Diese Woche starten die Caviezels an den Heim-WM in St. Moritz. Dort geht es auch um die Zukunft ihrer Sportart.
Es ist nicht so, dass Dario und Ladina Caviezel sich nichts zu sagen hätten. Aber manchmal, wenn die beiden nach einem langen Wettkampftag stundenlang im Auto sitzen, geniessen sie es, wenn sie einfach schweigen können. Und das nicht komisch ist. Sondern «einfach easy», so sagt das Ladina Caviezel.
Die Caviezels sind Weltklasse-Snowboarder, sie reisen dafür um die ganze Welt, und sie tun das als Ehepaar. Das macht sie zu einer Rarität. Am Donnerstag starten sie an den Freestyle-WM in St. Moritz, Parallel-Riesenslalom, Mann gegen Mann, Frau gegen Frau, und die Siegerin ist weiter, und der Verlierer ist raus.
Die Heim-WM sind der Höhepunkt ihrer Saison. Beide träumen davon, wieder eine Medaille zu gewinnen, wie damals in Georgien, im Winter 2023, Silber für Dario und dann, kurz danach, Silber für Ladina. Doch jetzt, in St. Moritz, geht es um mehr und ein Stück weit sogar um die Zukunft ihrer Sportart in der Schweiz.
Wie ist es, das Leben so zu teilen wie die Caviezels, ein Ehepaar zu sein in der schnellen Welt des Spitzensports, in der es auf und ab geht, immerzu? Ist es immer easy?
Wenn es das Snowboard nicht gäbe, gäbe es auch die Eheleute Caviezel nicht. Beide entdecken es schon in jungen Jahren für sich, und dann führt es sie zusammen, in Davos, wo die Uznacherin Ladina Jenny und der Churer Dario Caviezel irgendwann landen, um ihre Karrieren voranzutreiben.
So lernen sich die beiden kennen, sie mögen einander, schon als Teenager, doch die Liebe wächst erst allmählich. Beide sind längst im Nationalteam, als es schliesslich funkt, 2019. Dario ist forsch, er weiss immer, was er will, und dann macht er. Ladina will auch, aber sie macht sich Gedanken, sie denkt: Wenn es nicht klappt, sehen wir uns immer noch ständig. Dario denkt: Ja gut, wenn es nicht klappt, sind wir ja erwachsen.
Es klappt. Und 2023, auf dem Segnespass zwischen Glarus und Graubünden, macht Dario den Heiratsantrag.
Ladina, 31, sagt über Dario, 29, dass er ein Draufgänger sei, spontan, kreativ, auch einmal chaotisch. Dario sagt über Ladina, dass sie zuerst beobachte, bevor sie selbst mache, strukturierter sei, nachdenklicher auch.
Sie sind ein 24/7-Paar
Bei den Alpin-Snowboardern sind Männer und Frauen gemeinsam unterwegs, anders als im Skizirkus, wo sich die Wege nur an den WM kreuzen und beim Weltcup-Final. An den Wettkämpfen dürfen sich die Caviezels ein Zimmer teilen, was unüblich ist, aber die Trainer erlauben es. Dario, der Unordentliche, muss sein Puff dann in einer Ecke ausbreiten, damit es Ladina nicht stört.
Die Caviezels sind viel zusammen, sie teilen alles, die Wohnung in Wangen im Kanton Schwyz, ihren Beruf, das Hotelzimmer, sogar die Hobbys: Joggen, Wandern, Biken. Sie sind ein Paar, 24/7, vor allem im Winter, und sie finden, dass das ein Vorteil sei, weil nach einem anstrengenden Weltcup-Wochenende zu Hause kein ungeduldiger Partner warte. Sondern sie gemeinsam müde sein könnten.
Bei den Caviezels dreht sich aber nicht alles um das Snowboarden, auch wenn es natürlich stets präsent ist. «Wir reden schon viel darüber, gerade wenn es nicht so läuft, und das tut gut», sagt Ladina, und es sei eher sie als er, die einmal einen Tipp annehme.
Doch was machen die beiden, wenn es dem einen läuft – und dem anderen nicht? Einfach, sagen die beiden, sei das nicht. «Wir wissen mittlerweile, dass wir uns ein wenig Zeit lassen müssen, bis der Ärger verraucht ist», sagt Dario. Und dann gibt es keine Plattitüden à la «bald ist ja das nächste Rennen». Sondern Normalität.
