Mittwoch, März 19

An der Syrien-Geberkonferenz werden weitere 5,8 Milliarden Euro gesprochen. Die Sanktionen werden weiter gelockert – trotz den Massakern an Zivilisten.

Die Lage in Syrien ist unübersichtlich. Die neue Führungsriege rund um Ahmed al-Sharaa hat Staatsreformen in die Wege geleitet, sich mit den Kurden geeinigt und gibt sich zumindest vordergründig weltoffen. Gleichzeitig sind die Spannungen zwischen Loyalisten des ehemaligen Regimes von Bashar al-Asad und der neuen Regierung immens. Bei Kämpfen und Massakern sind vor zehn Tagen mehr als tausend Personen ums Leben gekommen, der Grossteil von ihnen Zivilisten.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Vor diesem explosiven Hintergrund fand am Montagnachmittag in Brüssel eine Geberkonferenz für Syrien statt. Es war bereits die neunte seit Ausbruch des Bürgerkriegs – aber die erste seit dem Sturz von Asad. Umso grösser waren die Erwartungen.

Unter dem Strich dürften die neuen Machthaber in Damaskus zufrieden auf das Ergebnis der Konferenz schauen. Die Geberländer stellen weitere 5,8 Milliarden Euro – davon knapp drei Viertel als Zuschüsse – zur Verfügung, um die Folgen des Bürgerkrieges abzumildern. Die Gelder sollen mehrheitlich über internationale Organisationen verteilt werden, um die Transparenz zu erhöhen. Ein Teil geht zudem an die Nachbarländer, die ebenfalls stark betroffen sind. Vertreter von rund siebzig Staaten und internationalen Organisationen waren nach Brüssel gereist – darunter die Schweiz, die 60 Millionen Franken in Aussicht stellte.

Kallas’ Balanceakt

Für den Wiederaufbau des Landes ist entscheidend, dass die Sanktionen weiter zurückgenommen werden. Eine schrittweise Lockerung hatten die EU-Aussenminister bereits am 25. Februar beschlossen. Sie betonten damals aber ausdrücklich, dass die Strafmassnahmen notfalls innert Kürze wieder eingeführt werden könnten. Die Frage stellte sich, ob angesichts der jüngsten Gewalteskalation ein Marschhalt angezeigt sei.

Die Antwort lautet: Nein – oder zumindest noch nicht. Die Lockerungen der Massnahmen im Energie-, im Transport- und im Bankensektor werden vorderhand weitergeführt. Die EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas gab sich gegenüber den Medien alle Mühe, den Balanceakt als die derzeit beste Option darzulegen. Man müsse den Menschen im Land Hoffnung geben, wenn man neue Gewalt verhindern wolle, sagte sie. Die EU werde das Vorgehen der neuen Regierung aber weiterhin genau beobachten, insbesondere bei der juristischen Aufarbeitung der Massaker.

Was machen die Amerikaner?

Die Lockerungen der europäischen Sanktionen seien freilich nur ein Aspekt, betont Muriel Asseburg von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik. Mindestens so bedeutsam seien die amerikanischen Sanktionen – und diese sind bislang nur für humanitäre Güter aufgehoben worden. Sämtliche Firmen, die jetzt in Syrien investieren wollen, sind also von den Restriktionen der amerikanischen Regierung betroffen. Ausnahmegenehmigungen sind zwar möglich, doch das entsprechende Prozedere durchzuführen, können sich nur Grossunternehmen leisten.

«Ob die amerikanische Regierung den europäischen Weg einschlägt oder am harten Sanktionsregime festhält, ist nicht absehbar. Bislang hat die Administration das noch nicht entschieden – sie konzentriert sich auf den Kampf gegen den IS und als Vermittlerin zwischen der Regierung und dem arabisch-kurdischen Bündnis SDF», sagt die Nahost-Expertin. Dass für gewisse Lockerungen ein Präsidialentscheid genüge und für andere ein Kongressbeschluss notwendig sei, erhöhe die Komplexität noch zusätzlich. Die amerikanische Vertreterin machte an der Brüsseler Geberkonferenz keine konkreten Hilfszusagen.

Europa hat stärkere Interessen

Insgesamt ist es nicht erstaunlich, dass die Europäer forscher auf geregelte Beziehungen mit den neuen syrischen Machthabern drängen als die Amerikaner. Denn Europa ist aus geografischen Gründen stärker von sogenannten Spillover-Effekten betroffen und hat demnach ein vitaleres Interesse an einem funktionsfähigen Staat Syrien.

Das gilt vor allem für die Migrationspolitik. Weit über eine Million Syrer sind während des Bürgerkriegs nach Europa geflüchtet – mit Abstand am meisten nach Deutschland. Der politische Druck, dass ein Teil der Geflüchteten so bald wie möglich wieder zurückreist, ist dort vor allem rechts der Mitte gross.

Eine Bemerkung der EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen lässt in diesem Zusammenhang aufhorchen: «1,5 Millionen Syrer könnten bereits in diesem Jahr in ihr Land zurückkehren», sagte sie an der Geberkonferenz und bezog sich auf Zahlen des Flüchtlingskommissariats der Uno (UNHCR). Aber ist das auch realistisch?

Nur wenige kehren aus Europa zurück

«Meines Erachtens ist die Prognose zwar optimistisch, aber nicht völlig aus der Luft gegriffen», sagt die Syrien-Expertin Asseburg. Wenn man die Zahl der seit dem Asad-Sturz zurückgekehrten Flüchtlinge bis Ende Jahr hochrechne, sei die Grössenordnung plausibel. Alles hänge jedoch davon ab, ob das Land politische Stabilität finde und der wirtschaftliche Aufbau zügig voranschreite. Im derzeitigen Zustand habe Syrien schlicht nicht die Möglichkeiten, Millionen von heimkehrenden Bürgern eine ausreichende Lebensgrundlage bereitzustellen, so Asseburg.

Selbst wenn die Zahl von 1,5 Millionen realistisch sein sollte: Seit dem Regimewechsel sind fast alle Rückkehrer, rund 350 000, aus den Nachbarländern Syriens gekommen. Hingegen werden die allermeisten, die es bis nach Europa geschafft haben, zumindest vorderhand dort bleiben wollen. Zu gross war der Aufwand für Flucht und Integration – und zu unterschiedlich ist der jetzige Lebensstandard im Vergleich zur Heimat.

Exit mobile version