Sonntag, September 29

Wer ruhiger schlafen will, setzt auf Dividendentitel, und zwar von Unternehmen, die über viele Jahre verlässlich ausschütten, und das jährlich etwas grosszügiger.

Dividenden sind ein oft unterschätzter Renditefaktor – insbesondere in der langen Frist und wenn die Ausschüttungen reinvestiert werden. Das führt über die Jahre quasi zu einem Zinseszinseffekt. Albert Einstein soll diesen als das achte Weltwunder bezeichnet haben, mit dem Kommentar: «Wer ihn versteht, verdient daran, alle anderen bezahlen ihn.»

Ersichtlich wird das Phänomen, wenn man beispielsweise den amerikanischen Leitindex S&P 500 abbildet – mit und ohne reinvestierte Dividenden.

Über zwanzig Jahre hat die Kursperformance des S&P 500 zu einer Rendite von 400% auf der ursprünglich investierten Summe geführt. Sind die über diese Zeit ausgeschütteten Dividenden reinvestiert worden, hat man jedoch gar einen Profit von 650% aus dem Einsatz herausholen können.

S&P Global hat errechnet, dass Dividenden über die letzten einhundert Jahre im Schnitt knapp ein Drittel zur Gesamtrendite des S&P 500 beigesteuert haben. Der Anteil schwankt jedoch je nach Marktlage: In den börsentechnisch schwierigen Siebzigerjahren stieg der Beitrag, den Dividenden an die Gesamtrendite geleistet haben, auf einen Anteil von 50%. In den fulminanten Neunzigerjahren schmolz er auf 14%.

Grundsätzlich gilt: Je rasanter die Kursentwicklung ist, desto weniger fallen die Dividenden ins Gewicht. Harzt es an den Börsen, trumpfen die Dividendenwerte bezüglich Gesamtrendite jedoch auf.

Der Grund liegt darin, dass Unternehmen ihre Dividende meist zu halten versuchen, selbst wenn die Gewinnentwicklung vorübergehend unter Druck steht. Ausschüttungen liefern so einen konstanteren Beitrag an die Gesamtperformance als die stärker von der Konjunktur geprägte Kursentwicklung.

Dazu kommt, dass die Dividenden im Lauf der Zeit wachsen. Janus Henderson sieht 2024 die globalen Ausschüttungen erneut auf einen Rekordwert steigen. Der Anlagespezialist prognostiziert Ausschüttungen von mehr als 1700 Mrd. $.

Aristokraten und Könige

Gerade in konjunkturell unsicheren Phasen wie derzeit zählt aber nicht einzig die Höhe der Dividende, sondern ebenso die Verlässlichkeit, dass die Ausschüttung auch tatsächlich wie erwartet fliessen wird.

Für Unternehmen, die dafür einstehen, kennt die US-Finanzwelt einen Namen: Dividenden-Aristokraten. In diesem Rang steht, wer im S&P 500 vertreten ist und die Dividende seit mindestens 25 Jahren jährlich erhöht hat. Derzeit halten 66 Gesellschaften diesen Adelstitel. Sie versammeln sich gleichgewichtet im S&P 500 Dividend Aristocrats Index.

Darunter befinden sich 53 sogenannte Dividenden-Könige. Das sind Unternehmen, die ihre Dividende seit mindestens fünfzig Jahren stetig erhöht haben. Dazu zählen bekannte Namen wie Procter & Gamble (68 Jahre ungetrübte Dividendenhistorie), Coca-Cola, Johnson & Johnson (beide 62 Jahre) oder Colgate-Palmolive (61 Jahre).

Auch mehr als ein halbes Jahrhundert ungetrübte Dividendenhistorie ist jedoch keine Garantie dafür, dass die Ausschüttung eines Tages nicht doch gekappt wird.

Anfang Jahr hat die Apothekenkette Walgreens Boots Alliance ihre Dividende nahezu halbiert und damit den Adelstitel eingebüsst. Nach gar 65 Dividendenerhöhungen in Folge wurde zudem 3M im Juni aus dem S&P 500 Dividend Aristocrats Index ausgeschlossen. Dies, nachdem der Mischkonzern im Zusammenhang mit dem Spin-off seines Gesundheitsbereichs Solventum die Dividende gekürzt hat.

