Als Lamborghini vor rund 50 Jahren den Countach auf die Strasse bringt, stockt vielen Zuschauern der Atem. Zu kantig und zu kompromisslos erscheint er. Der niederländische Sammler Jent Mollema kauft sich den Supersportwagen genau deshalb – und fährt ihn bis heute.

In einer kleinen Halle in Utrecht in den Niederlanden steht ein Lamborghini Countach LP 5000 QV von 1987. Geputzt und poliert. An der Wand hängen Devotionalien rund um die Marke aus Sant’Agata Bolognese.

Hinter einem Vorhang befinden sich zwei weitere Lamborghini-Fahrzeuge, auf der Hebebühne zwei Porsche und auf der Empore ein Lancia Gamma. Ein «man cave», das Herrenzimmer eines Sportwagen-Fans – als Herzstück der Countach. «Diese Form ist einzigartig. Flach, keilförmig mit scharfen Linien. Kein anderer Sportwagen kommt da heran», schwärmt Jent Mollema, der 77-jährige Sammler und Lamborghini-Fan.

Zugegeben, der Einstieg fällt ihm nicht mehr ganz so leicht wie noch vor 30 Jahren. Auch wenn die Türen sich weit nach oben öffnen und den Innenraum üppig freigeben. Aber wenn sich der Lamborghini-Fan und Sammler Jent Mollema einmal auf den engen Sportsitz hinter dem Lenkrad geschlängelt hat, ist es wieder da. Dieses Herzklopfen wie vor über 35 Jahren, als er seinen ersten Lamborghini Countach kaufte. Jetzt wird der flache Sportwagen aus Italien 50 Jahre alt, und der 77-jährige Niederländer erinnert sich in seiner Werkstatt, die einem Museum ähnelt, gerne an seine Anfänge mit Lamborghini.

Es war Anfang der 1980er Jahre, als sein damals zehnjähriger Sohn immer wieder von den heissen Sportwagen aus Sant’Agata Bolognese erzählte: 350 GT, 400 GT, Miura, Espada, Countach oder Urraco sind die berühmten Modellnamen. Edles Blech, elegant gebogen, darunter starke V12-Motoren und in freier Wildbahn sehr selten zu sehen. Es seien die coolsten, besten und schnellsten Sportwagen überhaupt, so das Urteil des Juniors. «Darüber musste ich damals häufig nachdenken. Die Autos haben mir zwar auch gefallen, waren mir aber viel zu teuer», erinnert sich der heute 77-Jährige.

Doch er studiert Anzeigen und hört sich um, findet 1984 einen Lamborghini Urraco in seiner Nähe. «Der war günstig, aber in einem miserablen Zustand, wie sich später herausstellte», erzählt er. Mitte der 1980er Jahre ist er für seinen Grosshandel für Regalsysteme regelmässig in Modena unterwegs und fährt zur Ersatzteilbeschaffung für seinen Urraco gleich ins Lamborghini-Werk nach Sant’Agata Bolognese. «Das war damals möglich und einfacher, als Teile zu bestellen» erzählt er. Mit Valentino Balboni, einst Auslieferungs- und Testfahrer von Lamborghini, pflegt der Niederländer seit fast 40 Jahren eine Freundschaft. Damit ist das Feuer entfacht, und Jent taucht tiefer in die Modell- und Firmengeschichte ein:

Da ist zuallererst Ferruccio Lamborghini, italienischer Selfmademan, der anfangs Traktoren baut und Enzo Ferrari ein paar Tipps zum Bau besserer Sportwagen liefert. Ungefragt. Die Antwort kommt der Legende nach prompt: «Lamborghini, du magst ja Traktoren fahren können, aber du wirst nie in der Lage sein, einen Ferrari richtig zu handhaben.»

Mit Wut im Bauch und Ideen im Kopf entwickelt Lamborghini 1964 seinen ersten eigenen Sportwagen, den 350 GT. Es folgen weitere Modelle und ein paar Pleiten. «Die Geschichte hat mich fasziniert und fasziniert mich noch immer, vielleicht hänge ich deshalb an der Marke. Dazu kommen Technik und Design», erklärt Jent Mollema. Seiner Meinung nach sind die Autos besser als die vom Rivalen Ferrari.

