Montag, November 25

Richard Roscoe / Getty

Jahrhundertelang schlummerte die Tropeninsel Montserrat vor sich hin. Bis der Soufrière Hills ausbrach und die Bewohner evakuiert werden mussten. Fast drei Jahrzehnte später haben die zurückgekehrten Insulaner erstaunliche Eigenschaften entwickelt.

Wäre der Soufrière-Hills-Vulkan ein Mensch, würde man ihn einen Zyniker nennen. Denn was, wenn nicht Zynismus, war es, dass der Vulkan just ausbrach, als die schmucke Hauptstadt Plymouth wieder aufgebaut war, nachdem sie sechs Jahre zuvor von einem Hurrikan fast vollständig verwüstet worden war?

Nur: Soufrière Hills ist kein Mensch, und so erinnern sich die Bewohnerinnen und Bewohner der Karibikinsel nicht mit Bitterkeit oder Wut an seinen Ausbruch und seine zerstörerische Gewalt, sondern eher mit einem Gefühl von Natur- und Schicksalsergebenheit. Schliesslich wussten alle, dass der Vulkan nur schlief, wahrhaben wollte das jedoch niemand. Wie sonst ist es zu erklären, dass sich das gesamte gesellschaftliche Leben der hundert Quadratkilometer kleinen Tropeninsel im Süden abspielte, wo der Vulkan liegt?

Montserrat: ein brandgefährliches Leben

Die Hauptstadt Plymouth befand sich sogar an der Westflanke des Vulkans, die sanft zum Meer abfällt. Hier lag auch ein geschäftiger Hafen und sogar ein langes Dock für Kreuzfahrtschiffe. Damals symbolisierte der Vulkan nicht Schrecken und Verwüstung, sondern er war ein begehrtes Ausflugsziel, und seine Hänge waren der Brotkorb der Insel. Auf dem nährstoffreichen Boden pflanzten die Bauern Gemüse an, Karotten, Gurken, Tomaten, Kohl, aber auch Zuckerrohr und Tabak. Vergessen und verdrängt war, dass der Vulkan bereits in der Vergangenheit grosse Zerstörung angerichtet hatte, letztmals im 16. Jahrhundert. Doch niemand wollte und konnte sich daran erinnern, denn seither war der rund tausend Meter hohe Vulkan nie mehr ausgebrochen.

Ein Ausbruch auf Raten

Als der Vulkan Soufrière Hills schliesslich am 18. Juli 1995 mit einem Knall seinen Schlot freisprengte und Asche vom Himmel auf Plymouth sank, versetzte das die Inselbewohner zuerst einmal ins Staunen. Tequan Roach lebte damals mit seinen Eltern in Plymouth und ging in die erste Klasse. Anfangs habe niemand daran gedacht wegzuziehen, sagt er. Fasziniert, nicht ängstlich hätten sie die Aschewolken beobachtet, den Explosionen zugehört, die Erdbeben gefühlt. Manchmal habe er eine Atemschutzmaske in der Schule getragen, manchmal sei die Schule ausgefallen.

Es war ein Ausbruch auf Raten. Über Monate wuchs über einem Förderschlot ein Lavadom, bis dieser im März 1996 eine kritische Grösse erreichte und die steilen Flanken abzubrechen begannen. Eine mehrere tausend Meter hohe Aschesäule stieg vom Schlund des Schichtvulkans empor, pyroklastische Ströme, also ein heisses Gemisch aus Gasen und vulkanischem Material, rasten mit Geschwindigkeiten von bis zu 100 km/h ins Tal, bis ans Meer.

Tequan Roachs Familie war zu diesem Zeitpunkt bereits weg, genauso wie die anderen Bewohnerinnen und Bewohner, die im Süden der Insel gewohnt hatten, und das war die grosse Mehrheit der Bevölkerung. Die meisten von ihnen wurden evakuiert, hausten in Notunterkünften und Kirchen im Nordteil der Insel. Am 25. Juni 1997 schleuderte der Vulkan in einem weiteren grossen Ausbruch glühendes Gestein aus seinem Schlund, und pyroklastische Ströme wälzten sich über bisher unberührtes Gebiet, bedeckten den Flughafen und verschiedene Dörfer und löschten die Leben von neunzehn Bauern aus, die sich geweigert hatten, ihre Höfe und Felder zu verlassen. Angst verbreitete sich nun auf der ganzen Insel. Was, wenn die nächsten Ausbrüche die ganze Insel und alles Leben darauf auslöschen würden? An eine Rückkehr nach Plymouth war nicht mehr zu denken, und der Vulkan wütete weiter.

