Freitag, Oktober 11

Seit Jahren verdient der Hersteller von Stromzählern nur in den USA und in Japan Geld. Verschiebungen im Aktionariat könnten der Katalysator für überfällige Anpassungen sein. Landis + Gyr braucht eine Neuorientierung.

Die Aktien des weltgrössten Herstellers von Stromzählern, Landis + Gyr (L+G), sind eine Enttäuschung. Der Kurs liegt noch immer unter dem Niveau, zu dem sie im Juli 2017 an die Börse gekommen waren. Ausser der Dividendenausschüttung haben die Aktionäre mit ihrem Engagement mehr als sieben Jahre kein Geld verdient. Hätten sie ihre Mittel passiv am Markt investiert, könnten sie immerhin auf eine Performance von fast 30% zurückschauen.

Für ein Unternehmen, das sich am «Sweet Spot der Energiewende» sieht, ist das ein Armutszeugnis. Der ernüchternde Leistungsausweis hätte das Management und den Verwaltungsrat schon längst zu einschneidenden Massnahmen veranlassen müssen. Ausser einigen personellen Änderungen passierte jedoch wenig. Operativ ist das Unternehmen noch so aufgestellt, wie es 2017 an die Börse zurückgekehrt ist.

Die Minderleistung hat strukturelle Gründe.

Strategischer Stillstand

L+G verdient ihr Geld in der Region Americas. Diese umfasst auch das Japan-Geschäft, ein Relikt aus der Zeit von 2011 bis 2017, als sich das Unternehmen im Besitz des japanischen Technologiekonzerns Toshiba befand. Auch das Geschäftsjahr – es schliesst jeweils per Ende März ab – ist dieser Vergangenheit geschuldet.

Das geografische Ungleichgewicht ist bei L+G notorisch. Schon zu Zeiten von Toshiba wurden nur in den USA und in Japan attraktive Margen erwirtschaftet. Im Geschäftsjahr 2023/2024 belief sich die adjustierte Gewinnmarge auf Stufe Ebitda in der Region Americas auf 16,4%. Die Marge in der Region Emea erholte sich von einem Vorjahresverlust auf bescheidene 2,6%, während sie sich in Asien/Pazifik auf 11% verbesserte.

Wenn man den Erwartungen der Analysten Glauben schenkt, sollten sich die Margen in den kommenden Jahren einander annähern. Trotzdem ändert sich nichts daran, dass in diesem kapitalintensiven Geschäft nur die USA ausreichend rentabel sind.

Diese Diskrepanz hat wenig damit zu tun, dass L+G in den USA besser geschäftet. Doch die Bedürfnisse der amerikanischen Kundschaft, meist grosser Energieversorger, unterscheiden sich von denen in Europa. Im US-Markt und zum Teil auch in Japan ist L+G nicht nur Hersteller sogenannter intelligenter Strom-, Wärme-, Gas- und Wasserzähler, sondern im besten Fall strategischer Partner, der das gesamte Energiemanagement des Kunden abdeckt.

Der vergleichsweise schlechte Zustand der Infrastruktur in den USA ist für L+G ein Segen. Je unzuverlässiger Stromnetze sind, je mehr Überlastungen drohen oder sogar temporäre Blackouts, desto wertvoller sind die Dienstleistungen, die sie für einen Versorger übernimmt. Auch die technisch weiter fortgeschrittenen Stromzähler in den USA zeigen die unterschiedlichen Marktbedürfnisse.

Im Gegensatz dazu ist das Geschäft in Europa von politischen Entscheiden geprägt. Die Abdeckung mit digitalen Stromzählern wird Jahre im Voraus ausgeschrieben. Dabei müssen die Anbieter zum Teil eng definierte Kriterien erfüllen. Wenn wie in Deutschland der Lieferant der Zähler nicht gleichzeitig auch die Abrechnung und das Energiemanagement übernehmen darf, schränkt das seine Rentabilität stark ein. Ausserdem kommt es in Europa bei den meist staatlich finanzierten Smart-Meter-Rollouts zu Verzögerungen. Den Anbietern bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten. Das bindet unnötig Kapital und Ressourcen – und schmälert die Marge.

