Freitag, Oktober 18

Statt fürs französische Nationalteam zu spielen, ging Mbappé zum Feiern nach Schweden. Was dort geschah, wird nun untersucht.

Dass Kylian Mbappé die letzten Länderspiele von Frankreich ausgelassen hat, ist für sich genommen noch kein Skandal. Doch während die Franzosen am vergangenen Donnerstag in Budapest gegen Israel kickten, soll sich in Schweden Ungeheuerliches zugetragen haben: Kylian Mbappé wird von schwedischen Boulevardmedien verdächtigt, in Stockholm eine Frau vergewaltigt zu haben.

Was genau vorgefallen ist, steht noch nicht fest. Schwedische Medien berichteten, die Polizei in Stockholm gehe einem Anfangsverdacht gegen Mbappé wegen eines Vergewaltigungsdelikts nach. Die zuständige Staatsanwältin hat den Eingang einer Anzeige und den Beginn der Ermittlungen bestätigt. Es gehe um einen Vorfall im Bank-Hotel der Hauptstadt in der Nacht vom 10. zum 11. Oktober, sagte sie. Einen Namen nannte sie jedoch nicht. Eine Kriminalreporterin der Zeitung «Expressen» erklärte dem französischen RTL-Radio allerdings: «Wir sind zu hundert Prozent sicher, dass Mbappé der Verdächtigte ist.»

Mbappé streitet die Vorwürfe vehement ab

Mbappé war von Frankreichs Nationalcoach Didier Deschamps wegen einer angeblichen Oberschenkelzerrung von den Oktober-Länderspielen dispensiert worden. Die neun Tage bis zur Wiederaufnahme des Ligabetriebs solle Mbappé zur Regeneration nutzen. Geschont hat er sich indes nicht. Stattdessen flog er mit einer kleinen Entourage nach Stockholm zum Feiern.

Der Spieler hat bereits vehement auf die Vorwürfe reagiert: «Fake News», schrieb er in den sozialen Netzwerken und nannte sie «so vorhersehbar». Mbappé unterstellt seinem früheren Klub Paris Saint-Germain, dieser habe die Chose lanciert, weil sich die beiden Parteien zurzeit vor Gericht um Mbappés Reklamation ausstehender Gehälter in Höhe von 55 Millionen Euro stritten. «Am Tag vor einer Anhörung, was für ein Zufall», schrieb Mbappé.

Mbappés Anwältin Marie-Alix Canu-Bernard erklärte am Dienstagabend im französischen Fernsehsender TF 1: «Es heisst, dass eine Anzeige vorliege, aber zur Stunde wissen wir nicht einmal, gegen wen.» Mbappé sei ständig in Begleitung gewesen und habe sich schon deshalb nichts zuschulden kommen lassen können. Eine angekündigte Verleumdungsklage stellte die Mbappé-Entourage bis zum Mittwochmittag nicht. Auch von weiteren Komplottverdächtigungen gegen PSG sah die Advokatin ab.

Im Klub aus Paris hat sich schon so manches zugetragen: Intrigen, Mobbing, selbst eine nächtliche Attacke mit einer Eisenstange auf die Nationalspielerin Kheira Hamraoui, vermutlich organisiert von einer Teamkollegin. «Unmenschlich» nannte Hamraoui PSG damals.

Doch dass ein französischer Fussballklub schwedische Medien und Behörden manipuliert haben könnte – das klingt dann doch so abenteuerlich, dass die Vereinsverantwortlichen spotten konnten, PSG sei nun wohl an allem schuld, von Mbappés Torflaute bei Real Madrid («ausser Penaltys») bis zu «Geschichten in Schweden». Man empfinde Mbappés Vorwürfe als «Schande», werde sie aber offiziell «ignorieren und unsere Klasse beibehalten». Indes wird spekuliert, der Klub könnte Mbappés Tweet im Prozess um möglicherweise ausstehende Gehälter nutzen, um dessen mutmassliche Nötigungsstrategien zu illustrieren.

Das wohl langwierige Verfahren um die 55 Millionen Euro verdeutlicht den völlig missratenen Abgang Mbappés aus seinem Heimatland. Innerhalb weniger Monate hat der Starstürmer vieles von dem zerstört, was er sich in der bisher acht Jahre dauernden Karriere als Profi aufgebaut hatte. Seit dem WM-Titel 2018 avancierte er zum Goldjungen der Nation und persönlichen Lieblingsbotschafter des Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Der 25-Jährige wirkte stets ausgesprochen smart in dieser Rolle. Doch rund um seinen Wechsel zu Real im Sommer hätte er sich kaum ungeschickter verhalten können.