Zu einer inselweiten Zerstörung sollte es zwar nicht kommen, aber bis 1998 bebte und spuckte der Vulkan in regelmässigen Abständen weiter und machte mit Aschesäulen, die bis zu 8000 Meter erreichten, auf sich aufmerksam. Schlammströme, Asche und pyroklastische Ströme legten sich in bis zu zwölf Meter hohen Sedimentschichten über Plymouth. Glühende Ströme aus Gestein, Asche und Lava zogen Bahnen der Verwüstung über das einst fruchtbare Land.

Nach und nach schien der Vulkan jedes Leben auf dem Südteil der Insel zu ersticken, die Tourismusindustrie kollabierte, das Grün der üppigen Vegetation wurde von Aschegrau überdeckt. Bis heute sind die grauen Narben, die der Soufrière Hills hinterlassen hat, auf der wieder ergrünten Insel zu erkennen und ziehen sich wie lange Bänder bis zum Meer. Einige Bewohner versuchten sich im Nordteil der Insel eine neue Grundlage aufzubauen, Tausende jedoch verliessen die Insel. Da Montserrat bis heute ein britisches Überseegebiet ist, flohen viele nach England, wo ihnen geholfen wurde.

Traumatisiert durch die Naturgewalten

Auch Vernaire Bass, die zur Zeit des Vulkanausbruchs ein Teenager war, siedelte nach England über, um dort zu studieren und Arbeit zu finden. Sie sagt: «Nicht nur die Infrastruktur auf der Insel war zerstört. Es gab auch keine Jobs mehr und keine Zukunft.»

Bis vor kurzem leitete sie das Nationalmuseum auf der Insel. Ein Leben in der Karibik bedeute ein Leben im Angesicht ständiger Zerstörung, sagt Vernaire Bass und vernichtet damit mit wenigen Worten die Traumvorstellung vom weissen Sandstrand mit den Kokospalmen, die im Westen über diesen Teil der Welt vorherrscht.

Montserrat ist nicht die einzige Vulkaninsel in der Region. Hier stösst die Karibische Platte auf die Nord- und die Südamerikanische Platte, was Reibung erzeugt und in unvorhersehbaren Abständen Erdbeben und Vulkanausbrüche auslöst. Als wäre das nicht genug, muss die Bevölkerung von Montserrat und anderen karibischen Inseln «jedes Jahr von Juni bis November mit Hurrikans rechnen, die alles vernichten, was wir uns aufgebaut haben», sagt Vernaire Bass. «Das bedeutet ein Leben in ständiger Unsicherheit.»

Viele Inselbewohner und -bewohnerinnen – nicht nur hier, sondern in der ganzen Karibik – leiden deshalb an PTSD, einer posttraumatischen Belastungsstörung.

1989 tobte der Hurrikan «Hugo» über die Karibik und richtete riesige Verwüstung an, auch in Montserrat. Danach wurde während sechs Jahren die Hauptstadt Plymouth wieder aufgebaut und die Infrastruktur der Insel wieder errichtet. Gebaut wurden ein neues Spital und neue Schulen, und als alles wieder hergerichtet war, brach der Vulkan aus. Vernaire Bass sagt: «Ohne die Hilfe aus England wäre die Insel heute wohl menschenleer. Wir hätten schlicht nicht das Geld gehabt, alles von neuem aufzubauen.»

Im vergangenen Jahr fegten vierzehn starke Stürme und acht Hurrikans über die Karibik. Auf einigen Inseln richteten sie grossen Schaden an. So traf der Hurrikan «Ian» im September 2022 auf Kuba. Über drei Millionen Kubanerinnen und Kubaner waren direkt betroffen, Zehntausende verloren ihr Zuhause. Steigt auf der Erde die Temperatur um zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit, dann nimmt laut Klimaforschern auch die Wahrscheinlichkeit von Hurrikans, Stürmen und schweren Fluten in der Karibik um den Faktor fünf zu. Das bedeutet als Szenario für die Zukunft die Zerstörung von Lebensraum und die Vertreibung von Millionen von Menschen. Auch Montserrat wurde im Jahr 2022 von einem schweren Hurrikan getroffen. «Fiona» traf am 16. September 2022 auf die Insel, fegte jedoch vor allem über Plymouth, die ehemalige Hauptstadt, die bereits vom Vulkan zerstört worden war.

