Mittwoch, August 27

Donald Trump beunruhigt und fasziniert sie gleichzeitig. Die amerikanische Musikerin und Künstlerin Laurie Anderson, die am Zürcher Theaterspektakel aufgetreten ist, spricht im Interview aber auch über Segen und Fluch neuer Technologien.

Eine andere hätte ihren Auftritt abgesagt. Laurie Anderson aber erscheint am Montagabend auf der Seebühne des Zürcher Theaterspektakels, obwohl sie ihren rechten Arm in eine Schlinge legen muss. Die Musikerin hat sich jüngst einer Operation unterzogen, weil beim Spielen auf ihrer elektrischen Geige, die viel schwerer sei als eine hölzerne, ein Nerv lädiert wurde.

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Aber der 78-jährigen Amerikanerin kommt zum einen zugute, dass sie schon immer flexibel und offen für technische Hilfsmittel war. Sie legt die Geige nun auf die Knie und zupft die Saiten mit den Fingern oder spielt mit verkürztem Bogen. Vor allem aber behilft sie sich mit Computer und Keyboard. So kann sie Ambient-Tracks einspielen, die ihre Kollegin, die Geigerin Martha Mooke, virtuos umspielt.

Zum andern ist Laurie Anderson nicht nur Musikerin, sondern auch Filmerin, Performerin, Erzählerin. In ihrem Zürcher Auftritt erweist sich die Musik als atmosphärischer Background für einen Reigen von Geschichten und Anekdoten aus Trumps Amerika, der sich wie eine Mitternachts-Radioshow ausnimmt. Zuvor aber hat sie sich noch Zeit genommen für ein Interview.

Laurie Anderson, Sie haben sich in Videos oft mit einem Laurie-Anderson-Klon gezeigt. Wie kann ich nun sicher sein, dass Sie die richtige Laurie Anderson sind?

Sie werden es nie erfahren!

Wie sind Sie auf das Klonen gekommen?

Ursprünglich habe ich mich damit beschäftigt, weil man mir in der Musikindustrie immer wieder gesagt hat: Du brauchst einen Brand, du brauchst ein klareres Image! Ich habe mir dann einen Spass daraus gemacht, mein Image von einem Klon repräsentieren zu lassen.

Sehen Sie heute vermehrt klonartige Wesen in der Gesellschaft?

Tatsächlich wirken all die Leute, die regelmässig in der Öffentlichkeit auftreten und immer wieder das Gleiche repräsentieren müssen, wie Klone ihrer selbst.

Gilt das auch für Leute wie Donald Trump? Wenn wir glauben, dass er lügt, liegt es vielleicht daran, dass seine Klone sich widersprechen?

Das könnte ich mir vorstellen. Er scheint einerseits einfach gestrickt, andrerseits ist er so seltsam.

Haben Sie eine Erklärung für sein oft sehr eigenartiges Auftreten?

Sein Vater war autoritär und unerbittlich – kurz: ein Albtraum. Ein Wunder, dass Donald Trump überhaupt überlebte. Er wurde selbst zum Monster, aber das konnte wohl gar nicht anders sein. Damit möchte ich sein Verhalten allerdings nicht rechtfertigen.

Was für einen Einfluss hat der Präsident auf Ihr eigenes Leben?

Ich bin durch seine Kulturpolitik sehr direkt betroffen. Trump hat die kulturelle Landschaft total verändert. Der öffentliche Diskurs wird auch dadurch erschwert, dass immer mehr Begriffe aus staatlichen Dokumenten verbannt werden; zum Beispiel «immigrants», «trans», «female», «diversity», «Gulf of Mexico». Wer mit dem Regime nicht einverstanden ist, wird als Terrorist angesehen. Redefreiheit und künstlerische Freiheit gelten so kaum noch.

Wie kämpfen Sie nun für die künstlerische Freiheit?

Ich durfte im Frühling am Wiener Festival Republik der Liebe, das der Schweizer Theaterregisseur Milo Rau leitet, einen Vortrag halten. Weshalb wurde ich eingeladen? Weil ich als Amerikanerin bezüglich des erstarkten Faschismus nun über Informationen aus erster Hand verfüge. Später sollte ich auch in Rom über die Verhältnisse in den USA sprechen. Ich wusste zuerst nicht recht, was ich sagen sollte. Dann hat mich der neue amerikanische Papst Leo IV. inspiriert. Mein neues Idol.

Weshalb bewundern Sie ihn? Kennen Sie ihn persönlich?