Lukratives US-Geschäft

Die gute Marge von L+G in der Region Americas ist nichts Aussergewöhnliches, wie ein Vergleich mit dem Hauptkonkurrenten Itron zeigt. Mit Anteilen von je 30 bis 40% dominieren die beiden Unternehmen den US-Markt als Quasiduopolisten.

Itron ist aus dem US-Energiekonzern Schlumberger entstanden. In den Achtziger- und Neunzigerjahren wurden in Deutschland, Italien und Grossbritannien in Europa Konkurrenten übernommen. Seit 1993 sind die Itron-Aktien📈 an der Nasdaq kotiert. Mit einem Umsatzanteil von 16% ist die Region Emea indes nur halb so gross wie bei L+G (34%). Der mit Abstand wichtigste Markt für Itron sind die USA (80%). Dank verschiedener Akquisitionen im Technologiesektor kann sie sich als Lösungsanbieter im Netzwerkgeschäft präsentieren.

In einer direkten Gegenüberstellung zeigen sich die vielen Gemeinsamkeiten – und die wenigen Unterschiede – zwischen den beiden Unternehmen. Obwohl die Schweizer weniger Einnahmen im lukrativen US-Markt haben (58%), ist die Profitabilität ähnlich hoch wie bei Itron. In den vergangenen Jahren und auch 2024 hatten sie sogar die Nase vorn.

Der Markt misst mit unterschiedlichen Ellen

Der grosse Unterschied macht sich jedoch bei der Dividende und der Bewertung bemerkbar. Während L+G eine hohe und steigende Ausschüttung verspricht – darauf wurde die Investment Story beim Börsengang aufgebaut –, hat Itron nie eine Dividende geleistet. Die erwirtschafteten Mittel werden reinvestiert und für den Kauf von Unternehmen sowie für Aktienrückkäufe eingesetzt.

Ins Auge sticht aber vor allem, wie unterschiedlich die Börse die beiden Gesellschaften einstuft. Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) verkehren die Itron-Aktien seit Jahren mit einer satten Prämie von über 50%. Auch das nächstjährige KGV liegt rund 29% über dem L+G-Niveau. An der Börse sind die Amerikaner fast doppelt so viel wert wie die Schweizer.

Dieses Delta weckt Fantasie in den L+G-Titeln. Die Bestandteile sind zwar schon vor längerem identifiziert worden. Doch durch die jüngsten Veränderungen im Aktionariat haben sie an Aktualität und Realisierbarkeit gewonnen.

L+G hinkt Itron klar hinterher

«Landis + Gyr ist eigentlich eine amerikanische Gesellschaft», sagt Michael Roost, Analyst von Baader Helvea. Trotz der Etikette «Schweizer Traditionsunternehmen» – die Gründung geht auf 1896 zurück – hat L+G den Charakter eines amerikanischen Konzerns. Die Geschäftszahlen werden in Dollar erhoben, als Rechnungslegungsstandard wird US-GAAP angewendet, und auch Konzernchef Werner Lieberherr «tickt» angelsächsisch. Der schweizerisch-amerikanische Doppelbürger hat während Jahrzehnten in den USA gearbeitet. Seit April 2020 ist er CEO von L+G.

Kommt die US-Kotierung?

Mit dem Einstieg von SEO (Spectrum Entrepreneurial Ownership) hat die Hoffnung auf eine Kotierung in den USA Nahrung bekommen. Wie das Beispiel der beiden Zementkonzerne CRH, die ihre Primärkotierung 2023 in die USA verlegt hat, und Holcim, die für den amerikanischen Teil eine US-Kotierung anstrebt, zeigt, sind US-Kotierungen für europäische Unternehmen nicht nur Gedankenspiele.