Trotz all diesen latenten Gefahren ist Vernaire Bass nach mehr als zwei Jahrzehnten in Grossbritannien vor vier Jahren auf die kleine Karibikinsel zurückgekehrt. «Ich sehnte mich nach meiner Heimat und wollte an der Entwicklung der Insel teilnehmen», sagt sie. Wenn die grossgewachsene Frau mit den violett gefärbten Locken durch das Nationalmuseum führt, wird deutlich, dass Montserrat so viel mehr ist und war als eine Insel, auf der Gefahren lauern.

Für Vernaire Bass symbolisiert ihre Insel mitunter Resilienz, Widerstand und Lebensfreude. Die Zeit hat ihr zudem trotz dem weiterhin rauchenden Vulkan ihre alte Schönheit zurückgegeben. Wie ein grüner Kristall liegt die Insel im tiefblauen, glasklaren karibischen Meer. Wild ranken sich die Büsche, Bäume und Gräser wieder die Vulkanflanken herauf, und aus der Luft, mit einer Drohne oder von einem Helikopter aus, erkennt man noch die obersten Stockwerke des verschütteten Plymouth. Die steinernen Überreste von Zuckermühlen, Kirchen und Farmhäusern erinnern zudem an eine noch weiter zurückliegende Zeit, an Plantagebesitzer, die auf der Insel Zuckerrohr, Limonen und Baumwolle anbauten.

Vom Sklaven zum Helden

Montserrat hat wie alle Karibikinseln eine Geschichte, die von der Machtgier der Europäer und von Sklavenhandel erzählt. Hierher kamen zuerst die Iren, dann stritten sich die Briten und die Franzosen um die Insel, und schliesslich trugen die Briten den Sieg davon und schafften aus Afrika Sklaven nach Montserrat, wo sie Schwerstarbeit verrichten mussten. Eine Ausstellung im Nationalmuseum widmet sich der Kolonialherrschaft. Sie gibt aber nicht ihren dunklen Seiten Raum, sondern den Helden, die daraus hervorgegangen sind. Etwa dem einstigen Sklaven Olaudah Equiano. Er wurde im damaligen Königreich Benin entführt und auf der anderen Seite des Atlantiks mehrfach verkauft. So war er zuerst im Besitz eines Offiziers der britischen Marine, wurde dann an einen Schiffskapitän verkauft, der ihn einem Handelsmann auf Montserrat weiterverkaufte. 1766 kaufte sich Equiano frei, zog nach England, wo er heiratete und sich für das Ende der Sklaverei einsetzte. Seine Geschichte ist deshalb so interessant, weil er eine der wenigen Autobiografien aus der Sicht eines Sklaven geschrieben hat: «The Interesting Narrative of the Life of Olaudah Equiano». Inzwischen wurde im englischen Cambridge gar eine Brücke nach ihm benannt.

Genauso viel Platz wie dem ehemaligen Sklaven Olaudah Equiano räumt das Nationalmuseum einem Helden der jüngeren Vergangenheit ein, dem Sänger Mighty Arrow. Vernaire Bass sagt: «Der Kampf von Equiano und schliesslich die Freiheit der Sklaven hat es möglich gemacht, dass Leute wie Arrow sich auf der Insel entfalten und weltberühmt werden konnten.» Mighty Arrow startete mit politischen Calypso-Songs, wie sie in der ganzen Karibik gespielt werden, ging dann bald in den Soca über, also Tanzmusik mit schnellen Beats, die weniger an eine Region gebunden ist. Der Song «Hot Hot Hot» erschien auf Arrows Album von 1982. Er wurde zu einem weltweiten Hit, und Arrow wurde gar von der britischen Königin zum Ritter geschlagen. Er war jedoch auf der Insel nicht nur als Musiker, sondern auch als gewiefter Geschäftsmann bekannt. Inspiriert von der Mode, die er auf seinen Tourneen in der ganzen Welt sah, gründete er sein eigenes Modelabel, dessen Kleider er in Plymouth verkaufte.