«Allein die Idee, dass ein Lamborghini leicht und lange rollt, länger als die Autos von Ferrari, zeigt schon, wie Ferruccio Lamborghini gedacht hat», erklärt der 77-Jährige. Nicht die schiere Leistung ist für sportliches Fahren entscheidend, sondern auch die Leichtigkeit beim Fahren. Der Countach wird das achte Modell von Lamborghini – und sein Meisterstück.

Schon Ende der 1960er Jahre denkt Ferruccio Lamborghini über einen Nachfolger des eher weich und rund gezeichneten Miura nach. Der Bertone-Chefdesigner Marcello Gandini, schon für den Miura verantwortlich, zeichnet daraufhin 1971 ein besonders flaches und kantiges Modell, das den damaligen Zeitgeist widerspiegelt.

Anderthalb Jahre nach der ersten Mondlandung denken die Menschen an Raumfahrt und Hochtechnologie, die Zeit der Hippies scheint langsam vorbei zu sein. Statt sanfter Flower-Power und Blümchen auf VW-Bullis gelten nun harte Linien und geometrische Muster mit viel Leistung in flachen Fahrzeugen. Beim Prototyp kommen sich nach oben öffnende Scherentüren hinzu, dazu ein hinten längs statt quer eingebauter V12-Benziner.

Der seltsame Modellname entsteht

Der Designer Giuseppe «Nuccio» Bertone ruft angeblich beim Anblick des Fahrzeugentwurfs im piemontesischen Dialekt «Countach», auf Deutsch: phantastisch. Der gelb lackierte Prototyp ist nur 1,07 Meter hoch, 4,14 Meter kurz und wirkt wie von einem anderen Stern. Zumindest für die Besucher im Genfer Autosalon 1971. Allerdings präsentiert die LP 500 genannte Designstudie Bertone und nicht Lamborghini – als Leistungsbeweis seiner gestalterischen Fähigkeiten und nicht als Nachfolger des Miura.

Doch die Reaktionen fallen überaus positiv aus, so dass Ferruccio Lamborghini sich entschliesst, das Auto zu bauen. Irgendwie, denn die Mittel der Manufaktur sind knapp, die wirtschaftliche Lage angespannt. Ein Jahr später folgt die Freigabe für die Serienproduktion, und im Herbst 1973 zeigt Lamborghini sein Serienfahrzeug im Pariser Autosalon auf dem eigenen Stand. Die ersten Fahrzeuge gehen im April 1974 zu den Kunden – nun als LP 400 mit einem 4,0-Liter-V12 und 375 PS.

Besitzer bisheriger Sportwagen müssen beim Countach umdenken – und zwar radikal: Sie liegen mehr, als dass sie im Auto sitzen, die Beschleunigung ist mit 5,4 Sekunden auf 100 km/h brachial und die Höchstgeschwindigkeit von über 300 km/h wie in einem Formel-1-Auto aus dieser Zeit. Bis 1977 baut Lamborghini vom ersten Countach 152 Fahrzeuge, dann folgt ab 1978 mit dem LP 400 S die erste Ausbaustufe: mehr Spoiler und Flügel, aber etwas weniger Leistung – die zweite Ölkrise 1978 geht auch nicht an Lamborghini spurlos vorüber. Dennoch greifen 235 Kunden zu.

«Die extreme Radikalität des Designs, sichtbar an der sehr flachen Windschutzscheibe und dem kantigen Blech, erinnert an einen geschliffenen Diamanten», sagt Paolo Tumminelli, Professor für Designkonzepte an der Köln International School of Design. «Lamborghini ist damit eine puristische Form gelungen, und der Countach gilt als Pate der Ur-Keilform.»

Der Countach ist für Tumminelli das Paradebeispiel der Transformation des Sportwagens: Zu Beginn seiner Erfindung Anfang der 1950er Jahre konnten Besitzer ihre Sportwagen auch bei Rennen einsetzen. Gegen Ende der 1960er Jahre professionalisierten sich die Rennställe, und Hobbyfahrer hatten mit ihren Sportwagen keine Chance mehr. «Damit gab es eigentlich keine Verwendung mehr für die im Alltag unpraktischen Sportwagen», sagt Tumminelli.

