Der in der Romandie aufgewachsene NBA-Spieler hat in dieser Woche den Verband gewechselt. Der Fall George zeigt, wie gut die Nachwuchsförderung von Swiss Basketball funktioniert – so paradox das klingen mag.
In der Schweiz ist Basketball eine Nischensportart, das Interesse bleibt überschaubar, die Perspektiven sind beschränkt. Talentierte Spieler entwachsen dem Land meist schon früh. Das war bei Thabo Sefolosha so, dem Schweizer NBA-Pionier, und bei Clint Capela. Beide wechselten bereits als Jugendliche nach Frankreich zu Élan Sportif Chalonnais und schafften von dort den Sprung in die NBA.
Einen ähnlichen Weg ging Kyshawn George, die jüngste Schweizer Hoffnung in der weltbesten Basketballliga. Nach Ausbildungsjahren in Chalon-sur-Saône und einer Saison in der amerikanischen College-Liga wurde der 21-Jährige im Sommer in der ersten Runde des NBA-Drafts gezogen und zu den Washington Wizards transferiert. George startete stark in seine erste NBA-Saison: Er war der erste Rookie, dem in dieser Spielzeit 20 Punkte gelangen – Stars wie Stephen Curry und Draymond Green lobten seine Distanzwürfe.
Kanada bietet George die bessere Perspektive
George hat erst 20 NBA-Partien absolviert, sein riesiges Potenzial aber bereits angedeutet. Dass er sich noch viel mehr zutraut, zeigt sein Entscheid von dieser Woche: George will künftig für das Nationalteam von Kanada spielen, das Geburtsland seines Vaters. Kanada ist im Basketball eine Top-Nation, die in der Weltrangliste auf Platz fünf liegt. Der Doppelbürger George sagt: «Ich möchte auch im Nationalteam auf dem höchsten Niveau spielen.»
Weil er 2019 einige Partien für das Schweizer U-16-Nationalteam absolviert hatte, musste Swiss Basketball dem Verbandswechsel zustimmen und die Freigabe erteilen. Sein Votum zugunsten Kanadas begründet George mit der besseren Perspektive: «Die Schweiz nimmt an der Qualifikation zur Weltmeisterschaft teil, Kanada spielt an der WM und an den Olympischen Spielen, von denen ich schon lange träume. Meine Challenge ist, dort teilzunehmen.»
Im Hinblick auf seine sportliche Entwicklung dürfte sich Georges Entschluss als klug erweisen. In der kanadischen Auswahl kann er von NBA-Stars wie Shai Gilgeous-Alexander, Jamal Murray oder Dillon Brooks lernen. Und zeigt George in internationalen Partien starke Leistungen, wird sein Marktwert weiter steigen, was wiederum seine Klubkarriere beflügelt.
Noch unklar ist allerdings, ob George die Selektion in Kanadas Nationalteam überhaupt schafft. Die Konkurrenz ist gross. Er und sein Vater hätten mit dem kanadischen Verband zwar bereits Gespräche geführt. Doch George sagt: «Ich kann nicht einfach mit den Fingern schnippen und bin dabei. Nun liegt es an mir zu beweisen, dass ich in die Auswahl gehöre.» Der Zeitpunkt des Verbandswechsels erscheint ideal: 2025 findet keine WM statt, Kanada wird im Sommer an den Amerika-Meisterschaften teilnehmen. Die besten kanadischen NBA-Spieler verzichten auf diesen Anlass – was Georges Chancen auf ein Aufgebot erhöht.
Der Verband hofft auf mehr Schweizer in der NBA
Für den Schweizer Basketball mutet Georges Bekenntnis zu Kanada wie ein Rückschlag an. Erik Lehmann, der Geschäftsführer von Swiss Basketball, sagt: «Für uns ist der Entscheid enttäuschend. Denn George wurde in der Schweiz ausgebildet, ist also auch ein Produkt von Swiss Basketball. Aber wenn wir uns in seine Lage versetzen, verstehen wir, dass die Perspektiven für ihn mit Kanada interessanter sind.»
Durch ihre Arbeit im Nachwuchsbereich helfen Landesverbände Talenten bei ihrer Entwicklung und ermöglichen ihnen so den nächsten Karriereschritt. Das Risiko, dass Doppelbürger wie George später den Verband wechseln, ist unvermeidbar.
Lehmann sagt, es sei zwar schade, dass George dem Schweizer A-Nationalteam künftig nicht zur Verfügung stehe. An der längerfristigen Strategie des Verbands ändere das aber nichts: Swiss Basketball will weiterhin viel in die Nachwuchsarbeit investieren. So sollen in den nächsten fünf Jahren dank gezielter Förderung drei, vier weitere Schweizer den Sprung in die NBA schaffen.
«Spielen diese dann für die Schweiz, steigt auch das Niveau des Nationalteams», sagt Lehmann. Mit Yanic Niederhäuser steht schon das nächste Schweizer Top-Talent bereit – der 2 Meter 10 grosse Flügelspieler hat gute Chancen im nächsten NBA-Draft.
Georges Leistungen müssen konstanter werden
Für George geht es nun darum, sich in der NBA zu etablieren. Nach seinem fulminanten Saisonstart verlor er mit den Wizards, dem schlechtesten Team der Liga, 16 Partien in Folge; zuletzt fiel George wegen einer Knöchelverletzung aus. Im Vergleich zur vergangenen College-Saison sank seine Wurfquote markant – von 42,6 auf 33,3 Prozent aus dem Feld und von 40,8 auf 24 Prozent von der Drei-Punkte-Linie.
Deshalb arbeitet George zurzeit primär an seiner Konstanz. Er wolle nicht nur in einem einzelnen Spiel, sondern immer stark performen. Ob dann ein Aufgebot von Kanada kommt? George sagt dazu: «Ich konzentriere mich auf das, was ich beeinflussen kann. Zuerst möchte ich eine gute Saison spielen, den Platz im Team festigen und meine Klubkarriere vorantreiben.»
Für Swiss Basketball bleibt eine kleine Hoffnung, denn George sagt auch: «Sollte ich im kanadischen Nationalteam wirklich keine Chance haben, gäbe es für mich keinen Grund, nicht doch für die Schweiz zu spielen.»
Zuerst aber sucht er die grösstmögliche Bühne. Und so paradox es klingen mag, weil die Schweizer Nationalmannschaft gerade einen grossen Verlust erleidet: Der Fall George zeigt, wie gut die Schweizer Nachwuchsförderung funktioniert.