Montag, November 25

In einer Welt, die süchtig nach «Instant Gratification» ist, liegt der grösste Anlagevorteil in der Geduld. Qualitativ hochwertige, «langweilige» Aktien sind dauerhaft unterbewertet und bieten im Lauf der Zeit überdurchschnittliche Renditen.

English version

«Das grosse Geld liegt nicht im Kaufen oder Verkaufen, sondern im Warten»
Charlie Munger, Vize-Chairman u. «Architekt» von Berkshire Hathaway (1924–2023)

Je mehr Risiko man eingeht, desto höher ist die Rendite.

Dieser Aussage würden wir intuitiv zustimmen, und sie würde die Effizienzmarkt-Hypothese bestätigen.

Die Finanzmärkte sind in dem Sinne «effizient», dass ein Anleger auf risikobereinigter Basis nicht durchgängig höhere Renditen als die durchschnittlichen Marktrenditen erzielen kann. Einfacher ausgedrückt: Um höhere Renditen am Markt zu erzielen, muss man mehr Risiko in Kauf nehmen.

Es häufen sich jedoch die Beweise dafür, dass das, was in der Theorie, nach unserem Bauchgefühl und aus der Wissenschaft wahr sein mag, in der Praxis nicht unbedingt der Fall ist – wo Menschen von Emotionen getrieben alles andere als rational sind. Hier kommt das fehlende Mosaiksteinchen ins Spiel, das ich in der heutigen, schnelllebigen Welt so vermisse.

Ein langfristiger Horizont und eine langfristige Perspektive. Oder die stärkste Eigenschaft, die man beim Investieren haben kann:

Geduld.

Instant Gratification vs Delayed Gratification

Es stört mich. Sehr sogar.

Der Drang nach sofortiger Befriedigung (Instant Gratification), nach dem nächsten Dopamin-Kick, der durch den Aufstieg der sozialen Medien und ihrer Algorithmen noch verstärkt wird. Sie sind darauf trainiert, unsere Augen auf dem Bildschirm zu halten, uns für nur acht Sekunden zu fesseln und uns dann zum nächsten Kick weiterziehen zu lassen.

Wir wissen, dass sich dies negativ auf unser Gehirn auswirkt und Konsequenzen für unser tägliches Leben hat. Ganz zu schweigen von den Folgen für jüngere Menschen, die sich am meisten mit den sozialen Medien beschäftigen – darunter auch ich – und die dem Algorithmus zum Opfer fallen. Wir werden nur auf sofortige Befriedigung, auf Kurzfristigkeit getrimmt.

Da wir inzwischen die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfisches von neun Sekunden unterschritten haben, wird auch das Investieren immer schwieriger. Diese Kurzfristigkeit hat sich auch im Aufstieg und gewaltigen Erfolg von 0DTE-Optionen (Optionen mit weniger als einem Tag Restlaufzeit) oder der durchschnittlichen Haltedauer von Aktien an der New York Stock Exchange niedergeschlagen – und ja, ich weiss, dass Handelsalgorithmen einen Einfluss darauf haben, aber es spiegelt unser Verhalten dennoch gut.

Durchschnittliche Haltedauer für eine Aktie an der NYSE (Jahre)

Sieht man einmal von der Kritik an der Gesellschaft ab, so gibt es immer mehr Belege für die erheblichen Vorteile eines Belohnungsaufschubs – der Delayed Gratification – beim Investieren.

Er ist der grösste Trumpf, den wir als Anleger für uns beanspruchen können. Und er spiegelt sich in der Zeithorizont-Arbitrage.

Widerspruch für den Kern des Finanzwesens

Lassen Sie uns zunächst über den Einstiegspunkt der Einführung sprechen: das Risiko.

Untersuchungen von Robert Haugen von Haugen Financial Systems und Nardin Baker, Chefstratege bei Guggenheim Partners, zeigen, dass zwischen 1990 und 2011 in 21 entwickelten Märkten das am wenigsten volatile Dezil aller Aktien eine annualisierte Gesamtrendite von 8,7% erzielte, während das volatilste Dezil 8,8% pro Jahr verlor. Bei US-Aktien erzielte das am wenigsten volatile Dezil im selben Zeitraum eine durchschnittliche jährliche Rendite von 12%, während das volatilste Dezil 7% pro Jahr verlor.

Wir sind uns einig, dass zwanzig Jahre ein kurzer Zeithorizont für die Analyse sind und dass es in diesem Zeitraum schwere Bärenmärkte gab (Phänomen der «Flucht zur Qualität»?). Dennoch sind die Ergebnisse bemerkenswert, und den Forschern zufolge ist «die Tatsache, dass Aktien mit geringem Risiko höhere erwartete Renditen aufweisen, eine bemerkenswerte Anomalie auf dem Gebiet der Finanzen. Sie ist bemerkenswert, weil sie sowohl beständig als auch global ist. Sie erstreckt sich auf alle Aktienmärkte der Welt. Und schliesslich ist sie bemerkenswert, weil sie dem Kern des Finanzwesens widerspricht: dass das Eingehen von Risiken zu einer Belohnung führt.»