Doch Montserrat brachte nicht nur eigene Musiklegenden hervor, sondern lockte auch internationale an. Sir George Martin, der Produzent der Beatles, auch «der fünfte Beatle» genannt, gründete 1979 in der Hauptstadt Plymouth die Air Studios. Mighty Arrow produzierte hier seinen Song «Hot Hot Hot», und Musikgrössen aus der internationalen Rock- und Pop-Szene wie Elton John, die Rolling Stones, The Police oder Eric Clapton nahmen hier ihre Alben auf. Damals diente ihnen der Vulkan als Ausflugsziel, das Meer als willkommene Abkühlung, und sie waren weit weg von Fans und Trubel. Doch 1989 endete die internationale Musikgeschichte auf Montserrat abrupt. Der Hurrikan «Hugo» verwüstete die Insel und fast die gesamte Infrastruktur, auch die Air Studios wurden schwer beschädigt und schlossen für immer. Arrow jedoch liess sein Wohnhaus und seinen Laden wieder aufbauen. Dann, sechs Jahre später, folgte die nächste Katastrophe.

Besuch im Sperrgebiet

Wo einst Arrows Laden war, sieht man heute nur noch das obere Stockwerk eines Gebäudes, die Fenster zerborsten, die Läden verbogen, die Türen morsch. Die pyroklastischen Vulkanströme haben sich wie ein dicker Teppich über die Stadt gelegt, ihre Geräusche, ihr Leben verschluckt.

Bis heute bleibt Plymouth genauso wie zwei Drittel der kleinen Insel und ein Umkreis von zehn Seemeilen um den südlichen Teil der Insel Sperrgebiet. Mit einer Spezialbewilligung und einem Tour-Guide kann man sich die verschüttete Stadt jedoch anschauen. Tequan Roach, der beim Ausbruch des Vulkans ein Kind war, führt heute Touristen in die ehemalige Hauptstadt. Unheimlich und beklemmend fühlt sich die graue, menschenleere Geisterstadt oder vielmehr diese oberste Stadtschicht, die ihr der Vulkan gelassen hat, heute an. Eine staubige Strasse führt in das einst pulsierende gesellschaftliche Zentrum der Insel.

Die Natur hat sich die Stadt zurückerobert, hat sie zuerst eingeäschert, doch mit der Zeit hat sich das Leben durchgesetzt. Büsche und Bäumchen ranken aus zerborstenen Fenstern, Gräser wachsen auf Hausdächern, die graue Strasse ist von grasgrünen Bändern gesäumt. «Angelo’s» steht in rot vergilbten Lettern auf einer Ruine. Doch vom ehemaligen Lebensmittelladen ist nur noch das obere Drittel der Bogenfenster sichtbar. «Chrysalis Ambience» heisst es auf der Tafel eines Gebäudes, in das man heute ebenerdig in den dritten Stock eintreten kann. Ein umgekippter Tisch, ein rostiger Staubsauger, ein kaputtes Kinderfahrrad, ein Bild zweier Liebenden, eine Schreibmaschine: All die Dinge im Innern des Gebäudes sind mit einer grauen Ascheschicht bestäubt, und doch erinnern sie an eine Zeit, in der hier gelebt, gearbeitet und geliebt wurde.

Die Ausbrüche des Soufrière-Hills-Vulkans haben nicht nur Zerstörung gebracht, sie haben auch Neues erschaffen. Der Pier für die Kreuzfahrtschiffe am einstigen Hafenbecken von Plymouth war früher über hundert Meter lang. Heute ist davon nur noch ein kleiner Fortsatz, eine Art Plattform aus Beton mit rostigen Klampen, zu sehen. Die Massen aus vulkanischem Material, die sich den Vulkan hinuntergewälzt hatten, haben die Küstenlinie hundert Meter ins Meer verschoben, wo Wasser war, ist heute neues Land, das genutzt werden kann. Auf einer solchen neuen Fläche, wo die Menschen früher in der Bucht schwammen, liegt nun ein Golfplatz mit Blick auf den Vulkan und das Meer.