3M hatte die letzten Dividendenerhöhungen allerdings auch nur noch durchführen können, indem sie mehr Dividende verteilte, als sie tatsächlich an Gewinn erwirtschaftete. Ein solches Vorgehen ist meist ein Warnzeichen, zumindest wenn es nicht einem vorübergehenden Sondereffekt geschuldet ist.

In obiger Tabelle mahnt ein Payout Ratio – also das Verhältnis von Dividende zu Gewinn – zur Vorsicht, wenn der Wert nahe 100% oder gar darüber liegt. Dann alimentiert das Unternehmen die Dividende aus der Substanz und nicht mehr vollumfänglich aus dem Gewinn. Diesbezüglich stimmen derzeit die britischen Gesellschaften Legal & General sowie United Utilities vorsichtig.

Widerstandsfähiges Geschäftsmodell

Grundsätzlich zeichnen sich Dividenden-Aristokraten jedoch durch ein sehr widerstandsfähiges Geschäftsmodell aus. Nur deshalb ist es ihnen möglich, ihre Ausschüttung auch in einem konjunkturellen Abschwung und in Stresssituationen weiter zu erhöhen.

Nach Ausbruch der Pandemie mussten lediglich 7% der US-Aristokraten eine Dividendenkürzung vornehmen, während es bei Anlagestrategien, die in erster Linie auf eine möglichst hohe Dividende setzen, bis zu ein Drittel der Unternehmen traf.

Auch das tendenziell gemächliche Wachstum des Dividendenadels erlaubt es diesen Gesellschaften, mit dem Geld, das sie einnehmen, weiter die Dividende zu alimentieren, statt damit den Geschäftsausbau voranbringen zu müssen. Das macht Dividendenaktien insgesamt robuster gegen Marktverwerfungen als andere Börsensegmente.

Zuletzt zeigte sich das, als die Zinsen stiegen. Der US-Markt büsste 2022 gemessen am S&P 500 inklusive Dividenden gut 18% ein. Die Dividenden-Aristokraten verloren im Schnitt hingegen nur rund 6%, zeigten also eine Überrendite von 12 Prozentpunkten.

All diese Vorteile haben aber auch ihre Kehrseite.

S&P Global stellt in einer Studie über einen Zeitraum von fast 35 Jahren fest, dass die im S&P 500 Dividend Aristocrats Index enthaltenen Dividendentitel im Schnitt zwar weniger schwankungsanfällig sind als der Gesamtmarkt und in Verlustphasen in nahezu 70% solcher Monate weniger starke Kursrückschläge hinnehmen mussten als der Gesamtmarkt. Doch im Gegenzug haben sie in Aufschwungsmonaten in mehr als 55% der Fälle nicht mit dem S&P 500 mithalten können.

Aristokraten zurückgeworfen

Der Blick auf die vergangenen fünf Jahre macht deutlich, was das im derzeitigen Umfeld heisst:

Seit September 2019 hat der breit gefasste S&P 500 seinen Wert mehr als verdoppelt. Der S&P 500 Dividend Aristocrats Index indes hat über denselben Zeitraum kaum 70% zugelegt.

Der Grund dafür waren zwei Marktphasen, in denen die wachstumsstarken Technologiewerte vorpreschten. Zuerst angetrieben vom Digitalisierungsschub und von der lockeren Geldpolitik während der Pandemie. Danach getragen vom Hype um die künstliche Intelligenz.

Zwar hat sich der S&P 500 Dividend Aristocrats Index zwischendurch im Abschwung von 2022 deutlich robuster gehalten als die Technologietitel. Doch der Dividendenadel blieb auch fast ebenso unberührt von den beiden Boomphasen der Technologievaloren.

Die Stichworte dazu lauten FAANG – also Facebook (heute Meta), Apple, Amazon, Netflix sowie Google-Mutter Alphabet – und «Magnificent Seven» mit Unternehmen wie Nvidia oder Microsoft. Ablesbar ist ihr Einfluss am Kursverlauf des Nasdaq 100, der in fünf Jahren fast 170% avanciert ist.

