Mittwoch, April 16

Dieser Offroader ist mehr als nur ein Geländewagen. Mit einem komplett neu entwickelten Fahrwerk und einem elektrisch unterstützten V8-Motor zeigt er, dass er auf der Strasse, im Gelände und auf der Rally-Piste zu Hause ist. Ohne Kompromisse.

Wir sitzen in einem Geländewagen, der es in sich hat. Im Testgelände Les Comes, westlich von Barcelona, klettert der Allradler eine Felsplatte hinauf, die 100 Prozent Steigung und eine Schieflage von 20 Grad aufweist. Der Wagen bewegt sich auf der trockenen, teilweise staubigen Platte stetig vorwärts, ohne Rucken, ohne Rutschen. Als gäbe es nichts Leichteres.

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Ein paar Minuten später fahren wir – nein, fliegen wir mit demselben Fahrzeug in hohem Tempo über einen Geländerundkurs mit Löchern, Kurven, Senken und Sprüngen, knapp an Bäumen, Büschen und Felsen vorbei. Das Fahrzeug gibt sich agil, wendig und leichtfüssig. Wie ein Rally-Auto.

Doch dieses flinke Wiesel ist ein Brocken von einem Geländewagen, fünf Meter lang und 2,7 Tonnen schwer. Es ist der Land Rover Defender 110 OCTA, ein Offroader mit besonderen Fähigkeiten. Von einem Umbau zu sprechen, wäre falsch. Denn der Super-Defender hat jede Menge neuer Teile. Bei dem Fahrwerk und dem Antrieb wurde vieles von Grund auf neu entwickelt, um den hohen Ansprüchen an einen Offroader zu genügen, der künftig sogar als Wettbewerbsfahrzeug am berühmten Rally Dakar teilnehmen – und gewinnen – soll. Das soll der Welt seine Einzigartigkeit und seine Eigenständigkeit vor Augen führen.

Tatsächlich führt der Defender bei Land Rover seit Jahrzehnten ein Eigenleben. Spricht man vom Defender, weiss nicht nur die Fachwelt, dass es um einen besonders leistungsfähigen und robusten Geländewagen geht, der etwa fürs Rote Kreuz weltweit durch Krisengebiete rollt. Der die unmöglichsten Offroad-Aufgaben meistert wie sonst nur sehr wenige Geländewagen. Der Hersteller hat den Defender seit 2023 zu einer eigenständigen Marke hochstilisiert, die fortan ganz ohne die Erwähnung von Land Rover auskommen soll.

Der Defender ist auch in seiner seit 2019 lancierten neuen Form ein Erfolgsmodell. Manch einer zweifelte wegen der rundlicheren Form und luxuriöseren Ausstattung daran, dass der Wagen alte Traditionen weiterführen würde, und erkannte im neuen Defender eine Abwandlung der Range-Rover-Modelle. Und damit eine Abkehr einer Tradition, die seit 1948 gehegt und gepflegt wurde.

Doch Federico Funaro, Defender-Markenchef der Jaguar-Land-Rover-Gruppe, sieht die Neuinterpretation des Defender durch den Verkaufserfolg bestätigt: «Wir verkaufen heute monatlich die gleiche Stückzahl wie früher in einem ganzen Jahr.» Und dann gibt er die bisher plausibelste Erklärung für die Entstehung des neuen Defender: «Wir haben ihn nach unserem Anspruch an einen unverwüstlichen Geländewagen der Neuzeit gebaut, nicht im Stile der 70-jährigen Tradition.»

Tatsächlich hat sich der Defender im Umfeld von Mitbewerbern wie Mercedes G, Toyota Landcruiser und Jeep Wrangler etabliert. Und doch fand es der Autobauer nun an der Zeit, die Reihe mit dem Sondermodell OCTA zu neuer Blüte zu bringen.

Unter dem Blech ist vieles ganz neu

«Es gab eine Reihe von Kunden, die vom Defender noch mehr wollten, als er bereits zu bieten hat», sagt Ed Du Gard. Der Brite leitet den Strategiebereich für den Defender. Er initialisierte die Entwicklung eines Über-Geländewagens, der Ausserordentliches leisten sollte, sowohl im schweren Gelände als auch bei hohen Geschwindigkeiten, wie sie typisch für Wüstenfahrten sind.

Um die hohen Anforderungen zu erfüllen, haben die Ingenieure rund um Jamal Hameedi, den Chef der Abteilung Special Vehicle Operations bei Jaguar Land Rover, vor allem das Fahrwerk des Defender für die Version OCTA von Grund auf neu konzipiert. Alle Aufhängungen sind neu konstruiert, die gesamte Geometrie der Achsen wurde auf noch härtere Anforderungen ausgelegt. Die einzelnen Radträger mit Feder-/Dämpfer-Einheiten sind digital mit einem Steuergerät verbunden und kommunizieren so miteinander.

Dadurch lassen sich die Nick- und Wankbewegungen der Karosserie während der Fahrt – so typisch für Fahrzeuge mit hoher Bodenfreiheit und langen Federwegen – weitgehend eliminieren. Zudem wird es unter Einbezug der Antiblockier- und Fahrstabilitätssysteme möglich, die elektronischen Fahrprogramme Comfort, Dynamic und OCTA für unterschiedliche Fahrcharakteristika unterschiedlich zu konzipieren.

