Das Schweizer Traditionsunternehmen steht für Stromzähler – aber möchte so viel mehr bieten. Deshalb sucht Landis + Gyr das Heil in den USA. In der Schweiz bleibt nur der Sitz.
Der Name Landis + Gyr begegnet vielen Schweizern beim Gang in den Keller. Die Stromzähler des Unternehmens aus Cham sind weit verbreitet, in Europa ist es Marktführer. Früher drehten sich in den grauen Kästen Messscheiben und Zählwerke, die einmal im Jahr abgelesen wurden. Heute sind die Kästen weiss, die Anzeigen digital, und der Stromverbrauch wird in Echtzeit an den Versorger übermittelt. Das ist modern. Doch für Landis + Gyr ist der Keller eine Sackgasse.
Im kommenden Jahr wird die 1896 in Zug gegründete Firma ihr 130-jähriges Bestehen feiern. Es wird auch das Jahr sein, in dem sich Landis + Gyr aus Europa verabschiedet. Im vergangenen Herbst kündigte der Konzern an, sein Geschäft in Europa zu verkaufen. Der Fokus wird noch stärker auf die USA gelegt, den schon heute wichtigsten und lukrativsten Markt. Das Unternehmen wird dann auch aus Amerika geführt und die Aktie dort kotiert. In der Schweiz bleibt nur der Firmensitz.
Das Management ist begeistert – die Börse nicht
Seit der grosse Schnitt angekündigt worden ist, scheiden sich auch die Geister. Der Firmenchef Peter Mainz sprach am Freitag gegenüber Journalisten von einer «phantastischen Bestätigung» der neuen Strategie, als er einen rekordhohen Auftragseingang präsentierte – der resultierte insbesondere aus dem Hoffnungsmarkt Amerika. «Wir blicken begeistert in die Zukunft», liess sich der Finanzchef Davinder Athwal zitieren. Beide Manager sind neu auf ihren Posten; der Kurswechsel hat die Geschäftsleitung umgepflügt.
Hingegen hat die Börse die neue Strategie abgestraft: Die Aktie ist seit der Ankündigung um fast 30 Prozent gefallen. Auch der Freitag startete mit einem deutlichen Kursabschlag, als Landis + Gyr für das Geschäftsjahr bis Ende März einen Umsatzrückgang um 11 Prozent auf 1,7 Milliarden Dollar meldete. Nach einer Gewinnwarnung im Februar war das zu befürchten. Der Betriebsgewinn (Ebitda) schrumpfte um einen Drittel auf 149 Millionen Dollar. Die Dividende soll fast halbiert werden.
Doch im Tagesverlauf erholten sich die Papiere. Möglicherweise nahmen sich die Anleger tatsächlich den aussergewöhnlichen Auftragseingang zu Herzen. Er fiel mit 2,6 Milliarden Dollar viel höher aus, als Analysten erwartet hatten. Zwei Drittel der neuen Aufträge kamen aus der Region Amerika, zu der die Firma auch Südamerika und Japan rechnet, in der aber die USA den Löwenanteil ausmachen.
Ein Grossteil der Order aus den USA entfiel auf das, was für Landis + Gyr so reizvoll ist: Software. In Europa hat es das Unternehmen nie geschafft, mehr zu sein als ein Hersteller von Hardware – die Kästen im Keller lassen grüssen. In anderen Teilen der Welt hat sich Landis + Gyr in den vergangenen zwanzig Jahren weiterentwickelt und kann mehr bieten, vor allem Dienstleistungen und Programme zum Management von Stromnetzen. Das ist deutlich profitabler.
Landis + Gyr musste sich entscheiden. «Wir können nicht die Besten in beiden Geschäftsmodellen sein. Dafür sind wir nicht gross genug», erklärte der Firmenchef Mainz den Strategiewechsel. Der Hardware-Markt in Europa sei zwar sehr interessant. Deshalb gebe es auch mögliche Käufer für den Geschäftsbereich mit zuletzt 607 Millionen Dollar Jahresumsatz. Aber die Stromversorger würden es nicht zulassen, dass Landis + Gyr hier mehr anbiete als nur die Hardware.
Die Expansionsprobleme in Europa haben das Unternehmen jahrelang gebremst. Hingegen sind die Versorger in den USA nicht nur offener für Lösungen zum Strommanagement, sie wollen auch keine chinesische Hardware in ihren Systemen. Das schmälert die Konkurrenz, und der Preiskampf ist nicht so intensiv. Auch Märkte wie Südamerika und Japan verwenden jene Technologie, die in den USA verkauft wird. Hingegen sind in Europa die vielen nationalen Regulierungen ein Hindernis für Landis + Gyr.
Das Risiko: Für die USA wird in Mexiko produziert
Doch es gibt einen Schönheitsfehler: Landis + Gyr hat keine Produktion in den USA, sondern versorgt die weltgrösste Volkswirtschaft mit einem Werk in Mexiko. Dort findet die Endmontage von Komponenten statt, die aus der ganzen Welt eingekauft werden.
In normalen Zeiten war das kein Problem, denn Mexiko ist ein etablierter, günstiger Produktionsstandort und hat ein Freihandelsabkommen mit den USA. Doch unter US-Präsident Donald Trump, der kurzfristig und unvorhersehbar Importzölle erlässt, wird eine internationale Lieferkette zum Risiko.
Die UBS schätzte jüngst, dass Landis + Gyr 43 Prozent des Gesamtumsatzes mit Produkten erwirtschaftet, die in den USA verkauft, aber nicht dort hergestellt wurden. Das ist der höchste Anteil unter rund vierzig untersuchten Schweizer Industriefirmen. Doch Landis + Gyr hält an Mexiko fest. Denn Trump erhebt nun doch keine Zölle auf jene Waren, die unter das US-Freihandelsabkommen mit Mexiko (und Kanada) fallen – und das betrifft den Grossteil der Fertigung des Werks.
Weil Trump nachgegeben hat, sieht sich der CEO Mainz darin bestätigt, auf den Freihandelsraum mit Mexiko zu setzen. Bei den übrigen Produkten wechselt Landis + Gyr derzeit Lieferanten aus, um Komponenten aus weniger gefährdeten Herkunftsländern zu beziehen. Damit dürfte sich die Lieferkette der Firma von Asien nach Nordamerika verlagern.
Die Aktien von Landis + Gyr haben sich weitgehend von dem Zollschock erholt. Was bleibt, ist die Skepsis der Anleger über die Strategieänderung – womöglich deshalb, weil sie sich hinzieht. Erst 2026 sollen die Aktien in den USA kotiert werden. Vom Wechsel des Börsenplatzes erhofft sich das Unternehmen eine höhere Bewertung.
Nur für eine Übergangsphase wird die Kotierung in der Schweiz beibehalten. Produziert wird hierzulande ohnehin nicht mehr. Der Kreis schliesst sich: In den Kellern dürfte der Schriftzug Landis + Gyr am sichtbarsten bleiben.