1982 kommt der Nachfolger LP 5000 S mit fast fünf Litern Hubraum, von dem die Italiener 323 Exemplare verkaufen. Mit dem Countach LP 5000 Quattrovalvole (QV) vergrössert Lamborghini 1985 den Motor auf 5,2 Liter und steigert die Leistung auf 445 PS. Dicke Seitenschweller und grosse Spoiler machen den Countach optisch noch mächtiger und imposanter: ein Spiegelbild der 1980er Jahre, das 631 Kunden findet – immerhin fast eine Verdoppelung gegenüber dem 5000 S.

Nicht mehr als 2000 Kilometer im Jahr

Die letzte Evolutionsstufe der insgesamt fünf Serien baut Lamborghini 1988 mit dem 25th Anniversary. Die Karosserie glätten die Designer leicht, bieten den Passagieren sogar etwas Komfort. Mit 658 gebauten Autos wird das Jubiläumsmodell die erfolgreichste Variante des Countach. Bis 1990 baut Lamborghini insgesamt 1999 Fahrzeuge, dann folgt der eine Spur dezentere Diabolo. Trotz seinen insgesamt geringen Verkaufszahlen hat der Countach das Bild des Supersportwagens geprägt.

Seit 30 Jahren besitzt Jent Mollema seinen Countach LP 5000 QV, hegt und pflegt ihn. Es ist bereits sein zweiter Countach. Denn das misslungene Modell Urraco hat seinen Glauben an die Marke nicht zerstört, sondern gestärkt. 1989 tauscht er den ungeliebten Urraco gegen einen fast neuen Jalpa, wenig später kommt ein Countach LP 400 S von 1981 hinzu. «Mich hat das Design immer schon begeistert. Als ich eine gute Offerte erhielt, griff ich zu», erzählt er.

Fünf Jahre besitzt er den Sportwagen. Dann erhält er ein Angebot für das Fahrzeug, das er nicht ablehnen kann – und investiert das Geld gleich in den nächsten Countach: seinen jetzigen LP 5000 QV, Baujahr 1987. «Mich hat der grössere Motor mit mehr Leistung gereizt. Dazu ist der QV die beste Version der Reihe. Es ist das extremste Auto, das je in Italien gebaut wurde», erklärt der Lamborghini-Fan. Die wulstigen Schweller und die Heckverkleidung demontiert er, integriert filigranere Rückleuchten, spannt schwarzes Alcantara im Innenraum. Obwohl das Radio funktioniert, bleibt es bei der Fahrt immer ausgeschaltet – der beste Sound kommt für Mollema stets vom V12.

Kleine Wartungsarbeiten erledigt der Niederländer selbst, ebenso wie das Pflegen und Putzen bis in die hinterste Ritze. Dafür demontiert er Zierteile und Räder, bis er auch das letzte Schmutzkorn entfernt hat. Rund 2000 Kilometer fährt Jent Mollema im Jahr mit dem Countach, davon bei Klubtreffen regelmässig auf den Rennstrecken Assen und Zandvoort.

Bis jetzt hat der Countach nur 47 800 Kilometer auf dem Tacho. Zwischendurch besitzt Mollema noch einen 400 GT von 1966, hat immer noch seinen Jalpa und einen Murciélago von 2003.

Seine Begeisterung für die Marke gipfelt 1993 in der Gründung des Lamborghini Owners Club Niederlande – mit ihm als Präsidenten. Lange fristet der Supersportwagen ein Dasein zwischen Zuhälter-Karre und Möchtegern-Sportwagen. Zu laut, zu auffällig, zu zwielichtig erscheinen die Besitzer. Das war einmal. Die wenigen noch existierenden Countach-Modelle sind heute auf dem Klassikmarkt heiss begehrt. Doch seinen Countach wird Jent Mollema nicht verkaufen. Auch nicht, wenn das Ein- und Aussteigen immer schwerer fällt.

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