Mittwoch, März 12

Der 23-Jährige hätte eigentlich vor Gericht erscheinen müssen. Nun wurde er in Abwesenheit verurteilt.

Das Gericht habe versucht, den Beschuldigten polizeilich zuzuführen, sagt der Einzelrichter zu Beginn der Verhandlung am Bezirksgericht Zürich. Der Mann sei aber untergetaucht. Die Polizei wisse nicht, wo er sei. Die Rede ist von einem 23-jährigen Italiener, der im August 2023 Lehrling in einer Kinderkrippe in der Stadt Zürich war und der einfachen Körperverletzung eines damals dreizehn Monate alten Mädchens angeklagt ist.

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Bereits zum ersten Prozesstermin war er unentschuldigt nicht erschienen. Weil er diesem Verhalten nun auch bei der zweiten Vorladung treu geblieben ist, wird in Abwesenheit gegen ihn verhandelt und ein Urteil gefällt. Eine Befragung des Beschuldigten entfällt damit. Allerdings sind die Eltern des Opfers im Gerichtssaal. Auf Antrag ihres Anwalts werden sie vom Richter als Auskunftspersonen befragt.

Die Staatsanwältin muss im Einzelrichterverfahren nicht vor Gericht erscheinen. Laut ihrer Anklage fügte der Lehrling im August 2023 dem Kind einen sechs mal sechs Zentimeter grossen Bluterguss an der Wange zu. Auf welche Art und Weise ist nicht geklärt. Die Anklage offeriert dazu zwei Varianten: entweder durch einen Schlag mit der Hand oder indem der Betreuer die Wange mit zwei Fingern zusammenkniff.

Unmittelbare Zeugen gab es keine. Eine weitere Kita-Mitarbeiterin hörte das Kind aufschreien und ging Nachschau halten. Der Lehrling, der sich im ersten Lehrjahr befand, wurde nach dem Vorfall entlassen. Die Staatsanwältin verlangt eine vollziehbare Gesamtstrafe von 120 Tagessätzen à 90 Franken. Darin sollen zwei bedingt ausgesprochene Vorstrafen wegen Verkehrsdelikten verrechnet werden, die widerrufen werden sollen. Der Lehrling müsste also 10 800 Franken bezahlen.

Seit der Tat habe das Kind Angst vor Männern

Die 31-jährige Mutter ist auch eineinhalb Jahre nach der Tat bei ihrer Befragung vor Gericht emotional völlig aufgelöst und weint teilweise. Gemäss ihrer Meinung müsste auch die Chefin der Kita vor Gericht stehen. «Warum nur er? Warum nicht die Kita?», fragt sie. Schlimmer als die körperlichen Verletzungen seien die seelischen Verletzungen des Kindes. Nach dem Vorfall habe das Kind nachts immer geweint, dies sei vorher nicht der Fall gewesen.

Das Mädchen sei nach dem Vorfall viel aggressiver als zuvor gewesen, stellt der 32-jährige Vater fest. Es sei seit dem Vorfall sehr distanziert zu Männern, habe zum Teil Angst und verstecke sich vor ihnen.

Der Rechtsanwalt der Eltern beantragt 2000 Franken Genugtuung für das Kind und 1000 Franken für seine Eltern. Gewalterfahrung bei einem Kleinkind, das noch nicht fähig sei, zu sprechen und sich zu artikulieren, könne erfahrungsgemäss zu einem schweren Trauma führen. Das Kind habe nach der Tat permanent Schlafstörungen mit nächtlichen Schreianfällen gehabt, und die Eingewöhnung in einer neuen Krippe sei sehr schwierig gewesen.

In seinem Plädoyer erklärt er, besonders schwerwiegend sei der Umstand, dass die Tat in einem geschützten Umfeld von einer Person begangen worden sei, welcher das Kind gerade zur Sicherstellung von Fürsorge und Schutz anvertraut worden sei. Es sei nicht absehbar, welche Spätfolgen der Vorfall noch haben werde. Ursprünglich machten die Eltern eine Genugtuung von 10 000 Franken für das Kind gelten.

Nur vage Aussagen des Lehrlings

Der Einzelrichter verurteilt den abwesenden Beschuldigten schliesslich zu einer Gesamtstrafe von 100 Tagessätzen à 30 Franken wegen einfacher Körperverletzung und der widerrufenen Vorstrafen. Die Geldstrafe wird vollzogen. Der 23-jährige Italiener muss 3000 Franken bezahlen. Hinzu kommen nochmals 3100 Franken Gerichtsgebühren und die Kosten des Vorverfahrens. Das Kind erhält eine Genugtuung von 500 Franken zugesprochen. Das Genugtuungsbegehren der Eltern wird abgewiesen.

Es gebe keinen Zweifel an der Schuld des Lehrlings. An jenem Nachmittag habe das Kind in der Kita plötzlich stark aufgeschrien. Als eine Kita-Mitarbeiterin hinzugekommen sei, habe der Lehrling den Raum verlassen, erklärt der Einzelrichter bei der Urteilseröffnung. Der Beschuldigte habe danach nur vage Aussagen gemacht. Die Verletzungen seien aber dokumentiert. Es sei wohl davon auszugehen, dass es sich um ein Kneifen mit den Fingern gehandelt habe.

Das Gericht habe auf einfache Körperverletzung und nicht nur auf Tätlichkeiten erkannt. Entsprechend einem Bundesgerichtsentscheid sei das Erleben derselben Tat bei einem Kleinkind deutlich intensiver als bei einem Erwachsenen.

Weil dem Beschuldigten keine günstige Prognose gestellt werden könne, sei die Geldstrafe zu vollziehen. 500 Franken seien als Genugtuungsbetrag für das Kind angemessen. Das Gericht sehe aber keinen direkten Genugtuungsanspruch der Eltern, auch wenn der Vorfall für sie nachvollziehbar belastend gewesen sei.

Urteil GG240273 vom 26. 2. 2025, noch nicht rechtskräftig.

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