Nein, aber er kommt immerhin aus meiner Heimatstadt Chicago. Mir gefällt, wie er unserem Vizepräsidenten J. D. Vance, der erst kürzlich zum Katholizismus konvertierte, Paroli bietet. J. D. Vance spricht gerne von Augustinus’ Idee einer «Ordnung der Liebe». Demnach hat man seine Familie am stärksten zu lieben, dann die Verwandten, die Nachbarn, die Landsleute – dann aber eigentlich niemanden mehr. Das gefällt natürlich J. D. Vance, dem die Immigranten in den USA oder die Opfer in der Ukraine egal sind. Bei einem persönlichen Treffen hat ihm der Papst aber deutlich widersprochen. In der Liebe gebe es keine Hierarchie, hat er ihm erklärt. Das gefällt mir so gut, dass ich als Buddhistin jetzt selbst mit dem Katholizismus liebäugle.

Sie halten zwar kritische Vorträge in Europa, aber engagieren Sie sich auch in den USA?

Es ist momentan sehr schwierig. Es gibt zwar sehr viel Widerstand in den Köpfen von uns Künstlern, Literaten, Filmemachern und Musikern. Aber zu unserer grossen Schande sprechen wir in den USA kaum darüber.

Wie erklären Sie sich diese Mutlosigkeit?

Trump streicht allenthalben Kulturgelder. Einer Theatergruppe wurden kürzlich die Subventionen gestrichen. Man hat ihr dann finanzielle Unterstützung nochmals unter einer Bedingung angeboten: dass sie die Themen Militär und Christentum auf die Bühne bringe . . . Die Leute haben auch Angst. Es wurden bereits Künstler von der Polizei aufgefordert, kritische Kollegen aufzulisten.

Wäre das nicht ein Grund mehr, den Widerstand auf die Strasse oder jedenfalls in die Öffentlichkeit zu bringen?

Ich empfehle im Moment niemandem, auf die Strasse zu gehen. Die Strassen sind von Truppen besetzt, das gilt jedenfalls für Washington (DC), Los Angeles, Chicago, wo Soldaten mit Gewehren und Panzern patrouillieren.

Sind Sie selbst mit dem neuen Regime in Konflikt geraten?

Nein, direkt nicht. Es ist mehr so eine Art Selbstzensur – die man aber auch einfach als besondere Sensibilität bezeichnen kann.

Wie gehen Sie mit dieser Situation um? Sie wirken ja weder ernüchtert noch deprimiert, sondern überraschend fröhlich.

Ich lebe in einer desaströsen Zeit, aber ich bin trotzdem glücklich. Ich bin irgendwie auch dankbar, diese Zeit zu erleben, es ist alles so seltsam und so faszinierend. Wenn alles auseinanderfällt – vielleicht spürt man dann das Glück, zu existieren, umso mehr. Künstlerisch konzentriere ich mich aber immer mehr auf mich selbst. Das ist schon etwas traurig, das zuzugeben, aber es ist so.

Ist die Maga-Bewegung auch eine Reaktion auf 9/11?

Der ganze Überwachungsapparat, der seither aus Gründen der Sicherheit aufgefahren wurde, hat wohl das Gefühl, verletzlich zu sein, eher verstärkt als verringert. Umso grösser ist die Bereitschaft, an einen Populisten zu glauben, der sagt: Macht euch keine Sorgen, ich beschütze euch.

In Ihrem Film «Heart of a Dog» haben Sie die Erfahrung Ihres Hundes, der aus dem Himmel plötzlich von einem Raubvogel angegriffen wurde, mit der Erfahrung der New Yorker Bevölkerung am 9. September 2001 verglichen. Plötzlich kam das Böse von oben.

Das war für die Amerikaner ein Schock, weil wir das im Unterschied zu vielen Europäern zuvor nie erlebt hatten, dass man uns so angreifen konnte. Wir dachten, unser Kontinent sei unverletzlich. Damals ging ein Urvertrauen verloren.

Hat sich New York jemals erholt von diesem Schock?

Den Schock hat man überwunden. Aber man weiss jetzt um die eigene Verletzlichkeit, was ja auch etwas Gutes hat. Wir können jetzt andere Opfer, deren Länder bombardiert werden, besser verstehen.

Es gibt viele Künstler, die in New York gelebt haben, die nun die Nase rümpfen und finden, die Stadt sei kein kulturelles Mekka mehr, sondern nur noch ein Hotspot des Tourismus. Stimmt das?

Alle Städte sind heutzutage doch zu touristischen Hotspots mutiert – das gilt auch für London, Berlin, Paris und sicher auch für Zürich.

Haben die Städte an kultureller Bedeutung eingebüsst, braucht es im Zeitalter digitaler Vernetzung gar keine konkreten Zentren mehr?