Andere Studien von Goldman Sachs, «Paying for Quality: Is the market Too Cynical?» sowie von BCA Research («Junk Disposal: The Quality Factor In Equity Markets») befassen sich mit dem Faktor «Qualität». Diesen Studien zufolge verringert der Besitz von Qualitätsunternehmen das Risiko und erhöht die Rendite.

Qualität übertrifft die meisten anderen Faktoren: relative Rendite verschiedener Faktoren

Wenn das die Gemüter der akademischen Drachen nicht genug erhitzt, hat eine Studie von Frazzini, Kabiller und Pedersen von der auf quantitative Analysen spezialisierten Vermögensverwaltungs-Gesellschaft AQR Capital Management ergeben, dass die Hälfte der Outperformance der Aktie von Berkshire Hathaway seit 1976 – um Warren Buffett das Sahnehäubchen zu überlassen – einfach auf den Kauf von Qualitätsaktien zurückzuführen ist.

In Kürze: Aktien mit geringerem Risiko oder Unternehmen, die eine höhere Qualität aufweisen, schneiden besser ab.

Aber warum?

Möglichkeitseffekt vs. Sicherheitseffekt

Die Menschen verblüffen mich immer wieder aufs Neue. Einer der grössten Erforscher der menschlichen Psychologie und des Verhaltens ist der dieses Jahr verstorbene Nobelpreisträger Daniel Kahneman, dessen Buch «Thinking, Fast and Slow» sehr zu empfehlen ist.

Einige Punkte zu Behavioral Finance von ihm und seinem Buch sowie dem BCA-Papier («Junk Disposal») und warum Aktien mit höherem Risiko im Vergleich zu Low Beta/Qualitätsaktien ein unnötiges Risiko darstellen:

1. Lotterieähnliche Aktien

  • Warum überbewerten die Marktteilnehmer minderwertige oder Ramschaktien und unterbewerten hochwertige Aktien? Ein Grund könnte eine Vorliebe für lotterieähnliche Titel sein. Glücksspieler scheinen bereit zu sein, einen überhöhten Preis für Lotterielose zu zahlen – über das hinaus, was die Chancen rechtfertigen würden –, da sie einen kleinen Betrag (begrenzte Nachteile) für die Möglichkeit eines grossen Gewinns (unbegrenzte Vorteile) zahlen. Wir neigen dazu, Ereignisse mit hoher Wahrscheinlichkeit zu unterschätzen und Ereignisse mit geringer Wahrscheinlichkeit zu überschätzen.
  • Marktteilnehmer haben die gleiche Eigenschaft, wenn sie dem «nächsten grossen Ding» oder «Home Run»-Aktien hinterherjagen.

2. Überbezahlen

  • Sie können bei einer Aktie 100% verlieren, aber ein Vielfaches des investierten Betrags gewinnen. Warum sollte man sich für eine Aktie mit geringem Risiko entscheiden, die das gleiche potenzielle Verlustrisiko für das Kapital birgt, aber ein viel geringeres Aufwärtspotenzial hat? Die Anleger sind vielleicht der Meinung, dass hochwertige Unternehmen – die in der Regel stabil, rentabel und teurer sind – nicht die gleiche Art von extremen Gewinnen erzielen können und sogar anfällig für eine Mean-Reversion sein könnten, da ihr Erfolg offensichtlich und allgemein bekannt ist.
  • Die Marktteilnehmer neigen dazu, für vermeintliches Zukunftspotenzial zu viel zu bezahlen.

3. Erhöhung der relativen Überlebenschancen

  • Stellen Sie sich vor, Ihr Startup hat Probleme und eine neue Technologie könnte Ihre Erfolgschancen um 10% erhöhen. Wenn Ihre Chancen 50/50 wären, wäre eine Steigerung um 10% wertvoll. Wenn Ihre Chancen jedoch fast bei null liegen, würden Sie wahrscheinlich viel mehr bezahlen, um sie auf 10% zu erhöhen. Ähnlich verhält es sich, wenn Sie eine Erfolgschance von 90% haben, würden Sie eine Erhöhung auf 100% mehr schätzen als eine Erhöhung von 50 auf 60%.
  • Die Marktteilnehmer neigen dazu, für Extreme mehr zu bezahlen – also zum Beispiel für eine risikoreiche Aktie mit grossem Zukunftspotenzial («bei 10%») oder eine Anleihe («bei 100%») im Vergleich zu einer hochwertigen Aktie desselben Unternehmens («bei z.B. 90%»), da die Anleihe einen bestimmten sowie «sicheren» Coupon und Rückzahlungswert hat, während eine Aktie immer noch eine Aktie mit Ungewissheit über den Aktienkurs und die Dividenden ist. Man sucht also entweder eine extreme Möglichkeit für Erfolg oder extreme Sicherheit.

