Sonntag, November 24

Das Schweizer Fussballnationalteam der Frauen hat ein bewegtes Jahr hinter sich. Mit einer neuen Trainerin kletterte es aus dem Loch, besiegte jüngst Frankreich. Nun wartet Deutschland. Die frühere Captain Lara Dickenmann sagt, was sie positiv stimmt.

Das Schweizer Nationalteam steckte vor einem Jahr in der Krise. Seither ging es aufwärts – am Freitag geht das Team mit einigem Selbstvertrauen in die Partie gegen Deutschland, obwohl die Bilanz mit 17 Niederlagen in 18 Spielen desaströs ist.

Der letzte Zusammenzug hat sicher dazu beigetragen, dass die Schweizerinnen mehr Selbstvertrauen haben. Dennoch bleibt Deutschland eine Vorreiterin im Frauenfussball; schon wenn man die Anzahl Spielerinnen in den beiden Ländern vergleicht, ist der Unterschied deutlich. Aber für die Schweiz geht es darum, die Heim-EM 2025 vorzubereiten, an dem weiterzuarbeiten, was sie angefangen hat.

Nämlich?

Sie wollen von einer soliden Defensive aus Nadelstiche setzen, das hat man beim 1:1 gegen Australien und beim 2:1-Sieg über Frankreich gut gesehen. Sie haben sich entschieden, etwas pragmatischer zu spielen. Das Resultat steht nicht im Vordergrund, aber es kann der Stimmung helfen. Ich spüre, dass der letzte Zusammenzug für das Team und den Staff sehr wertvoll war, die Energie war von Anfang an da.

Es gibt im Schweizer Team erfahrene Spielerinnen wie Lia Wälti, Ramona Bachmann und Ana-Maria Crnogorcevic, aber auch junge wie Iman Beney, Smilla Vallotto, Naomi Luyet. Die Balance scheint zu stimmen.

Wenn man ein perfektes Team zusammenstellen würde, fehlten noch ein paar Spielerinnen, die gerade auf dem Zenit sind. Bachmann und Crnogorcevic sind schon fast darüber – was nicht heisst, dass sie nicht ihre Leistung abliefern können. Aber man sagt, zwischen 25 und 32 spiele man am besten. Das ist auch für das Teamgefüge neben dem Platz wichtig. Aber es macht Freude, zu sehen, wie die Jungen integriert werden, wie Naomi Luyet mit ihrem Traumtor gegen Frankreich. Oder wie stark Lia Wälti zurückkam nach der langen Verletzungspause. Das war für mich der zentrale Hebel beim letzten Zusammenzug.

Schweiz - Frankreich | Highlights - Frauen-Nati Testspiel | SRF Sport

Es wurde in den vergangenen Jahren viel über die unterschiedlichen Führungsstile der Nationaltrainer gesprochen: die strengen Voss-Tecklenburg und Inka Grings aus Deutschland, der Däne Nils Nielsen, bei dem die Spielerinnen grosse Freiheiten hatten. Die Schwedin Sundhage scheint eine Mischung zwischen fordernd und locker zu sein.

Ich habe mit vielen Skandinavierinnen zusammen gespielt. Sie haben eine flache Hierarchie, aber eine krasse Einstellung. Das waren mit die Kolleginnen, die am härtesten gearbeitet haben, auch physisch. Pia hat eine klare Linie, sie weiss genau, was es braucht, und fordert es. Dann ist es ihr egal, wer du bist. Aber ich habe das Gefühl, die Schweizerinnen haben diese Ansprüche auch an sich selber, sie wollen eine erfolgreiche EM spielen. Das Wichtigste an diesem Prozess finde ich, dass du kommunizierst, was du willst. Und Pia ist eine gute Kommunikatorin. Das war bei vergangenen Trainern und Trainerinnen nicht immer der Fall, wenn man den Spielerinnen zuhört.

Die Probleme des Teams im Umgang mit der Trainerin Grings waren ein Grund, weshalb es vor einem Jahr ganz anders aussah. Das Team schoss kaum Tore und war nach hohen Niederlagen wie dem 1:7 gegen Spanien verunsichert. Wie haben Sie das Team damals erlebt?