Das denke ich nicht. Ich glaube im Gegenteil, dass internationale städtische Netzwerke die Kultur heute fördern und beschützen müssen, weil die Nationalstaaten ihre Grenzen vermehrt dichtmachen wollen, was den kulturellen Austausch behindert. Tänzer, Musiker, Theater, Orchester – sie alle profitieren heute von urbanen Netzwerken. Ich selbst sage nicht mehr: Ich gehe nach Deutschland oder Frankreich, sondern: Ich gehe nach Berlin oder Paris.

Ihre künstlerischen Anfänge reichen ins New York der achtziger Jahre zurück. Wie hat sich die Metropole seither gewandelt?

Als ich angefangen habe, Musik zu machen, habe ich mich nicht gross ums Business gekümmert. Seither aber haben sich Kunst und Musik immer mehr auf den Markt ausgerichtet. Es gibt Ateliers mit dreissig Mitarbeitern und mehr, in denen Luxusgegenstände hergestellt werden. In den Kunstakademien werden Massen von jungen Leuten ausgebildet, die sich zwar nicht alle als Künstler durchsetzen, aber dafür Jobs als Designer finden. Und schauen Sie sich um: Das Design ist überall besser und die Welt damit schöner geworden. Das ist der Vorteil einer industriellen Kunstproduktion. Die Schönheit hat sich ausgebreitet.

Als Frau waren Sie in der Kunstszene der achtziger Jahre in der Minderheit. Hat sich Ihr feministisches Engagement von damals für die Frauen gelohnt?

Wir Frauen müssen weiterkämpfen. Es gibt zwar viele gute Musikerinnen, Künstlerinnen oder Schauspielerinnen. Ich bin aber immer wieder überrascht, wie selten Frauen auch in der Kulturszene Führungspositionen innehaben. Es gibt auch wenige Dirigentinnen, wenige Theater- oder Filmregisseurinnen. Zu solchen Jobs muss man Frauen noch vermehrt ermuntern.

Hip-Hop und R’n’B prägen heute den globalen Pop, Hollywood ist immer noch das Mekka des Kinos. Wie erklären Sie sich die andauernde kulturelle Dominanz der USA?

Oh, ich mag Rap, ich mag Eminem, und ich mag auch Kanye West, auch wenn der jetzt verrückt geworden zu sein scheint. Rap ist eine Form des Erzählens, die mich sehr fasziniert. Und der Black Music, dem Hip-Hop, dem Gospel, dem Soul, dem Jazz verdanken wir so viel Swing. Was die Macht von Hollywood betrifft, bin ich mir nicht so sicher. Angesichts der Streaming-Kultur scheint der Einfluss allmählich etwas zu schwinden. Und was mich als Künstlerin besonders freut: Dank neuen Technologien ist es möglich geworden, Filme auch am eigenen Computer und mit kleinen Budgets zu produzieren.

Sie waren neuen Technologien gegenüber immer sehr aufgeschlossen und daran interessiert. Ist das auch im Falle von KI so?

Ich liebe KI. Aber sie kann auch ein Fluch sein. Technologien sind ja an sich nie schlecht oder gut. Ich persönlich benutze KI die ganze Zeit, heute auch beim Schreiben. Als Musikerin arbeite ich allerdings schon seit etwa fünfzig Jahren mit KI. Ich benutze Synthesizer und Rhythmusmaschinen, die Effekte und ganze Patterns generieren.

Damals haben Sie die KI als Tool gebraucht, aber jetzt spielt sie sich immer mehr selbst als Künstlerin auf?

Ja, jetzt, da man die KI mit Namen und Gesichtern versieht, rufen die Leute plötzlich: Ach, die KI wird uns Menschen verdrängen. Ich habe aber weniger Angst davor, dass Computer menschlicher werden, als dass Menschen ihrerseits zu Maschinen mutieren und die Kraft der Empathie verlorengeht.

Tatsächlich verändert KI doch die humanistischen Voraussetzungen der Kunst!

Man muss lernen, mit ihr umzugehen. Sie birgt die Gefahr, dass Urheberschaft und Authentizität verlorengehen. Bei journalistischen Texten weiss man oft nicht mehr, ob sie von einem Menschen oder von der KI geschrieben worden sind. Selbst am Radio oder am Fernsehen kann ein Text mit irgendeiner Stimme und einem Gesicht kombiniert werden.

Eigentlich wissen Sie jetzt auch nicht sicher, ob Sie von einem echten Journalisten interviewt werden oder von einem Roboter mit geklonter Stimme?

Ich glaube, Sie sind echt.

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