Eine gefährliche Situation

Wie ein schnaubendes Tier, ein grollendes Etwas zeichnet sich der Vulkan heute als tausend Meter hohe Kulisse am Himmel hinter der eingeäscherten, ehemaligen Hauptstadt ab. Rauchwolken steigen aus seinem Schlund, die Luft riecht nach Schwefel. Unweit des Vulkans, mit direktem Blick darauf, befindet sich das Montserrat Volcano Observatory, ein Zentrum, von dem aus internationale Wissenschafter den Vulkan ständig beobachten. Einer von ihnen ist José Manuel Marrero, ein spanischer Vulkanologe, der nicht nur den Vulkan, sondern auch das Leben und die sozialen Veränderungen auf der Insel zu verstehen versucht. Von den einst über 11 000 Inselbewohnern lebten heute nur noch ungefähr 3000 auf Montserrat, die meisten Geflohenen seien nicht zurückgekehrt, sagt der Forscher.

Das gesamte Leben hat sich nun ins nördliche Drittel der Insel verschoben, wo neue Häuser gebaut wurden und ein neuer Hafen in Planung ist. Doch statt darüber nachzudenken, wie man das Sperrgebiet zumindest teilweise für den Tourismus oder die Landwirtschaft nutzen könnte, bevorzugten es die Bewohnerinnen und Bewohner, diesen Teil der Insel auszublenden und abzutrennen, wie ein krankes Glied. Als ob sie so die Erinnerung an die Zerstörung und die Zukunftsängste auslöschen könnten. Was also für den Vulkanologen Marrero ein faszinierendes Schauspiel und ein vorzügliches Studienobjekt ist, scheint für viele Inselbewohner ein Schatten, eine dunkle Vorahnung weiterer Zerstörung zu bleiben. Schliesslich ist der Vulkan seit seinem Ausbruch Mitte der 1990er Jahre nie in den Schlaf zurückgekehrt. Mehrfach kam es zu Eruptionen, und in den vergangenen Jahren wuchs der Dom des Vulkans wieder um Hunderte von Metern, um dann zu kollabieren, das letzte Mal 2010. Die Gefahr eines neuen grossen Ausbruchs bestehe, sagt der spanische Vulkanologe: «Wir wissen nur nicht, wann er stattfinden wird. Aber die Situation ist gefährlich.»

Das Geschenk der Anpassung

Wie zur Bestätigung bebt die Erde wenige Tage später am frühen Morgen mit einer Stärke von 5,8 auf der Richter-Skala. Das Epizentrum liegt unweit von Montserrat entfernt. Der Touristenführer Tequan Roach spürt es und auch Vernaire Bass. Manchmal vergesse er den Vulkan, sagt Tequan Roach. «Wenn er sich wieder regt und Asche spuckt, dann gehen wir in seine Nähe und schauen uns das Schauspiel an. Wer hierbleiben will, muss lernen, mit dem Vulkan zu leben, sich mit ihm zu arrangieren.»

Vernaire Bass jedoch sagt, sie bereue es ab und zu, dass sie aus England zurück in ihre Heimat gekommen sei. Die Insel habe sich verändert. Wenige Familien bestimmten, in welche Richtung sich die Insel verändern dürfe und solle, wer davon profitieren könne und wer nicht. Neue Ideen scheiterten so oft an alten Strukturen. Jeder kenne jeden, Korruption sei Teil des Alltags. Wer auf so begrenztem Platz, den er sich mit so wenigen Menschen teile, lebe, der habe jedoch zumindest eine Garantie: Hier wird nichts gestohlen, Kriminalität existiert auf Montserrat nicht. «Wohin wollte einer denn fahren, wenn er mein Auto klauen würde?», fragt Vernaire Bass rhetorisch. Und die Angst vor dem Vulkan? Die Angst, wieder alles zu verlieren, alles zurücklassen zu müssen? Manchmal spüre sie sie, doch der Vulkan habe ihr auch ein Geschenk gemacht: «Er hat mich gelehrt, mich anzupassen. Ich kann überall überleben, wenn ich Nahrung und eine Unterkunft habe. Das unterscheidet uns Inselbewohner wahrscheinlich von den Europäern: Wir sind widerstands- und überlebensfähig» – nicht trotz der Gefahr, sondern dank ihr.

Die SRF-Journalistin Karin Wenger segelt seit August 2022 mit ihrem Partner und ihrem Segelboot «Mabul» durch die Karibik. Ihren Podcast «Boatcast Mabul» finden Sie unter www.sailingmabul.com.

Exit mobile version