Es war alles sehr negativ. Man wusste ja damals schon, dass es eine Heim-EM geben würde, und ich hätte mir gewünscht, dass mehr Euphorie da wäre, auch um das Team herum. Ana-Maria ist eine gute Freundin von mir, und sie hatte damals eine schwierige Zeit, im Verein und im Nationalteam. Natürlich haben wir darüber geredet, aber ich versuche immer, die verschiedenen Seiten einer Geschichte zu sehen. Ein 1:7 gegen Spanierinnen kann passieren, wenn die mal in Fahrt kommen, nehmen sie dich auseinander. Aber in solchen Momenten merkst du eben, dass es auch neben dem Platz nicht zusammenpasst. Dann ist es wichtig, dass die Personen, die Entscheidungen treffen können, die richtigen Schlüsse ziehen. Und das haben sie gemacht.

In Form der Entlassung von Grings und der Verpflichtung von Sundhage.

Die Verpflichtung von Pia war ein Riesen-Move. Ich glaube, die Schweizer sind sich gar nicht bewusst, was für eine wahnsinnige Legende sie ist!

Spielerinnen wie Wälti und Crnogorcevic haben damals beim Verband Druck gemacht, dass Grings gehen muss. Haben die Führungsspielerinnen mittlerweile mehr Macht, als Sie es hatten?

Das würde ich so nicht sagen. Wir Spielerinnen haben uns in der Vergangenheit auch zusammengetan und gesagt, wir würden uns etwas anderes wünschen. Vielleicht ist es heute einfach mehr mediatisiert. Es ist ein Mittel, das du als Spielerin nicht sofort benutzen willst. Sondern nur, wenn man kein anderes mehr findet, wenn die internen Gespräche nichts gebracht haben.

Wenn jemand auf und neben dem Platz so unentbehrlich ist wie Lia Wälti, gibt das viel Verantwortung – und Macht.

Bei Lia ist diese Macht gut aufgehoben. Sie würde diese nicht für sich oder für etwas Negatives nutzen. Das macht sie aus, so war sie schon immer. Sie war in der Bundesliga in Potsdam schon mit Anfang 20 Captain. Der Trainer kam aus der früheren DDR und arbeitete auch mit Methoden von dort. Es war nicht einfach als junge Captain, bei ihm für etwas einzustehen, und es kam auch nicht immer gut an. Aber Lia ist eine natürliche Leaderin. Und wenn sie etwas wahrnimmt, geht sie nicht davon aus, dass es allen Spielerinnen gleich geht. Diese Rolle bedeutet viel Verantwortung, vielleicht viel Macht, ja, aber sie kostet auch viel Energie.

Schweizer Fussballlegende

Lara Dickenmann

Die 38-Jährige spielte von 2002 bis 2018 für das Schweizer Nationalteam, war Captain, Rekordspielerin und -torschützin. Mit Olympique Lyonnais gewann sie die Champions League, mit dem VfL Wolfsburg mehrere deutsche Meisterschaften. Im Frühling 2024 kündigte sie nach drei Jahren als General Manager bei den Grasshoppers. Zurzeit ist sie «Blick»-Kolumnistin und Botschafterin der EM 2025.

Mit dem ehemaligen Nationalspieler Johan Djourou und der Weltfussballerin Nadine Angerer als Goalietrainerin sind zwei bekannte Persönlichkeiten zum Staff gestossen. Was können diese bewirken?

Djourou ist eine Erscheinung, mit seiner Grösse, dem Charisma und seiner positiven Energie. Seine Karriere verschafft ihm Respekt. Aber er geht auch offen und neugierig auf die Leute zu, das packt einen. Wenn ich für ihn spielen würde, hätte ich automatisch eine andere Energie. Und gegen Angerer habe ich früher gespielt, das war furchteinflössend! Aber nun habe ich sie kennengelernt, und sie ist so eine tolle Persönlichkeit. Ausserdem bringt sie eine andere Perspektive mit aus Deutschland, sie bewegt sich im Frauenfussball mit einer anderen Selbstverständlichkeit.

Wie meinen Sie das?

Wir Schweizerinnen haben die Tendenz, uns kleiner zu machen als nötig. Angerer trainiert nun drei Goalies, die alle noch jung sind. Sie will ihnen zu verstehen geben, dass sie sehr viel Qualität haben, das finde ich toll. Bei mir hat das funktioniert, als Martina Voss-Tecklenburg 2012 Nationaltrainerin wurde – wir haben sie blöd angeschaut, als sie davon gesprochen hat, wie viel Qualität im Team herrsche. Es ist wertvoll, wenn solche Leute dir den Rücken stärken.

