China zieht in der ehemaligen britischen Kronkolonie die Schraube an. Jetzt wird ein angeblich aufrührerischer Song verboten. Ein heikles Unterfangen.
«Befreit Hongkong!», «Die Revolution unserer Zeit! », «Möge das Volk herrschen, stolz und frei» – der Liedtext strotzt vor revolutionärem Feuer. Er würde gut in ein Werk der Kommunistischen Partei Chinas passen. Könnte man meinen. Aber Achtung: Es handelt sich um Auszüge aus «Glory to Hongkong», der inoffiziellen Hymne der studentischen Protestbewegung, die bis 2019 wiederholt Teile von Grossbritanniens früherer Kronkolonie lahmlegte.
Nachhall im virtuellen Raum
Hongkongs chinahörige Regierung hat das Aufbegehren der Jugend inzwischen abgestellt. Ein drakonisches Sicherheitsgesetz bietet Handhabe, um Kritik und Unmutsäusserungen jedweder Art zu unterbinden. Wer es dennoch wagt, landet im Gefängnis. Zehntausende flüchteten in den letzten Jahren ins Ausland.
Während die Behörden den Widerstand auf der Strasse praktisch ausgemerzt haben, hallt er im virtuellen Raum lautstark nach. Der Begriff «Glory to Hongkong» liefert auf Google und anderen Suchmaschinen inbrünstig vorgetragene Versionen des angeblich aufrührerischen Lieds: Tausende von Kundgebungsteilnehmern in einer Mall, die rechte Hand auf der Brust, in der Linken das Handy, um sich selber zu filmen. Musikerinnen und Musiker tragen pandemiebedingt Schutzmasken, mit einer Mundöffnung für Blasinstrumente. Vertont wurde der Song in seiner Urversion von einem Untergrund-Orchester.
Anonymer Komponist und ein Untergrund-Orchester
Ein Hongkonger Gericht qualifizierte den Song unlängst als «Waffe», die starke Emotionen entfachen und die Bevölkerung erneut zu kriminellen Akten anstacheln könne. Ein Lied mit hohem Gefahrenpotenzial also.
In einem aufsehenerregenden Urteil hat die Justiz das Abspielen, Aufführen, Verkaufen, Drucken, Verbreiten, Reproduzieren der Hymne Anfang Mai untersagt. Höchststrafe bei Verstössen: lebenslange Haft. Die Rekursinstanz kippte damit ein Urteil eines rangtieferen Gerichts. Dieses hatte ein Verbot noch abgelehnt, weil es gegen die Rede- und Meinungsfreiheit verstosse.
Der bis heute anonyme Komponist soll sein Werk selber als wirksame Waffe im teilweise gewalttätigen Kampf gegen Chinas Einverleibung von Hongkong bezeichnet haben.
Ein Ausweg bleibt
Schon vor dem jüngsten Urteil hat die Polizei Leute verhaftet, die das Lied öffentlich abspielten. Gestärkt durch die Justiz, werden Hongkongs Behörden nun auf die Internetkonzerne losgehen. Diese hatten sich nämlich geweigert, das Liedgut freiwillig zu blockieren. Laut den Gerichtsunterlagen sind allein auf Youtube 32 verschiedene Versionen abrufbar. Die Videoplattform bedauert zwar die Zensurmassnahme, will sich ihr aber fügen.
So leicht wird die Hymne indes nicht aus der Welt zu schaffen sein. Sie hat sich nämlich verselbständigt. An internationalen Sportanlässen spielen Veranstalter mitunter «Glory to Hongkong» – in der irrigen Meinung, sie hätten die offizielle Nationalhymne gewählt. Doch eine eigene Hymne kennt Hongkong gar nicht. 1997, als die Wirtschaftsmetropole wieder unter die Fittiche Pekings kam, wurde ihr die Hymne der Volksrepublik – «Marsch der Freiwilligen» – aufgedrückt.
Den Fans des verbotenen Songs bleibt ein Schlupfloch: Gelingt es ihnen, akademische oder journalistische Motive geltend zu machen, und hegen sie keine aufwieglerischen Absichten, soll einer straffreien Verwendung nichts im Wege stehen.


