Sonntag, Oktober 6

Die Deutsche Bundesregierung versucht, ihren Internetauftritt «barrierefrei« zu gestalten. Die sprachlichen Vereinfachungen sind zum Teil sachlich falsch, zum Teil unfreiwillig komisch. Eine Leseprobe

Deutsche Bundesregierungen versuchen seit längerem, den Eindruck zu vermeiden, sie wollten die Bevölkerung intellektuell überfordern. Das kommt sowohl in den pädagogisch sorgsam ausgewählten Namen für neue Gesetze zum Ausdruck («Gute-Kita-Gesetz», «Rückführungs-Verbesserungs-Gesetz» oder «Chancen-Wachstums-Gesetz») als auch in bildhaften Redewendungen des Bundeskanzlers («Wumms», «Doppelwumms»).

Natürlich ist auch das Anliegen, die Arbeit der einzelnen Regierungsressorts auf deren Internetseiten einfach und allgemeinverständlich zu erklären, im Prinzip begrüssenswert. Dazu bedient sich die zuständige PR-Verwaltung der so genannten «Leichten Sprache», die einen «barrierefreien» Zugang ermöglichen soll.

Tatsächlich zeigt sich aber, dass der ausdrückliche Verzicht auf abstrakte Begriffe, auf den im Deutschen üblichen Genitiv und auf den Konjunktiv nicht in jedem Fall die Verständlichkeit verbessert. Grobe Vereinfachungen führen zu unfreiwilligen Fehlern und verleiten offenbar dazu, eine durchaus subjektiv gefärbte, idealistische Weltsicht als vermeintliche Objektivität auszugeben. Manche Formulierungen sind auch schlicht komisch.

Über den Bundeskanzler – im wirklichen Leben ist das gegenwärtig der Sozialdemokrat Olaf Scholz – heisst es beispielsweise auf der Internetseite des Kanzleramts: «Der Bundes-Kanzler hat sehr viel zu sagen. (…) Der Bundeskanzler bestimmt, was die Bundes-Regierung tun soll. Welche Aufgaben angegangen werden sollen. Welche Probleme gelöst werden sollen. Das müssen dann die einzelnen Ministerien ausführen.»

«Deutschland kann sich gut verteidigen»

Tatsächlich stimmt das nicht, da hat der Leichte-Sprache-Autor ein bisschen zu tief in den Abgrund der sogenannten «Richtlinienkompetenz» geschaut. In der Realität gelten Koalitionsvertrag und die Ressortautonomie nach der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung.

Immerhin erfährt man im barrierefreien Bereich der Kanzler-Homepage Dinge, über die Olaf Scholz mit der Bevölkerung angeblich nicht ausreichend kommuniziert. Zum Beispiel über die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland: «Die Mitglieder von der Nato haben sich getroffen. Bundeskanzler Olaf Scholz war bei dem Treffen dabei. (…) Deutschland und die USA haben gemeinsam entschieden: Die USA bringt (sic) amerikanische Waffen nach Deutschland. Das sind zum Beispiel Hubschrauber, Flugzeuge und Raketen. (…) Die Waffen sollen in Deutschland bleiben. Die Waffen sollen anderen Ländern zeigen: Deutschland ist stark. Deutschland kann sich gut verteidigen.»

Wenn es wirklich so wäre, könnte Boris Pistorius damit aufhören, eine Politik für die «Kriegstüchtigkeit» der Bundeswehr zu fordern, und verkünden: «Der Verteidigungs-Minister hat gut gearbeitet.»

«Soziale Marktwirtschaft ist das Ziel vom BMWK»

Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen wird anscheinend zu Unrecht einer ideologisch getriebenen Transformationspolitik bezichtigt: Ausweislich der leichten Homepage ist sein Haus wirtschaftspolitisch sehr solide und traditionell aufgestellt. «Firmen sollen in Deutschland gut arbeiten können», heisst es dort: «Dann wachsen die Firmen. Und es gibt mehr Firmen. Dann bekommen mehr Menschen gute Arbeit. Und gute Löhne. Deshalb können die Menschen gut leben. (…) Wenn Firmen gut arbeiten und Menschen gut leben können, heisst das: Soziale Marktwirtschaft.“

Und noch einmal zusammengefasst, damit der Minister es sich auch für Talkshowauftritte merken kann: «Soziale Marktwirtschaft ist das Ziel vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz».