Bei den Deutschen ist gerade die Ikone Alexandra Popp nach 14 Jahren aus dem Nationalteam zurückgetreten. Dieses hat bewegte Jahre hinter sich: Es schied an der WM 2023 in der Vorrunde aus, dann war die Trainerin Voss-Tecklenburg krankgeschrieben, im Sommer gewann man Olympiabronze. Wo steht der deutsche Frauenfussball?

Es ist eine spannende Zeit. Als ich 2015 nach Deutschland wechselte, war die Bundesliga die beste Liga von Europa, vielleicht auch der Welt. Danach stagnierte alles, auch nach dem Olympiasieg 2016 entstand kein grosser Hype. Vielleicht haben sie sich etwas zu lange auf ihrer Vorreiterposition ausgeruht. Dann gaben England und Spanien Gas, teilweise auch Frankreich und Italien, das hat die Deutschen wieder wachgerüttelt. Die Bundesliga ist nun wieder eine spannende Liga, attraktiv, sehr ausgeglichen, es hat ein paar neue Teams dabei, die vorne mitmischen.

Und im Nationalteam?

Dass Popp aus dem Nationalteam zurücktritt, kann ich verstehen. Nach dem, was sie körperlich und psychisch alles gegeben hat für den Fussball. Sie hinterlässt ein Machtvakuum. Zwar ist es in Deutschland kein grosses Problem, neue Talente zu finden. Aber es braucht Zeit, bis sich das Vakuum wieder füllt und sich die Hierarchie wieder einpendelt.

Im Letzigrund wird gegen Deutschland wieder ein Zuschauerrekord erwartet. Hat der Fussballfan neben laufend neuen Formaten im Klub- und Nationalteam-Fussball überhaupt noch Platz für die Frauen?

Ich glaube, es gibt Potenzial für neue Fans. Bisher war es so, dass Leute, die sich im Männerfussball nicht so zu Hause gefühlt haben, im Frauenfussball einen Halt gefunden haben. Das fand ich immer sehr schön, und das soll bestehen bleiben: ein familiäres Umfeld, mehr Mädchen und Frauen, die queere Community. Oder Menschen, die Fan eines Vereins sind und dann auch dessen Frauenspiele schauen gehen. Das ist ein Plus für uns, für die Sichtbarkeit, es legitimiert den Sport.

Wie schafft man mehr Sichtbarkeit?

Identifikation ist sehr wichtig. Du kannst als Verein die Frauen und die Männer in der Berichterstattung gleich behandeln. In England machen sie das recht gut, Chelsea und Arsenal zum Beispiel. Sie geben den Spielerinnen eine Plattform, entwickeln Formate, die die Spielerinnen neben dem Platz zeigen. Ich hätte es als Spielerin zwar nicht cool gefunden, da mitzumachen, aber jetzt konsumiere ich es gerne. Den Vereinen gibt das mehr Reichweite, eine neue Zielgruppe, mehr Einnahmen. Für sie ist es ein Business, aber es ist auch von der emotionalen Seite her wertvoll.

Im Zuge der EM in der Schweiz wurde viel Geld für Legacy-Projekte gesprochen, also um im Mädchen- und Frauenfussball nachhaltig etwas zu bewirken. Sehen Sie bereits positive Zeichen, dass etwas Konkretes entsteht?

Ja, dieses Gefühl habe ich. Viele Programme wie die Trainerinnenausbildung sind schon angelaufen. In den Host-Citys wird extrem gut gearbeitet. Das Problem in der Schweiz ist ein wenig, dass jeder für sich etwas macht. Die Menschen stecken so viel Energie rein, und nun fehlt noch jemand, der das zusammenführt und bündelt. Dann bin ich mir sicher, dass viel mitgenommen werden kann von dieser EM.

Sie sind Botschafterin der Heim-EM, haben sonst seit dem Abgang bei GC keinen konkreten Job. Was sind Ihre beruflichen Pläne?

Ich lasse alles auf mich zukommen. Dennoch habe ich jeden Tag gearbeitet, seit ich bei GC aufgehört habe, auch wenn ich damit kein Geld verdient habe. Anfangs ging es darum, die letzten drei Jahre zu reflektieren und herauszufinden, was ich gerne mache. Ich habe angefangen zu scouten, das gefällt mir. Mein Ziel war, möglichst viele Spielerinnen auf der ganzen Welt kennenzulernen. Auch die Nachwuchsarbeit interessiert mich, ich habe mich dort weitergebildet, bin am C-Diplom und habe online eine Scouting-Ausbildung gemacht. Wenn ich bis nächsten Sommer wieder einen Job habe, stimmt das für mich.

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