Mit einem geringeren Gewicht sind die «Magnificent Seven» auch im S&P 500 enthalten – und sie erklären im Alleingang, warum der Leitindex in den vergangenen fünf Jahren den Dividendenadel ausgestochen hat: Rechnet man die sieben Aktien aus dem Index heraus (in der Grafik als S&P 500 ohne «Magnificent Seven» dargestellt), ist die Performance nahezu identisch.

Dennoch: Der sich kontinuierlich ausweitende Renditevorsprung, den sich die Dividenden-Aristokraten in der Dekade vor der Pandemie auf den breiten Markt erschaffen hatten, wurde durch den Boom der Tech-Titel nahezu eliminiert.

Langfristig im Vorteil – aber nur noch knapp

Über die letzten zwanzig Jahre weisen die Aristokraten weiterhin eine Überrendite von rund 35 Prozentpunkten gegenüber dem Gesamtmarkt auf. Der S&P 500 Dividend Aristocrats Index hat in dieser Zeit gut 680% zugelegt, der breite Markt inklusive reinvestierter Dividenden ist 645% vorgerückt.

Was zudem auffällt: In den wirtschaftlich schwierigen Zeiten seit dem Ausbruch der Pandemie hat eine alternative Dividendenstrategie besonders gelitten – der Dow Jones US Select Dividend Index.

Dieser Index versammelt die hundert Unternehmen mit der aktuell jeweils höchsten Dividendenrendite – unabhängig davon, wie vertrauenerweckend ihre Dividendenhistorie ist.

Fazit: Über die lange Frist ist die Gesamtrendite von Dividenden-Aristokraten trotz des Tech-Booms weiterhin höher als die des breiten Marktes. Deutlich besser schneidet der Dividendenadel aber vor allem gegenüber denjenigen Aktien ab, die zwar jeweils die höchste Dividendenrendite bieten, aber die Auszahlung teilweise kürzen müssen, sobald konjunktureller Gegenwind aufkommt. Tiefere, aber verlässlich steigende Dividenden bieten als Strategie offensichtlich bessere Erfolgschancen.

Wie sieht das in Europa aus?

Was in den USA ein lang erprobtes Investitionsmuster ist, lässt sich partiell auch auf den Alten Kontinent übertragen. S&P Global bietet ihr Aristokraten-Konzept auch hier als Index an – mit gewissen Anpassungen: Aufgrund der oft kürzeren Historie von europäischen Unternehmen werden bereits Titel geadelt, die eine über zehn Jahre ununterbrochene Folge von Dividendenerhöhungen aufweisen.

Derzeit umfasst der S&P Europe 350 Dividend Aristocrats Index 39 Gesellschaften mit einer ungetrübten Dividendenhistorie, darunter zwölf Schweizer Werte. Im Index sind sie alle gleich gewichtet.

Zusätzlich bietet S&P einen Index mit dem Namen Euro High Yield Dividend Aristocrats an. Hier müssen Gesellschaften eine mindestens zehn Jahre lange Historie ohne Dividendenkürzungen aufweisen. Die derzeit 39 Aktien für den Index werden jedoch nicht anhand der längsten Dividendenhistorie ausgewählt, sondern anhand der höchsten Dividendenrendite. Ausserdem fokussiert dieser Index auf die Eurozone, schliesst also britische, dänische, norwegische, schwedische und Schweizer Unternehmen aus.

Performance des europäischen Adels

Für Europa zeigt sich bezüglich Performance ein leicht anderes Bild als für US-Aktien.

Da die europäischen Börsen bezüglich Technologiewerten klar hinter den USA stehen, prägen diese Titel die Kursentwicklung des Stoxx Europe 600 insgesamt weniger – in den letzten beiden Boomphasen des Bereichs vor allem weniger positiv.

Im Gegensatz zu den US-Aristokraten hat der europäische Dividendenadel während der Korrektur von 2022 allerdings nicht besser abgeschnitten, sondern hinkte dem breiten Markt gar hinterher – die Strategie, die auf die höchsten Anfangsdividenden und nicht auf deren Steigerung fokussiert, gar deutlich.