«Eine US-Kotierung von Landis + Gyr wäre eine sehr interessante Sache», meint Baader-Analyst Roost. Er wisse zwar nicht, was die Absichten von SEO seien, doch ein solcher Schritt wäre aus seiner Sicht sehr sinnvoll. «Die Frage ist lediglich, was mit dem restlichen Teil des Unternehmens passiert», ergänzt er. Ob L+G ohne die USA ein attraktives Geschäftsmodell sein kann, ist offen. Die Analysten gehen davon aus, dass es rentabler als bisher betrieben werden kann. Zweistellige Gewinnmargen dürften indes schwierig sein. An die Marge in den USA werde die Region Emea nie herankommen, erklärte CEO Lieberherr gegenüber The Market.

Neuer Aktionär bringt frischen Wind

Das Finanzvehikel des Schweizer Unternehmers Thomas Schmidheiny SEO ist bei L+G unüblicherweise indirekt eingestiegen. Nachdem sich der langjährige Ankeraktionär Kirkbi – das Investmentvehikel der dänischen Lego-Erben – überraschend und mit einem grossen Abschlag von 9% von einem Teil seiner 15%-Beteiligung getrennt hatte, kaufte SEO Anfang Juli die restlichen 5%. Danach ging es schnell. Schon bei der Bekanntgabe des Beteiligungsverkaufs wurde der neue Ankeraktionär von der L+G-Führung willkommen geheissen, und es wurde erklärt, dass SEO-Vertreter Fabian Rauch den bisher von Kirkbi gehaltenen Sitz im Verwaltungsrat übernehmen soll. Ende August wurde Rauch an der a. o. Generalversammlung ins Gremium gewählt.

Obwohl der neue Aktionär mit nur 5% einen VR-Sitz stellen kann, geht Baader-Analyst Roost davon aus, dass er seine Beteiligung ausbauen wird. Das würde aus Sicht von The Market nicht überraschen, denn SEO versteht sich als aktiver Investor, der sich bei strategischen Fragen eng einbringt, um noch nicht ausgeschöpftes Ertragspotenzial zu realisieren. Und sie unterbreitet den Führungsgremien der Unternehmen, an denen sie beteiligt ist, detaillierte Vorschläge und Forderungen.

Mit Lieberherr dürften die ehemaligen Cevian-Leute von SEO einen Verbündeten gefunden haben. Durch frühere Tätigkeiten ist er mit dem US-Markt bestens vertraut. Doch Lieberherr schreitet langsam dem Pensionsalter entgegen. Schon lange ist der 61-jährige Verwaltungsratspräsident Andreas Umbach dabei. Vor dem Börsengang war er fünfzehn Jahre lang Konzernchef von L+G, seither hat er das Präsidium inne. Das Wunschszenario von Analyst Roost ist, dass Lieberherr einen Nachfolger findet und dann Umbach als VR-Präsidenten ablöst. Auch andere Investoren würden es begrüssen, wenn sich Umbachs Zeit bei L+G dem Ende zuneigt.

Go west, old company

Eine US-Kotierung erfordert Vorlaufzeit. Mit Holcim, die nächstes Jahr ihr US-Geschäft separat in den USA kotieren wird, haben die SEO-Leute immerhin passendes Anschauungsmaterial. Falls es tatsächlich so weit kommt, müsste L+G wohl die Dividendenpolitik ändern. Das wäre zu begrüssen, denn sie legt das Unternehmen in ein zu enges Korsett. In mageren Zeiten musste sogar Substanz ausgeschüttet werden, um das Dividendenversprechen einzuhalten. Und das 2019 gestartete Aktienrückkaufprogramm musste in der Pandemie vorzeitig gestoppt werden und ist seither nicht mehr erneuert worden.

Von einem Substanzwert, den die Investoren wegen seiner attraktiven Ausschüttung kaufen, würde eine amerikanisierte L+G zu einem Wachstumswert, der anorganisches Wachstum präferiert. Der Bewertungsabschlag müsste dann geringer ausfallen. Vielleicht werden ja schon am 30. Oktober, wenn L+G die (wohl schwachen) Semesterzahlen publiziert, erste Angaben gemacht, wohin die Reise geht.

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