Äusserlich zu erkennen ist von all den Massnahmen unter dem Blechkleid nur wenig. Der OCTA wirkt dank vergrösserten Radkästen, um fast sieben Zentimeter verbreiterter Spur und einer um nochmals fast drei Zentimeter erhöhten Bodenfreiheit etwas imposanter. So lässt sich der Wagen mit bis zu 33 Zoll Durchmesser bereifen. Die Stossfänger sind stärker nach unten abgerundet, um im Gelände noch steilere Böschungswinkel zuzulassen, und der Unterfahrschutz ist noch stärker als beim Basis-Defender. So ausgerüstet, kann der OCTA bis zu einen Meter tiefes Wasser durchfahren – man spricht hier von der Wattiefe.

Im Innern setzen die Erschaffer des Sondermodells auf mehr Luxus als bisher. Strapazierfähige Kunstfasern dienen als Bezüge der neu entwickelten Vordersitze. Diese verfügen über Massagefunktion und die Ausrüstung mit Vibrationssystem, das sich an der jeweils gespielten Musik des Infotainmentsystems orientiert. Diese «Body and Soul»-Audiotechnologie verwendete Land Rover bereits im Range Rover Sport SV.

Ironman auf vier Rädern

Es ist beeindruckend, wie gut sich der bisher leistungsstärkste Defender, angetrieben von einem 4,4 Liter grossen V8-Motor mit zwei Turboladern und Mildhybrid-System, schlägt in den drei Disziplinen auf der Strasse, im schweren Gelände und auf der Rally-Piste.

Die erste Disziplin auf kurvenreichen katalanischen Strassen absolviert der Defender 110 OCTA souverän. Dass es sich beim Fahrzeug um einen 2,7 Tonnen schweren Brocken handelt, zeigt sich kaum. Dank präziser und sehr direkter Lenkung bei nur geringem Lenkeinschlag wirft sich der OCTA in die Kurven wie ein Sportwagen – wenngleich die Sitzhöhe eher einem Thron als einem Rennschalensitz ähnelt. Der Seitenhalt könnte noch eine Spur besser sein. Denn dieser Defender lässt ohne merkliche Seitenneigung Querbeschleunigungen von bis zu einem g zu – sehr ungewöhnlich.

Dabei liefert die Kombination aus Ganzjahresreifen Typ Goodyear Wrangler und Allradantrieb jederzeit gute Traktion. Ein gelegentliches Übersteuern setzt in engen Bögen sehr sanft und zurückhaltend ein und ist dadurch gut beherrschbar. Das Beschleunigungsvermögen ist in dieser Disziplin gut erfahrbar, der V8 schiebt dank Mildhybrid-Unterstützung an wie ein Dieselmotor. Zudem ist das Bremsverhalten sehr neutral, die Verzögerung ist angenehm dosierbar.

Das Fahrwerk ist im gewählten Dynamic-Modus straff und eignet sich für sportliche Passfahrten. Wer es lieber gemütlich nimmt, wählt den gutmütigen Comfort-Modus. Dann gibt sich der OCTA ganz zahm.

Brav zurückhalten kann sich der Defender OCTA auch im schweren Gelände mit Steinen, Baumwurzeln und blankem Fels. Die Reifen, die den Wagen flott über den Asphalt treiben, können auch Offroad, und dies ganz souverän. Schlupf an den Rädern stellt sich kaum ein, vorausgesetzt, man wählt das richtige Geländefahrprogramm, also entweder Schlamm, Sand, Felsen oder Gras, Schotter, Schnee.

Bei den Manövern über Felsbrocken oder an ihnen vorbei ist die direkte Lenkung ein grosser Vorteil, genauso wie die gut dosierbaren Bremsen. Je nach Einstellung verändert sich auch das Ansprechverhalten des Gaspedals, das gehört zur Paradedisziplin bei Land Rover. Verwehrt die mächtige Motorhaube einmal den Blick auf das Gelände direkt vor dem Wagen, sorgen Kamerabilder für den Blick vor den Stossfänger und seitlich an den Vorderrädern vorbei. Anzeigen im Cockpit stellen zudem die exakte Stellung der Lenkung und der beiden Achsen dar. Und man sieht genau, wie stark die Differenziale den Achsantrieb sperren.

Zum Dessert gibt es die Königsdisziplin – das schnelle Fahren auf Pisten, die von einem internationalen Rally und der Dakar-Geländeprüfung stammen könnten. Auch hier stechen der kräftige Antrieb, die zuverlässige Traktion, das ausgezeichnete Fahrwerk und die direkte Lenkung heraus. Damit lässt sich der OCTA leichtfüssig und agil durch die Kurven, Kuppen, Senken und Löcher fahren, als sei es eine Asphaltstrecke. Selbst grosse Sprünge steckt das Fahrwerk weg wie ein Känguru auf Rädern.

Da der Defender OCTA den Triathlon aus Asphalt, Fels und Wüstenpiste mit der gleichen Reifenausrüstung beherrscht wie sonst kaum ein Fahrzeug auf dem Markt, ist auch der Preis jenseits von 220 000 Franken – 60 000 Franken mehr als beim V8-Defender – nachvollziehbar. Ein Hinderungsgrund für Käufer scheint er nicht zu sein. Die erste Serie als Sondermodell «First Edition» zum Preis ab 240 000 Franken war innerhalb von kürzester Zeit ausverkauft.

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