Gehen wir etwas näher auf das letzte und wichtigste Konzept ein, das in Kahnemans Buch und in der nachstehenden Grafik dargestellt ist.

Es geht um die Möglichkeit und die Sicherheit eines Ergebnisses. Die Schlussfolgerung ist einfach (aus dem Buch): Die Entscheidungsgewichtung, die Menschen den Ergebnissen zuweisen, ist nicht identisch mit den Wahrscheinlichkeiten dieser Ergebnisse. Unwahrscheinliche Ergebnisse werden übergewichtet; das ist der Möglichkeitseffekt. Nahezu sichere Ergebnisse werden im Vergleich zur tatsächlichen Sicherheit untergewichtet; das ist der Sicherheitseffekt.

Objektive Wahrscheinlichkeit und subjektive Bedeutung

Wenn man dies mit der Aktienauswahl vergleicht, stellt die gepunktete Linie Ihre Erfolgswahrscheinlichkeit dar, während die durchgezogene, orange Linie die psychologische «Entscheidungsgewichtung» für jede Erfolgswahrscheinlichkeitsstufe zeigt.

Im Bereich von 0 bis 30% überbewerten Sie die Erfolgschancen und zahlen zu viel, ähnlich wie bei Lotterielosen oder Aktien mit hohem Risiko aber starkem Zukunftspotenzial. Zwischen 30% und 100% ist die Zahlungsbereitschaft zu gering, wobei der Wert zwischen 90 % und 100 % stark ansteigt. Kahnemans Diagramm zeigt einen Anstieg der Entscheidungsgewichtung um 6 Punkte bei einer Erhöhung der Wahrscheinlichkeit von 50 auf 60%, aber einen Sprung um 29 Punkte bei 90 bis 100%.

Diese Psychologie impliziert, dass Beinahe-Sicherheit – also zum Beispiel 90% Wahrscheinlichkeit – unterbewertet ist. Hier finden Sie Aktien mit niedrigem Beta und hoher Qualität, die stabile Renditen bei einer gewissen Unsicherheit bieten. Anleger sind entweder auf der Suche nach Home-Run-Investitionen (Lotterielose) oder nach Anlagen, die zu 100% «sicher» sind (wie Anleihen) und unterschätzen daher den Bereich dazwischen – was für uns eine Chance darstellt.

Das ist einer der Gründe, warum es die Qualitätsanomalie gibt und warum Qualitätsaktien langfristig besser abschneiden als andere. Sie sind strukturell unterbewertet, weil sie «langweilig» aber doch unsicher sind.

Kommen wir nun zum fehlenden Mosaiksteinchen und zur Zeithorizont-Arbitrage.

Der Haken gleich zu Beginn: Niemand will langsam reich werden.

Suchen Sie nach «langweiligen» Qualitätsunternehmen

Der letzte Teil der Einführung lautete: Geduld.

Man muss über einen langen Zeitraum in qualitativ hochwertige Unternehmen investiert sein, in Gewinner, die immer wieder gewinnen, und man muss sich an das Konzept der Zeithorizont-Arbitrage halten. Das geht über das hinaus, was die meisten Anleger verkraften können. Sie liegt nicht in der kurzsichtigen, vierteljährlichen Performance, auf die sich viele Marktteilnehmer konzentrieren und für die sie Anreize erhalten, sondern in den Jahren, wenn nicht sogar in Jahrzehnten.

Die Schlussfolgerung aus all dem ist einfach, aber verblüffend. Anstatt durch den Kauf riskanter Aktien eine Outperformance anzustreben, sollten Anleger nach «langweiligen» Qualitätsunternehmen suchen, das heisst nach Aktien von Unternehmen, mit denen man kein schnelles Geld machen kann und bei denen man Geduld braucht, um den Markt zu übertreffen.

Hier liegt die Schwierigkeit für unser Goldfischgehirn und unseren nach Dopamin süchtigen Verstand auf der Suche nach dem nächsten Nervenkitzel. Wir müssen einfach abwarten und unser Kapital mit «langweiligen» Unternehmen wachsen lassen.

Schliesslich liegt das grosse Geld nicht im Kaufen oder Verkaufen, sondern im Warten.

Und ich habe Ihnen deutlich gezeigt: Langweilig ist gut.

Thierry Borgeat

Thierry Borgeat ist einer der Gründungspartner von arvy, einer Investmentgesellschaft in Zürich, die sich auf globale Qualitätsaktien spezialisiert. Er hat den überwiegenden Teil seiner Karriere damit verbracht, bei Privatbanken und Investmentboutiquen verschiedene Anlagestrategien mit Schwerpunkt auf Aktien und globalen Makrostrategien zu verwalten. Thierry hat einen Bachelor-Abschluss in Finanzen und ist CFA-Charterholder.
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