Dividende hat an Attraktivität eingebüsst

Das hat mitunter damit zu tun, dass der Anstieg im Zinsniveau den Vorteil der Dividendenrenditen gegenüber risikolosen Anlagen hat schrumpfen lassen. Anders als zuvor in diesem Jahrzehnt macht der Bondmarkt den Dividendentiteln nun Konkurrenz.

Bis Ende 2021 rentierten zehnjährige deutsche Staatsanleihen noch negativ. In den letzten beiden Jahren stieg die Rendite jedoch auf 2,5% und mehr. Das liegt fast gleichauf mit dem S&P Europe 350 Dividend Aristocrats Index, dessen Titel im Schnitt eine Dividendenrendite von 2,7% bieten.

In Erwartung der Zinswende könnte sich die Renditedifferenz künftig jedoch wieder zum Vorteil der Dividendenwerte ausweiten.

Die Aristokraten dies- und jenseits des Atlantiks zeichnet nämlich aus, dass ihre jährlich wachsenden Ausschüttungen trotz tendenziell steigender Aktienkurse eine über die Zeit erstaunlich konstante Dividendenrendite bieten.

Über zehn Jahre haben die europäischen Dividenden-Aristokraten ihren Börsenkurs im Schnitt verdreifacht. Wie obige Grafik zur Zinswende ebenfalls zeigt, ist ihre Dividendenrendite über die gesamte Zeit dennoch nahezu stabil geblieben. Das Gleiche gilt für die US-Aristokraten, die über die Jahre nahezu konstant im Schnitt rund 2,4% Dividendenrendite abwerfen.

Auffallend an diesen Werten ist zudem, dass die Dividenden-Aristokraten nicht primär höhere Anfangsrenditen bieten als der Gesamtmarkt, womit sie auch steuerlich kaum Nachteile bergen. Was sie auszeichnet, ist die Fähigkeit, die Dividende alljährlich zu erhöhen – weitgehend unabhängig vom Konjunkturverlauf. Damit steigt die Rendite, die auf der ursprünglichen Investition erzielt wird, über die Zeit massiv.

Dank diesem Merkmal schwingen die Aktien der Dividenden-Aristokraten über die lange Frist auch in Europa obenaus. Die Titel hingegen, die primär mit dem Fokus auf eine hohe Anfangsrendite ausgewählt wurden, haben seit Ausbruch der Pandemie wie in den USA den Anschluss verloren.

Wie investieren?

Wer langfristig anlegen will, aber erwartet, dass es angesichts unsicherer Konjunkturaussichten an den Börsen vorerst holpriger wird und die Zinsen wieder etwas sinken, könnte gut beraten sein, stabilen und voraussichtlich weiter steigenden Dividenden mehr Platz im Portfolio einzuräumen. Die verlässlichen Renditen stützen die Gesamtperformance, und zwar zu einem steigenden Anteil, je geringer die Kursgewinne ausfallen.

In den USA hat sich diese Strategie langfristig bewährt – und es ist auch einfach, sie umzusetzen: In den S&P 500 Dividend Aristocrats kann beispielsweise über den in Dollar denominierten ETF ProShares S&P 500 Dividend Aristocrats mit dem Ticker NOBL investiert werden.

Offensichtlich sind die Vorteile der Strategie auch in Europa. Doch die Investition ist umständlicher: Ein ETF auf den paneuropäischen Index S&P Europe 350 Dividend Aristocrats ist nicht erhältlich. Direkt für Investments zugänglich ist der S&P Euro High Yield Dividend Aristocrats. Dies beispielsweise über den ETF von State Street, SPDR S&P Euro Dividend Aristocrats, der an der Schweizer Börse SIX unter dem Kürzel EUDV in Franken gehandelt wird und an der deutschen Börse mit dem Ticker SPYW in Euro. UBS hat mit dem S&P Dividend Aristocrats ESG einen ETF im Angebot, der die Strategie international umsetzt.

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