahresfrist alle drei Superstars

Bis zur offiziellen Verkündung des Gewinners der neusten Episode aus dem Mbappé-Variété könnten gleichwohl noch Monate vergehen. Nur die Verlierer stehen schon fest. Es sind, just im Jahr der Olympischen Spiele von Paris: PSG, Frankreich und die Ligue 1.

Der Hauptstadtklub wird mit Neymar (zu al-Hilal in Saudiarabien), Lionel Messi (Inter Miami) und nun Mbappé innerhalb eines Jahres alle drei Superstars verloren haben, dank denen er einen beachtlichen Aufstieg unter die Premium-Sporthäuser der Welt hingelegt hat. Auf rund 4 Milliarden Euro taxierte «Forbes» jüngst den Wert des Vereins, für den die katarischen Eigentümer 2011 nur rund 100 Millionen bezahlt hatten. Mit Real Madrid, Manchester United, dem FC Barcelona, Liverpool, Manchester City und Bayern München stuft das Wirtschaftsmagazin nur sechs Fussballklubs höher ein.

An den Erfolgen auf dem Platz liegt das kaum. Anders als die genannten Konkurrenten hat PSG noch nie die Champions League gewonnen und nur einmal den Final erreicht (2020). Zudem zählt die Ligue 1 international kaum zu den grössten Hinguckern. Doch mit hippem Marketing verstanden es die PSG-Manager, um Neymar, Mbappé (beide seit 2017) und Messi (seit 2021) ein cooles, urbanes Image zu kreieren. PSG-Trikots der drei Ausnahmefussballer trugen dieses gut sichtbar um den Globus. Der Lokalmatador Mbappé aus der Pariser Banlieue garantierte dabei die Anbindung an die Basis und erhöhte die wichtige «street credibility».

Was wird ohne ihn davon bleiben? Droht dem Katar-Projekt PSG der Absturz in ein tieferes Segment der Aufmerksamkeitsökonomie? Das ist die Zukunftsfrage eines Klubs, der sich eigentlich nicht verkleinern, sondern vergrössern will und dafür sogar seine traditionsreiche Heimat aufgibt. Jahrelange Händel mit der Stadt hatten nicht zum angestrebten Kauf und Ausbau seines Stadions Prinzenpark geführt. «Für uns ist es vorbei», sagte al-Khelaïfi unlängst. Nun soll anderswo neu gebaut werden.

Geld sollte dabei auch künftig kein Problem sein. Nach einem gescheiterten Übernahmeversuch der Katarer bei Manchester United ist PSG als oberstes Asset ihres Sport-Investments weiterhin unumstritten. Es ist also davon auszugehen, dass die Einsparung der astronomischen Kosten für Mbappé – inklusive Boni und Prämien gut 200 Millionen Euro brutto pro Saison – generös zu Markte getragen wird. Victor Osimhen (Napoli), Mohamed Salah (Liverpool), Bernardo Silva (Manchester City), Rafael Leão (Milan), Joshua Kimmich (FC Bayern), Gavi, Frenkie de Jong (beide FC Barcelona) und Bruno Guimarães (Newcastle) sind die begehrten Spieler, die den Medien spontan einfielen. Aber wollen sie überhaupt noch in ein Championat ohne Zugpferd wechseln?

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Der Ligue 1 droht der Rückfall in überwunden geglaubte Zeiten

Für die Ligue 1 könnte das Timing von Mbappés Ankündigung kaum katastrophaler sein. Seit Monaten versucht sie erfolglos, einen ab nächster Saison gültigen Vertrag über ihre Fernsehrechte abzuschliessen. Statt der angestrebten 800 Millionen Euro sollen ihr zurzeit nur Offerten über 500 Millionen Euro vorliegen. Dabei wurde doch die Liga auf die laufende Saison hin von 20 auf 18 Klubs reduziert, um sie attraktiver und profitabler zu machen.

Ein gutes Jahrzehnt nach der vom damaligen Staatschef Nicolas Sarkozy eingefädelten PSG-Übernahme durch Katar bleibt die triste Erkenntnis, dass sich der erhoffte Effekt kaum eingestellt hat. Fernab vom Glamour des finanzgedopten Hauptstadtklubs reproduzieren die potenziell stärksten Rivalen nur Jahr für Jahr ihr Chaos (Olympique Marseille) oder ihren Verfall (Olympique Lyon).

Ohne Mbappé droht definitiv der Rückfall in Zeiten, als die Ligue 1 bloss ein Ausbildungsbetrieb für die grösseren Ligen des Kontinents war. Zwar spielte Mbappé, der gegenwärtige Captain des Nationalteams, unter dem Strich wesentlich länger im eigenen Land als frühere Granden wie Zinédine Zidane, Thierry Henry oder Karim Benzema. Aber die Illusion, dass mit ihm auch Frankreichs Klubfussball erblüht, ist zerstoben.

Ausgerechnet vom ehemaligen Co-Star Neymar bekam Mbappé dieser Tage dafür noch einmal eine Breitseite ab. Der Brasilianer likte einen Social-Media-Beitrag, in dem der Junge aus Bondy als verzogen und undankbar hingestellt wurde. «Das Ego eines gewissen Franzosen» habe in den letzten Jahren das Team-Ambiente von PSG gestört und die Transferpolitik bestimmt, hiess es in Anspielung auf Mbappés Launen, zu denen nicht zuletzt die Forderungen nach einem Abgang von Neymar und Messi gehörten. Weiter stand: Obwohl er stets seinen Willen bekommen habe, gehe Mbappé nun gratis.

So kann man es sehen. Diese Version belegt aber nur, dass PSG für Mbappé letztlich zu klein war. Wer ihn zähmen kann, muss sich erst noch herausstellen.

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