«Ich komme auf andere Gedanken, wenn er gut ist», sagt Ladina. Bei ihm sei das auch so, sagt Dario, aber am Ende stehe schon die eigene Leistung im Vordergrund. Im Spitzensport ist sich jeder selbst am nächsten, selbst unter Eheleuten.
Im Schweizer Wintersport absorbieren die Skifahrer fast alle Aufmerksamkeit, gerade jetzt, da sie so erfolgreich sind. Um die Krumen, die für den Rest abfallen, streiten sich Snowboarder, Skispringer, Langläufer und andere mehr.
Wenn die alpinen Snowboarder irgendwo auf der Welt eine Piste hinunterrasen, nimmt davon daheim in der Schweiz kaum jemand Notiz; das Fernsehen strahlt die meisten Rennen nicht aus. Die Caviezels haben gelernt, dass mit ihrer Sportart Weltcup-Siege oder Podestplätze nicht reichen, um beachtet zu werden. Sie brauchen eine Geschichte, und ihre ist die ihrer Liebe.
Auf Instagram heisst der gemeinsame Account Snowboardcouple, Snowboard-Paar. Das hilft bei der Vermarktung, aber die Suche nach Sponsoren bleibt auch so mühselige Kleinarbeit. Viele Anrufe, viele E-Mails, und oft kommt nicht einmal eine Antwort zurück. Auf den Boards der beiden werben regionale KMU; einen Kopfsponsor haben sie erst kürzlich gefunden, und nur für die WM.
Die Caviezels haben sich angewöhnt, nicht nach links und nach rechts zu schauen, schon gar nicht zu den Skifahrern, Gino und Mauro Caviezel etwa, den Cousins von Dario. Es geht ihnen wie vielen Sportlern in der Schweiz: Sie sind Profis, halten mit den Besten der Welt mit, und dank Geldern von Armee, Sporthilfe, Verband und Sponsoren kommen sie gut über die Runden. Aber kennen tut sie kaum jemand, und es ist nicht so, dass sie gerade viel Geld zur Seite legen könnten.
«Wir machen, was wir lieben, und wir leben davon», sagt Ladina Caviezel. «Wer kann schon seine Leidenschaft zum Beruf machen, und das noch zu zweit?»
Ja, wer kann das schon?
Das schlimme «Sportpanorama»-Erlebnis
Vor zwei Jahren, nach den WM in Georgien, wird nicht Julie Zogg, die Schweizer Goldmedaillengewinnerin, ins «Sportpanorama» eingeladen. Sondern Dario und Ladina, das silberne Snowboardcouple. Es ist ein grosser Tag für die beiden. Aufmerksamkeit, endlich. Doch der Moderator will vor allem darüber reden, wie schlecht es um ihre Sportart steht, weil kaum Nachwuchs nachrückt.
Schlimm sei das gewesen, sagen beide heute noch, und das ist verständlich. Aber die Frage, wie es mit dem Alpin-Snowboarden in der Schweiz weitergeht, ist schon berechtigt. Als die Caviezels selbst jung waren, gab es bei den Frauen Daniela Meuli und bei den Männern die Brüder Schoch, die Olympiamedaillen einheimsten. Später taten es ihnen Patrizia Kummer und Nevin Galmarini gleich.
Heute gibt es bei den Männern nur noch Dario Caviezel und einen jungen Teamkollegen; bei den Frauen sieht es besser aus, ein wenig jedenfalls. Alpin-Snowboards sieht man auf den Pisten kaum mehr, und viele Skiklubs, sagt Dario, böten keine Alpin-Snowboard-Gruppen mehr an.
Sind sie also die letzten Dinosaurier, Vertreter einer aussterbenden Art?
Es kämen schon wenig Junge nach, sagt Dario, «und darum sorge ich mich schon . . .», und Ladina macht den Satz für ihn fertig: «um die Zukunft der Sportart generell».
Die Zukunft der Sportart generell. Wenig ist das nicht. Die Heim-WM kommen da gerade recht, eigentlich. Doch ausgerechnet jetzt fahren sie oft hinterher; zuletzt, bei der Hauptprobe in Winterberg, scheiterten beide in der Qualifikation. Aber daheim, in St. Moritz, wollen sie schnell sein, gemeinsam, das wünscht sich das Ehepaar Caviezel sehr.