Dass es Bundesfinanzminister Christian Lindner von den Freien Demokraten in der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP schwerer hat als mancher Kabinettskollege, merkt man auch der Selbstdarstellung seines Ministeriums in Leichter Sprache an. «Finanzen sind ein schwieriges Wort für Geld», heisst es dort: «Wenn das Land mehr Geld ausgibt, als es kriegt, muss es neue Schulden machen.»

Das schienen Lindners Koalitionspartner zuletzt für kein grösseres Problem zu halten – siehe die Diskussion über die angebliche Schädlichkeit der Schuldenbremse. Man kann allerdings verstehen, wie seine Kollegen auf diese Idee kommen, denn Geld scheint im Überfluss vorhanden zu sein: «Alle Menschen in Deutschland zahlen Steuern. Damit bekommt die Bundesregierung Geld.»

Die Regierungsmitglieder sollten sich nur vielleicht gelegentlich vor Augen führen, dass es nicht ihr Geld ist, sondern eben, um es in ganz leichter Sprache zu sagen, das Geld von Leuten, die es von ihrem Einkommen abgeben mussten.

«Der Leiter vom Auswärtigen Amt ist Heiko Maas»

Falsch ist übrigens die Aussage, dass der Staat mit den Steuern «Renten und Arbeitslosen-Geld» bezahle. Zur Rente gibt es zwar einen Steuerzuschuss, aber beide Leistungen finanzieren sich grundsätzlich aus den Beiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur Renten- und zur Arbeitslosenversicherung.

Die überraschendste Aussage über das Auswärtige Amt, also das deutsche Aussenministerium, lautet: «Der Leiter vom Auswärtigen Amt ist Heiko Maas». Gut möglich, dass seit den Zeiten dieses sozialdemokratischen Aussenministers niemand mehr das barrierefreie Erklär-PDF geöffnet hat.

Doch auch die gegenwärtige Amtsinhaberin Annalena Baerbock von den Grünen dürfte mit folgenden Aussagen einverstanden sein: «Die Menschen-Rechte sollen für alle Menschen gelten. Auf der ganzen Welt. Alle Menschen sind gleich gut.» Aber Obacht: «Deutsche sind nicht besser als andere.» Und manche Menschen, so möchte man hinzufügen, sind leider auch einfach böse.

Beunruhigt hat die NZZ der Eintrag des Verteidigungsministers. Auf seiner Homepage ist zu lesen: «Der Chef vom Ministerium ist Boris Pistorius. Er arbeitet auch in der Bundesregierung.» Auch? Was bedeutet «auch» in diesem Zusammenhang? Hat er Nebenjobs? Und es geht noch weiter: Boris Pistorius ist nicht nur «der Chef von allen Soldaten», sondern zu seinen Aufgaben gehöre es ausdrücklich, «Kasernen zu schliessen». Wie bitte? Bedeutet die «Zeiten-Wende» in der Sicherheitspolitik nicht das genaue Gegenteil, nämlich neue Kasernen zu bauen?

In Leichter Sprache dürfen die Bürger nur «mitbestimmen»

Das Bundesinnenministerium, das gegenwärtig noch von der Sozialdemokratin Nancy Faeser geführt wird, kümmert sich laut Selbstauskunft um «viele Themen, die im Leben von allen Menschen wichtig sind. (…) Es schützt alle Bürger vor Gewalt/Verbrechen/Terror.» Oder, so muss man nach den jüngsten Erfahrungen von Mannheim und Solingen wohl auch in Leichter Sprache einschränken: Es versucht, sie zu schützen, damit «alle Menschen in Deutschland ohne Angst leben können».

Insgesamt auffällig ist die Häufigkeit, mit der es in Bezug auf Demokratie und Wahlen in den Leichte-Sprache-Artikeln heisst, der Souverän, also das Volk, also die Bürger, dürften «mitbestimmen».

«Mit-bestimmen» darf man, so viel sprachliche Kleinlichkeit muss erlaubt sein, wenn eigentlich jemand anderes das Sagen hat. Trotz des niedrigschwelligen Zugangs ist uns allerdings immer noch nicht ganz klar, wer das in Deutschland ist. Vielleicht doch der Kanzler, ganz heimlich?

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