So unternahm der an sich für seine versierte Verhandlungstaktik bekannte Mbappé offenbar keinen ernsthaften Versuch, die Madrilenen zu einer Freistellung für die Olympischen Spiele in seiner Heimatstadt Paris zu bewegen – obwohl er zuvor stets von seinem Traum einer Teilnahme gesprochen hatte.

Stattdessen unterwirft er sich nun auch während der abstellungspflichtigen Zeit der Strategie von Real Madrid, mit jedem möglichen Vorwand die Freigabe von Klubspielern zu Länderspielen zu verhindern. Für Real hatte Mbappé trotz seiner mutmasslichen Zerrung am Wochenende zuvor gekickt – diese Diskrepanz sorgte in Frankreich schon in der Woche zuvor für Missmut. Dass er nun just am Abend eines Länderspiels gegen Israel (4:1) durch die Stockholmer Nacht tingelte – so viel ist unbestritten –, empfinden viele als Gipfel der Unverfrorenheit.

Der Wind in Frankreich hat gedreht

Immerhin ist Mbappé der Captain der Équipe tricolore. Seit Jahren war er auch der Wortführer des Teams – etwa im Streit mit dem Verband um die Werberechte der Spieler. Noch im Juni glänzte er als patriotischer Staatsbürger, indem er vor den Parlamentswahlen einen vielbeachteten Appell gegen den Rechtspopulismus an seine Landsleute richtete. Die Wirkung war nicht quantifizierbar, könnte aber angesichts seiner Popularität besonders bei jungen Menschen und in den wenig politikaffinen Banlieues einen Ausschlag gegeben haben, dass die Partei von Marine Le Pen das erwartete Spitzenresultat verpasste.

Mbappés plötzliche Verantwortungslosigkeit gegenüber den «Bleus» erscheint da nun besonders inopportun. Schon während der letzten Länderspiele im September trat Mbappé so lustlos auf, dass es der einstige Nationalspieler Bixente Lizarazu «beschämend» fand.

Die Heimat – aus den Augen, aus dem Sinn? Mbappés jüngste Absage an die Équipe tricolore bestärkt auch jene Kritiker, die Deschamps vorhalten, ihn im vergangenen Jahr nach der Demission des Captains Hugo Lloris zum Spielführer befördert zu haben. Der Nationaltrainer überging dafür den logischen Nachfolger Antoine Griezmann, dessen angestauter Frust sich im vergangenen Monat in einem überraschenden Rücktritt artikulierte.

Von Mbappé bekam Deschamps dafür im Gegenzug in letzter Zeit wenig zurück. In diesem Jahr traf der Captain in elf Länderspielen nur zwei Mal; nach einer enttäuschenden EM nannte er seine Performance im Turnier selbst einen «Reinfall». In der Nations League lief es für Frankreich jüngst besser, wenn Mbappé nicht dabei war oder nur eingewechselt wurde (drei Siege), als wenn er in der Startformation stand (eine Niederlage). Der Wind in Frankreich hat sich gegen Mbappé gedreht.

Durch die Verdächtigungen aus Schweden sieht sich Mbappé nun im Mittelpunkt eines «Sturms» («Le Figaro»). In den Boulevardmedien beider Länder gibt es dieser Tage kein grösseres Thema. Ihr Mandant sei «ausgesprochen gelassen», nur «fassungslos über den Medienrummel», sagt zwar Mbappés Anwältin, und natürlich gilt die Unschuldsvermutung, zumal Mbappé bisher nicht mit Affären solcher Art aufgefallen ist. Doch wie es so ist, zumal heutzutage: Die Sache ist in der Welt, und der Ruf ist womöglich allein damit schon beschädigt.

Einen Eindruck von «Normalität» bekommt Mbappé da allenfalls beim Studium der Gazetten in der neuen Heimat geliefert. Die Real-nahen Madrider Medien, die sonst jedes Hüsteln des Stars in eine Schlagzeile verwandeln, behandeln die Angelegenheit dezent.

Doch die Vereinsverantwortlichen wollen offenbar trotzdem lieber auf Nummer sicher gehen. Aus einer Werbekampagne des Klubs wurde Mbappé in den letzten Tagen herausretuschiert, wie in den sozialen Netzwerken beim Abgleich mit einem Posting des Real-Stars Jude Bellingham auffiel. Wie es heisst, könnte es dabei allerdings auch um ein Problem zwischen den rivalisierenden Sponsoren des Spielers und des Vereins gehen.

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