Montag, Februar 24

Dem Schweizer Multitalent schwebte eine Synthese von Architektur, Kunst und Design vor. Das Zentrum Paul Klee in Bern erschliesst den Kosmos Le Corbusier mit einer umfassenden Ausstellung. Und diskutiert auch die Kontroverse um den Kunst-Allrounder wegen seiner Haltung zum Faschismus.

Er war alles zugleich und in Personalunion: Architekt, Designer, Künstler und Schriftsteller. Und einer der wichtigsten Impulsgeber der modernen Architektur in der Schweiz. Le Corbusier hatte einen unglaublichen Output. Der Art-Workaholic hinterliess ein Werk der Superlative. Dies nicht allein in qualitativer wie quantitativer Hinsicht, sondern eben auch, was seine schiere Diversität betrifft.

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Le Corbusier hat über siebzig Gebäude in der ganzen Welt gebaut, siebzehn davon gehören heute zum Unesco-Weltkulturerbe. Die architektonischen Projekte, die er nie realisieren konnte, gehen in die Hunderte. Seine Hinterlassenschaft umfasst rund vierzigtausend Pläne und Architekturzeichnungen. Hinzu kommen etwa vierhundertfünfzig Gemälde, vierzig Skulpturen sowie zahllose Druckgrafiken, Collagen und Zeichnungen. Überdies hat er vierzig Bücher geschrieben und Hunderte von Zeitungsartikeln verfasst.

Le Corbusier war ein Multitalent. Ausgebildeter Architekt war er hingegen keineswegs. Vielmehr wurde der 1887 in La Chaux-de-Fonds unter dem Namen Charles-Édouard Jeanneret geborene Kunst-Allrounder zum Dekorateur von Uhrengehäusen ausgebildet. Er hatte kein technisches, sondern ein künstlerisches Verständnis von Architektur. Auch eine ausgesprochen experimentelle und teilweise durchaus idealistische Auffassung dessen, was Architektur am Schnittpunkt zur Kunst sein kann. Viele seiner Gebäude könnte man als begehbare Raumskulpturen beschreiben – man denke etwa an die Kapelle von Ronchamp.

Ordnung der Dinge

Die Kunst selbst war für Le Corbusier vor allem ein Experimentierlabor: ein Rückzugsort, an dem er frei mit Form und Farbe komponieren konnte. Gerade in seinen architektonisch aufgebauten Skulpturen zeigt sich sein kreativer Zugang zur Architektur. Sie hat er immer wieder komplett neu zu erfinden verstanden. Diese Fähigkeit zur schöpferischen Agilität geht einher mit einem kompromisslosen künstlerischen Freiheitsdrang. Le Corbusier hat Themen der Moderne gesetzt und aufgeworfen wie kaum ein anderer Künstler oder Architekt seiner Zeit.

Dazu gehört der radikale Bruch mit der Tradition ebenso wie der Wunsch, die Kunst aus dem Korsett der Akademie zu befreien. Die Architektur bezog er auf deren prototypische Anfänge in der Antike zurück. Überdies hat sich Le Corbusier immer auch nichtwestliche Kunst und Kulturen als Inspirationsquelle erschlossen.

Über all dem steht der Wille zur Reduktion auf das Wesentliche. Beflügelt wurde diese Vision einerseits durch die damals neue Kunstform der Abstraktion, anderseits aber auch durch die Suche nach einem neuen Bewusstsein und Lebensgefühl – einem «esprit nouveau», wie es Le Corbusier selbst ausdrückte.

Der neue Geist richtete sich vor allem gegen das Ornament und das akademische Denken, wie es Le Corbusier an der École d’Art in La Chaux-de-Fonds vermittelt worden war. Der Dekorateur von Uhrengehäusen wandte sich gegen das Dekor. Von dem erlernten Handwerk aber nahm er etwas Wesentliches mit: Er machte gleichsam das Uhrengehäuse und damit die abstrakten Begriffe von Zeit und Raum zu seiner Ordnung der Dinge.

Es sind diese beiden Parameter, mit welchen sich in Le Corbusiers Denken der Mensch die Welt erschafft, erschliesst und strukturiert. Die Ordnung von Zeit und Raum ist in seiner Vorstellungswelt auch ein grundlegendes künstlerisches wie architektonisches Prinzip. Seiner Überzeugung gemäss setzt der Mensch mit der Kunst, auch der Baukunst, dem chaotischen Kosmos etwas entgegen. Mit Kultur erst macht er die Welt bewohnbar.

Bessere Welt

Mit dieser Auffassung schrieb sich Le Corbusier in die Avantgarden seiner Zeit ein. Diese waren nach dem Ersten Weltkrieg vom Wunsch beseelt, die Welt von Grund auf neu aufzubauen und vor allem auch besser zu bauen. Le Corbusier war aktiv in einer Epoche der grossen Umbrüche, der politischen Verwerfungen, der gesellschaftlichen Umwälzungen, der wirtschaftlichen Instabilität sowie des technischen Fortschrittsglaubens, aber auch der Utopien. Als Avantgardist fand er sich in bester Gesellschaft bedeutender Kunstschaffender wieder, unter ihnen nicht zuletzt Paul Klee. Das diesem gewidmete Museum in Bern richtet jetzt Le Corbusier eine umfassende Schau aus.

Im Zentrum Paul Klee wird anschaulich, dass Le Corbusier von der Idee getrieben war, eine Synthese aller Künste zu verwirklichen. Die Ausstellung macht an seinem facettenreichen Werk das Überschreiten der Gattungsgrenzen von Kunst, Architektur und Design hin zum Gesamtkunstwerk sichtbar.

