Sonntag, November 17

Der weissrussische Machthaber lässt sich Ende Januar wiederwählen. Deshalb will er sich milde zeigen: Maria Kolesnikowa durfte nach fast zwei Jahren ohne Kontakt zur Aussenwelt ihren Vater sehen.

Erst gab es nur ein Foto mit einer knappen Beschreibung, aber es sagte trotzdem sehr viel aus: Maria Kolesnikowa, eine der Anführerinnen der friedlichen Protestbewegung in Weissrussland im Sommer 2020 und seit vier Jahren hinter Gittern, lebt. Mehr als 600 Tage lang waren Kolesnikowas Angehörige gänzlich im Dunkeln darüber gelassen worden, wie es ihr geht und ob sie überhaupt noch am Leben ist. Jeder Versuch des Vaters, des einzigen noch in Weissrussland lebenden Familienmitglieds, die Tochter im Straflager zu besuchen, hatte ohne Ergebnis geendet. Diese Woche konnte Alexander Kolesnikow endlich bei einem Treffen im Lagerspital seine Tochter in die Arme schliessen.

Protasewitsch wirkt als Vermittler

Die bekanntgewordenen Begleitumstände dieses Besuchs lassen darauf schliessen, dass der weissrussische Machthaber Alexander Lukaschenko damit ein Signal setzen wollte. Ende Oktober war er in einem Interview mit der BBC nach dem Schicksal Kolesnikowas gefragt worden. Verächtlich hatte er die Schuld an dem fehlenden Kontakt auf die Verwandten geschoben. Diese hätten gar kein Interesse daran, sie im Straflager zu besuchen. Kolesnikowas im Westen lebende Schwester Tatjana Chomitsch widersprach sofort.

Über Alexander Kolesnikows Besuch in der Strafkolonie erfuhr die Aussenwelt durch Roman Protasewitsch. Protasewitsch, einst Leiter des oppositionellen Telegram-Kanals Nexta, der im August 2020 eine zentrale Rolle bei den Protesten gegen Lukaschenkos gefälschte Wiederwahl gespielt hatte, war im Frühjahr 2021 nach der spektakulären Umleitung eines Ryanair-Flugs in Minsk festgenommen worden. Das Regime demütigte ihn und brach seinen Willen. Er wurde nach der Verurteilung sofort begnadigt, steht seither aber in Diensten Lukaschenkos und stellt sich als Vermittler zwischen Opposition und Regime dar. Das Treffen mit Kolesnikowa sei zustande gekommen, nachdem der Vater direkt bei Lukaschenko darum gebeten habe.

Protasewitsch veröffentlichte auch Aussagen von Kolesnikowas Vater. Die Gespräche hätten sich primär um Familie und Freunde gedreht. Aber er habe ihr auch die «Veränderungen» nahegebracht, die derzeit im Land stattfänden, und die Möglichkeiten, die sich daraus ergäben und auch das Treffen erlaubt hätten. «Ich glaube, dass in nächster Zeit noch grössere Veränderungen stattfinden werden, die uns erlauben, näher bei Maria zu sein», sagte er. Der Nachrichtenagentur AP sagte er, seine Tochter denke über ein Begnadigungsgesuch nach. Mehr dürfe er dazu nicht sagen.

Botschaft an den Westen vor der Präsidentschaftswahl

Die von Kolesnikow erwähnten «Veränderungen» beziehen sich auf die auf Ende Januar vorgezogene Präsidentschaftswahl in Weissrussland. Lukaschenko hatte sie Ende Oktober überraschend angekündigt, und entgegen früheren Beteuerungen tritt er erneut an. Diesmal ist das Prozedere erst recht eine Farce: Weissrusslands Politik ist gleichsam eingefroren. Jeglicher Widerstandsgeist wird gnadenlos unterdrückt. Das Land befindet sich in totaler Abhängigkeit von Russland und ist Mitläufer im Krieg gegen die Ukraine.

Jüngst liess Lukaschenko aber mehr als hundert – von insgesamt weit über tausend – politischen Gefangenen frei. Von den Bekanntesten unter ihnen, etwa dem Präsidentschaftsbewerber von 2020, Wiktor Babariko, und dem Ehemann der Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, Sergei Tichanowski, fehlt seit rund zwei Jahren jedes Lebenszeichen.

Der im Exil lebende weissrussische Politologe Artjom Schraibman interpretierte die Freilassungen als ein Signal der Milde an den Westen und damit als ein Zeichen dafür, dass sich Lukaschenko gerne aus der russischen Umklammerung lösen würde, der er allerdings sein politisches Überleben verdankt. Eine Freilassung Kolesnikowas wäre zwar eine grosse Erleichterung für die Angehörigen und die Unterstützer der weissrussischen Opposition. Aber an Lukaschenkos brutaler Herrschaft würde sie nichts ändern.

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