Vor allem aber wird hier auch deutlich, wie sehr man Le Corbusier nur immer ausschnitthaft vor sich hat: als Architekt von Gebäuden etwa, wie sie in Zürich oder in La Chaux-de-Fonds anzutreffen sind, oder als Schöpfer von ikonischen Gemälden des Purismus, wie sie in Schweizer Museen hängen. Erstmals seit rund vierzig Jahren in der Schweiz zeigt das Zentrum Paul Klee nun den ganzen Le Corbusier. Dabei geht auch der aufgrund seiner Sympathien für den Faschismus umstrittene Le Corbusier nicht vergessen.

Antisemitische Äusserungen

In den letzten Jahrzehnten gerieten Le Corbusier und sein Werk wiederholt in die Kritik. Im Zentrum der Debatte standen seine ideologische Haltung zum Faschismus, sein Verhalten im Zweiten Weltkrieg zum Vichy-Regime in Frankreich sowie seine antisemitischen Äusserungen. Kontrovers diskutiert wird bis heute auch Le Corbusiers Städtebau. Die Ausstellung bereitet den jüngsten Forschungsstand dazu transparent auf.

Le Corbusier verstand es, sich mit radikalen Positionen ins Gespräch zu bringen. Im Zeichen des Fortschritts übte er bissige Kritik an den etablierten Architekten und Kunstakademien. Er selbst geriet als namhafter Vertreter der Architekturmoderne ins Visier der extremen Rechten sowie der Vertreter von Tradition und nationaler Identität. Der internationale Stil galt als «bolschewistisch» oder «jüdisch». Diese Haltung wurde vom Nationalsozialismus und später auch vom italienischen Faschismus übernommen.

In den zwanziger Jahren griff Le Corbusier in privaten Briefen vereinzelt antisemitische Stereotype und Ressentiments auf. Öffentlich äusserte er sich allerdings nie antisemitisch und trug auch nicht zur rassistischen Propaganda der Zeit bei.

Um Aufträge zu erhalten, pflegte Le Corbusier opportunistische Haltungen zu totalitären Ideologien. So war er in der Sowjetunion zur Zeit Stalins tätig und suchte zeitgleich den Kontakt zu Mussolini, der bis in die dreissiger Jahre ein Förderer moderner Architektur war. Grundsätzlich war Le Corbusier aber nonkonformistisch eingestellt und blieb seinen künstlerischen, architektonischen und städtebaulichen Überzeugungen stets treu.

Befreiung von allen Regeln

Die Schau fokussiert auf Le Corbusier als Künstler sowie Le Corbusier als Architekt und zeigt die grosse Schnittmenge der beiden Gattungen in seinem Schaffen auf: das Zeichnen und Entwerfen und das Forschen. Man blickt beim Betrachten seiner Zeichnungen und Entwürfe Le Corbusier gleichsam über die Schulter beim Experimentieren. Man erhält aber auch einen Blick auf seine mannigfaltigen Inspirationsquellen, wenn man seiner umfangreichen Sammlungen von Postkarten aus aller Welt oder von Steinen und anderen «objects trouvés» ansichtig wird.

Zu entdecken sind zum Beispiel die Reisezeichnungen des jungen Charles-Édouard Jeanneret. Sie veranschaulichen, mit welcher Leidenschaft sich der Autodidakt, der sich ab 1920 das Pseudonym Le Corbusier zulegte, auf seinen Reisen durch Europa als Zeichner und Aquarellist mit der abendländischen Kulturgeschichte in Gestalt architektonischer Stadtlandschaften auseinandersetzte.

Eine Überraschung stellen die präsentierten Skulpturen dar, die Le Corbusier in Zusammenarbeit mit dem Künstler Joseph Savina realisierte. Während des Zweiten Weltkriegs schrieb Le Corbusier mangels Aufträgen nicht nur zahlreiche Bücher, sondern zeichnete auch faszinierende skulpturale Entwürfe, die dann ab 1945 in rund vierzig Holzskulpturen übersetzt wurden.

Für viele eine Entdeckung dürften auch die Vortragszeichnungen darstellen. Le Corbusier war ein leidenschaftlicher Vermittler seiner Ideen und ständig unterwegs im Flugzeug oder Ozeandampfer und selbst per Zeppelin, um weltweit vor Hunderten, ja Tausenden von Menschen aufzutreten. Die dabei entstandenen Zeichnungen waren so beliebt beim Publikum, dass sie Le Corbusier nach seinen Vorträgen regelrecht aus der Hand gerissen wurden.

Spektakulär sind überdies seine Entwürfe für die farbenfrohen Tapisserien, die für die Innenausstattung der Räume des indischen Chandigarh gedacht waren. Sie sind Teil einer Planstadt, in der er die Idee einer komplexen Synthese von Architektur, Kunst, Design und Städteplanung in die Realität umsetzte.

Nicht zuletzt offenbaren die Collagen aus seinem Spätwerk eine wenig bekannte, wilde Seite seines künstlerischen Schaffens. In diesen Arbeiten befreite sich Le Corbusier schliesslich von allen Regeln. Es entstanden überaus gestische und intuitive Bildfindungen von berückender Spontaneität.

«Le Corbusier – Die Ordnung der Dinge», Zentrum Paul Klee, Bern, bis 22. Juni. Katalog: Fr. 39.–.

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